Proaktives Verhalten trainieren – ein Widerspruch?

Proaktives Verhalten wie Eigeninitiative gilt als wünschenswert. Doch lässt es sich trainieren? Was widersprüchlich erscheint, kann gelingen – wie evidenzbasierte Trainingsansätze zeigen. Erfahren Sie, wie Trainings zur Förderung proaktiven Verhaltens aufgebaut sein können.

Arbeitsabläufe effizienter gestalten oder aktiv Feedback suchen. Diese Verhaltensweisen beschreiben Beispiele für proaktives Handeln. Unter proaktivem Verhalten versteht man eine antizipatorische, d. h. auf die Zukunft ausgerichtete Handlung, die auf eine Veränderung in der eigenen Person oder Umwelt abzielt (Grant & Ashford, 2008). Es ist das Gegenteil von Passivität oder reaktivem Verhalten, welches von außen veranlasst ist.

Proaktivität ist meistens gewünscht, aber keine Selbstverständlichkeit

Proaktivität im Job steht, wie meta-analytische Befunde zeigen, grundsätzlich mit besseren Arbeitsleistungen in einem Zusammenhang (Tornau & Frese, 2013). Probleme aktiv angehen, Ideen einbringen, konstruktive Verbesserungsvorschläge machen, Auch wenn proaktives Verhalten nicht stets zu gewünschten Effekten führt (vgl. Parker et al., 2019), erscheint es insgesamt als wünschenswert. In modernen Arbeitswelten, in denen sich Rahmenbedingungen rasch ändern, sehnen sich viele Organisationen nach proaktiven Beschäftigten, die nicht abwarten, sondern von sich aktiv werden. Insbesondere im Zuge vom Onboarding sind proaktive Verhaltensweisen für ein gelungenes Ankommen in einer Organisation von Vorteil.

In Zeiten des Fachkräftemangels können sich Organisationen jedoch nicht darauf verlassen, nur proaktive Mitarbeitende auswählen und einstellen zu können.

Lässt sich Proaktivität trainieren?

So wird proaktives Verhalten zu einem strategischen Thema der Personalentwicklung im Onboarding werden. Organisationen können signalisieren, dass sie proaktives Verhalten fordern und fördern. Konkret stellt sich dabei die Frage, ob und wie sich proaktives Verhalten fördern und am besten sogar trainieren lässt.

Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass Menschen zu proaktivem Verhalten – das aus eigenem Antrieb erfolgen soll – herangeführt werden sollen. Ist dies überhaupt möglich? Die Antwort lautet „Ja“. Einen evidenzbasierten Ansatz zur Förderung von Eigeninitiative verfolgt der deutsche Psychologe Michael Frese seit mehr zwei Jahrzehnten – und das mit Erfolg. Sowohl bei Unternehmer:innen als auch Arbeitssuchenden zeigen entsprechende Trainings positive Effekte (vgl. Mensmann & Frese, 2016).

Um besser zu verstehen, wie das Training proaktiven Verhaltens gelingen kann, beleuchten wir das Konstrukt „Eigeninitiative“ näher. Eigeninitiative lässt sich als

  1. selbstinitiiertes,
  2. zukunftsorientiertes und
  3. ausdauerndes Verhalten

beschreiben (ebd.). Diese drei Merkmale spielen in den folgenden vier Handlungssequenzen eine Rolle:

  1. der Zielsetzung,
  2. der Informationsbeschaffung,
  3. der Planung und Ausführung sowie
  4. des Monitorings und Einholens von Feedback.

Wie lässt sich Proaktivität trainieren?

Anhand dieser drei Merkmale der Eigeninitiative und den vier Prozessschritten ergeben sich Inhalte für ein proaktives Training, die in eine logische Struktur und Abfolge gebracht werden können. Für die vier Handlungssequenzen werden Lernziele formuliert, die die Merkmale „selbstinitiiert“, „zukunftsorientiert“ und „ausdauernd“ adressieren. Tabelle 1 (zum Anzeigen bitte klicken) zeigt eine Grundstruktur, die auf den Arbeiten von Mensmann und Frese (2016) beruht, jedoch auf das Thema Eigeninitiative im Onboarding zugeschnitten ist.

Vier weitere Facetten machen das Training lebendig

Handlungsprinzipien: Die Handlungsprinzipien dienen dazu, dass idealweise aus meta-analytischen Befunden abgeleitete Erkenntnisse, in handhabbare Gedanken übersetzt werden, die handlungsleitend sind. Sie stellen Wegweiser auf einer mentalen Landkarte dar. In Bezug auf das Onboarding könnte ein Handlungsprinzip in der letzten Phase lauten: „Warte nicht, bis du Feedback bekommst, sondern frag danach“.

Verbalisierung und Verinnerlichung: Die Teilnehmenden verbalisieren Handlungsprinzipen und entwickeln eigene Handlungsschemata, indem sie beispielsweise konkrete Pläne aufstellen und verschriftlichen.

Handlungstraining: Um die Landkarten zu verfeinern, ist eine Anwendung des Gelernten in der Praxis der nächste Schritt. Dies beinhaltet das Einholen von Feedback (z. B. durch eine:n Trainer:in oder andere Teilnehmende) sowie den Umgang mit Fehlern durch Meta-Gedanken (z. B. „Fehler sind nützliche Informationen“) und Frustrationserfahrungen. Schließlich wird angestrebt, proaktives Verhalten zur Routine zu machen.

Transferphase: Diese dient dazu, informelle Lernerfahrungen durch Ausprobieren und selbstregulierte Anpassungen einschließlich des Einholens von Feedback weiterzuentwickeln.

In der praktischen Umsetzung impliziert dies, dass das Training über die Zeit verteilt wird oder Follow-up-Termine geplant werden. Diese können gezielte Reflexionstermine oder weniger formalisierte Formate (z. B. kollegiale Beratung, informeller Austausch mit Peers) beinhalten (vgl. auch Kortsch et al., 2023).

Fazit

Proaktives Verhalten lässt sich fördern. Die Forschung liefert nicht nur Belege dafür, sondern auch das nötige Handlungswissen, wie neue Trainingskonzepte für unterschiedliche Anwendungsfälle entstehen können.

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