Lieferdienste, Online-Aufträge oder flexible Nebenjobs – Plattformarbeit ist längst Teil des Alltags vieler Menschen. Doch welche Chancen und Herausforderungen verbergen sich hinter dieser Arbeitsform, die Flexibilität verspricht und zugleich neue Unsicherheiten mit sich bringt?
Was ist Plattformarbeit?
Bei Plattformarbeit handelt es sich um eine neue Form der Arbeit, „bei der Organisationen oder Einzelpersonen über eine Online-Plattform mit anderen Organisationen oder Einzelpersonen in Kontakt treten, um gegen Bezahlung spezifische Probleme zu lösen oder spezifische Dienstleistungen zu erbringen“ (Europäischer Rat, 2025). Anstatt eines dyadischen Verhältnisses zwischen Angestellten und einem Unternehmen gibt es drei zentrale Akteur*innen (vgl. Hofer & Spurk, 2025):
- die Plattformarbeitenden
- die Plattformen
- die Auftraggebenden
Für viele Personen stellt die Plattformarbeit heutzutage eine ergänzende Einkommensquelle neben einer regulären Beschäftigung im traditionellen Arbeitsmarkt dar und es wird geschätzt, dass die Zahl der Plattformarbeitenden in der EU im Jahr 2025 auf 43 Millionen steigen wird (Europäischer Rat, 2025).
Plattformarbeit kann je nach Tätigkeit online oder offline ausgeführt werden. Die Tätigkeiten sind äußerst unterschiedlich und reichen von Lieferdienstleistungen bis hin zur Krankenpflege in Krankenhäusern.
Flexibilität um jeden Preis?
Die Strukturen moderner Arbeitsformen unterscheiden sich sehr von denen der traditionellen Arbeitswelt (Ashford et al., 2018). So zeichnet sich die Plattformarbeit durch erhöhte finanzielle Instabilität und größere Unsicherheit hinsichtlich der Arbeitsaufträge und des beruflichen Werdegangs aus, aber auch durch enorme Flexibilität und Autonomie (Ashford et al., 2018; Spurk et al., 2022). Anstatt über Jahre hinweg im selben Beruf bei demselben Unternehmen angestellt zu sein, wechseln die Arbeitstätigkeiten und Auftraggebenden häufig mehrfach täglich (Ashford et al., 2018). Oft sind Plattformarbeitende nicht Teil eines Teams, sondern sie arbeiten allein, vergleichbar mit Solo-Selbständigen. Darüber hinaus haben sie ein hohes Maß an Autonomie und sie können frei einrichten, wann, wo und wie viele Aufträge sie annehmen möchten (Ashford et al., 2018). Wenn sie jedoch nicht schnell genug oder nicht eine gewisse Anzahl an Aufträgen annehmen, insbesondere in Zeiten mit hohem Auftragsangebot, werden sie durch den Algorithmus künftig teilweise abgestraft (vgl. Hofer & Spurk, 2025). Daher ist die augenscheinliche Flexibilität höher, als sie tatsächlich ist (Hofer & Spurk, 2025).
Herausforderungen für Plattformarbeitende
Die genannten strukturellen Aspekte der Plattformarbeit gehen mit spezifischen Arbeitserfahrungen einher (Ashford et al., 2018), und bringen sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich. Caza et al. (2022) identifizierten sechs spezifische Herausforderungen, die den Arbeitsalltag sowie die langfristigen Perspektiven von Plattformarbeitenden prägen:
- Finanzielle Unsicherheit: Oft ist es schwierig, ein stabiles Einkommen zu erzielen, das den gewünschten Lebensstandard sichert. Zudem führen unregelmäßige Arbeitsaufträge zu Phasen mit unterschiedlich stark schwankendem Einkommen, wodurch die finanzielle Planung erschwert wird und Sorgen um die kontinuierliche Einkommenssicherung entstehen.
- Organisatorische Anforderungen: Neben der eigentlichen Tätigkeit müssen viele administrative und logistische Aufgaben bewältigt werden – von der Buchhaltung über die Kundenkommunikation bis hin zur Zeitplanung. Dies erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation sowie die Fähigkeit, Routinen zu entwickeln und konsequent einzuhalten.
- Identitätsherausforderungen: Dass die Tätigkeiten stark variieren und Außenstehende oft kein klares Verständnis dafür haben, was Plattformarbeitende tatsächlich tun, kann die Entwicklung einer stabilen beruflichen Identität und eines klaren Selbstbildes erschweren.
- Emotionale Herausforderungen: Die Plattformarbeit bringt zudem erhebliche emotionale Belastungen mit sich: Plattformarbeitende erleben häufig Stimmungsschwankungen – zwischen Erfolgserlebnissen und Frustrationen, je nach Auftragslage und Kundeninteraktion.
- Beziehungsherausforderungen: Durch die meist isolierte Arbeitsweise verbringen viele Plattformarbeitende große Teile ihrer Zeit allein und müssen gleichzeitig permanent an ihrer Selbstdarstellung und an der Akquise arbeiten, um ihre „Marke“ sichtbar zu halten.
- Unsicherheit hinsichtlich der Karriereentwicklung: Es ist oft unklar, wie sich die aktuelle Tätigkeit auf einer Plattform langfristig zu einer stabilen beruflichen Laufbahn ausbauen lässt oder welche Perspektiven sich daraus ergeben. Zudem gibt es weitere Rahmenbedingungen, die den Plattformarbeitenden eine Rückkehr in den traditionellen Arbeitsmarkt erschweren.
Insgesamt zeigt sich, dass Plattformarbeit nicht nur flexible Chancen bietet, sondern auch erhebliche strukturelle und persönliche Herausforderungen mit sich bringt, die das Arbeitsleben und Wohlbefinden der Arbeitenden maßgeblich beeinflussen können (Ashdord et al., 2018; Caza et al., 2022).
Chancen der Plattformarbeit für Plattformarbeitende und Unternehmen
Andererseits bietet die Plattformarbeit auch Chancen.
- Neue berufliche Erfahrungen: Angestellte im traditionellen Arbeitsmarkt können durch Nebentätigkeiten in der Plattformökonomie Einblicke in neue Tätigkeiten und Arbeitsformen gewinnen. Darüber hinaus kann man sich eine Selbstständigkeit in Teilzeit aufbauen oder ein Einkommen erzielen, obwohl man die Sprache in dem Land, in dem man lebt, nicht spricht.
- Berufliche Kompetenzen erweitern: Laut Zwettler et al. (2024) kann Plattformarbeit heute als eigenständige Form beruflicher Laufbahn verstanden werden. Viele Plattformarbeitende durchlaufen dabei verschiedene Entwicklungsphasen, in denen sie Herausforderungen meistern, neue Fähigkeiten erwerben und ihre berufliche Identität formen. Neben fachlichen Kenntnissen entstehen dabei wichtige Kompetenzen wie Selbstorganisation, Anpassungsfähigkeit und unternehmerisches Denken. Im Verlauf dieser Entwicklung entsteht häufig eine unternehmerische Identität, die es ermöglicht, Plattformarbeit als Sprungbrett für weitere berufliche Wege zu nutzen. So wird Plattformarbeit zunehmend zu einem Bestandteil moderner, selbstbestimmter Karriereverläufe.
- Selbstverwirklichung: Obwohl neuere Erkenntnisse zeigen, dass die mit der Plattformarbeit verbundenen Herausforderungen das Erleben einer beruflichen Berufung beeinträchtigen können, insbesondere wenn sie zu Entfremdung und Erschöpfung führen, kann aktives Sinnstiften diese unerwünschten Effekte abmildern, sodass Plattformarbeitende ihre Tätigkeit als sinnhaft und erfüllend erleben (Affolter et al., 2025). Andere Befunde verdeutlichen, dass viele Plattformarbeitende gerade in der erlebten Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ihre Berufung verwirklichen (Affolter et al., 2024). Insgesamt wird deutlich, dass Plattformarbeit nicht nur ein Übergangsphänomen ist, sondern sich zunehmend als ein möglicher Karrierepfad etabliert (Affolter et al., 2024; 2025; Zwettler et al., 2024).
- Ökonomische Vorteile: Für Unternehmen bietet die Plattformökonomie ebenfalls verschiedene Chancen. In Phasen hoher Arbeitsauslastung kann ein Teil der Aufträge flexibel an Plattformarbeitende ausgelagert werden. Zudem steht ein großer internationaler Talentpool zur Verfügung. In Zeiten geringerer Auslastung können Unternehmen hingegen ihre eigenen Mitarbeitenden über die Plattform selbst Aufträge annehmen lassen.
Ausblick
Die Plattformarbeit stellt laut Cropanzano et al. (2022) teilweise neue Anforderungen an Arbeitgebende und Unternehmen. Dies betrifft beispielsweise die Teamarbeit, die Bezahlung und das Management sowie die Führung von Plattformarbeitenden. Personalabteilungen und Führungskräfte sollten sich, wenn sie mit Plattformarbeitenden zusammenarbeiten, vorab über die Besonderheiten der Plattformarbeit informieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Das Thema gewinnt zunehmend auch für andere Stakeholder an Bedeutung – insbesondere für Karrierecoaches sowie für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatende. Für sie wird es immer wichtiger zu verstehen, welche Wege in die Plattformarbeit hinein und aus ihr wieder herausführen können. Nur so können sie Personen, die den Einstieg erwägen oder bereits in diesem Bereich tätig sind, gezielt unterstützen – sei es bei der beruflichen Orientierung, der Kompetenzentwicklung oder der Planung langfristiger Karriereperspektiven innerhalb der Plattformarbeit sowie des traditionellen Arbeitsmarktes.







