Coaching: Deutschland als systemische Hochburg
In Coaching-Ausbildungen steckt wenig Wissenschaft
„Coaching braucht mehr wissenschaftliche Fundierung“, forderte Siegfried Greif, Geschäftsführer des Instituts für wirtschaftspsychologische Forschung und Beratung GmbH (IwFB), bei seinem Vortrag auf dem Coaching-Kongress der Hochschule für angewandtes Management in Erding. Auch wenn sich praktische Erfahrung nicht vollständig durch wissenschaftlich validiertes Wissen ersetzen ließe, sei eine stärkere Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft notwendig.
Wie wenig Wissenschaft in Coaching-Ausbildungen steckt, hat Greif anhand einer Internet-Analyse erfasst. Untersucht wurden mit Hilfe der Google-Suche die Top 50 der Coaching-Ausbildungen in den USA, in Großbritannien und in Deutschland. Dabei hat der Psychologie-Professor die Präsentationen im Internet analysiert und – wo vorhanden – auch die Beschreibungen der Ausbildungspläne und weitere Erläuterungen. Sehr viele Anbieter hätten dabei hervorgehoben, dass ihre Ausbildungen auf umfangreichen praktischen Erfahrungen basieren, so Professor Greif. Nur sehr wenige hätten ausdrücklich wissenschaftliche Begriffe, Theorien oder Methoden erwähnt.
Suche nach wissenschaftlichen Fachbegriffen
Um die Nähe zur Wissenschaft zu erfassen, habe er nach verschiedenen Fachbegriffen gesucht, in Deutschland zum Beispiel nach der „lösungsfokussierten Beratung“, in den USA und Großbritannien zum Beispiel nach der kognitiv-behavioralen Psychotherapie oder der humanistischen Theorie von Carl Rogers. Die Verteilungen wurden mit Hilfe des Kolmogorow-Smirnow-Tests geprüft.
Seine Ergebnisse ordnete Professor Greif dann in vier Kategorien ein:
- „Praktisch fundiert“, wenn er absolut keine Hinweise auf wissenschaftliche Begriffe oder Bezüge finden konnte.
- „Wissenschaftlich informiert“, wenn ein bis zwei wissenschaftliche Fachbegriffe, Theorien oder Methoden erwähnt wurden.
- „Teilweise wissenschaftlich fundiert “, wenn drei und mehr wissenschaftliche Fachbegriffe, Theorien oder Methoden lediglich erwähnt wurden, ohne dass sie als allgemeine Grundlage verwendet wurden.
- „Wissenschaftlich fundiert“, wenn ausdrücklich darauf verwiesen wurde, dass sich das Ausbildungskonzept wesentlich auf wissenschaftliche Theorien und Methoden stützte oder dass Wirksamkeitsstudien berücksichtigt wurden (Evidenzbasiertes Coaching).
Wenig wissenschaftlich fundiert
Das Ergebnis ist eindeutig: In Deutschland sind 38,3 Prozent, in Großbritannien 65,2 Prozent und in den USA sogar 71,7 Prozent „praktisch fundiert“ – haben also keinen Hinweis auf wissenschaftliche Grundlagen. Bei den „wissenschaftlich informierten“ Angeboten, bei denen ein bis zwei wissenschaftliche Fachbegriffe zumindest einmal erwähnt werden, liegt Deutschland mit 40,4 Prozent deutlich vor den USA (17,4 Prozent) und Großbritannien (2,2 Prozent).
„Teilweise wissenschaftlich informiert“ sind in Deutschland immerhin 17 Prozent im Vergleich zu jeweils 8,7 Prozent in den USA und in Großbritannien. „Wissenschaftlich fundierte“ sind in Deutschland jedoch gerade mal 4,3 Prozent, in den USA sogar nur 2,2 Prozent, in Großbritannien aber immerhin 13,0 Prozent.
Systemische Hochburg Deutschland
Zudem analysierte der Psychologie-Professor die Häufigkeit von systemischen Ansätzen und dem Einsatz von NLP (Neurolinguistisches Programmieren) bei den Konzepten der Coaching-Ausbildung. Dabei entpuppt sich Deutschland mit 55,3 Prozent als wahre Hochburg bei den systemischen Grundlagen. In den USA spielt der systemische Ansatz gar keine Rolle (0 Prozent). In Großbritannien liegt der Anteil bei mageren 2,4 Prozent.
Auch Coaching-Konzepte, die auf dem NLP beruhen, sind in Deutschland mit 36,2 Prozent äußerst beliebt. In Großbritannien setzen immerhin noch 21,9 Prozent der Coaching-Ausbildungen darauf, in den USA, dem Ursprungsland des NLP, spielt die Methode mit 12,4 Prozent dagegen kaum eine Rolle.
Pseudowissenschaftliches NLP
Dabei gehört NLP für Professor Greif eindeutig zu den pseudowissenschaftlichen Konzepten. Auch wenn er damit vielen Coaches auf die Füße trete, die Forschung habe nun mal längst bewiesen, dass NLP nicht funktioniere, betonte der Psychologie-Professor vor den mehr als 300 Teilnehmern auf dem Coaching-Kongress. Ein Blick ins Kongress-Programm bestätigte Greifs Beobachtungen: Unter den Referenten waren zahlreiche NLP-Anhänger oder Vertreter des systemischen Ansatzes.