Warum Sie die Stärken Ihrer Mitarbeitenden stärken sollten
Stärkenorientierte Führung – was heißt das eigentlich? Welchen Nutzen bringt es, Stärken stärker zu stärken? Wie könnte das gehen? Und was soll mit den Schwächen passieren?
Derzeit läuft die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer. Stellen Sie sich also vor, Sie sind Fußballtrainer und haben zwei Spieler im Kader, Keller und Mayer. Keller ist der Elfmetergott und zimmert zuverlässig jeden Strafstoß ins Netz – Freistöße sind aber so gar nicht sein Ding. Mayer wiederum hat unglaubliche Freistoßkünste parat – versagt aber regelmäßig bei den Elfmetern. Lassen Sie nun Mayer Elfer trainieren und Keller Freistöße, damit sie an Ihren Schwächen arbeiten? Dann machen Sie es so, wie wir häufig mit Schwächen umgehen, den eigenen und den anderer: Wir fokussieren uns mit aller Energie auf sie. Oder lassen Sie Mayer seine Freistoßkünste weiter perfektionieren und Keller seine unhaltbaren Elfmeter noch unhaltbarer machen?
Das wäre stärkenorientierte Führung: Dass die Mitarbeitenden, die Excel-Tabellen gern und gut erstellen können, auch bei dieser Aufgabe eingesetzt werden. Dass derjenige, der sich leicht tut im Umgang mit Kund:innen, auch derjenige ist, der auf Messen geschickt wird. Dass die filigrane Anästhesistin bei den HNO-Operationen der von ihr geliebten Kinder eingesetzt wird – und nicht bei der Chirurgie die x-te Hüftprothese reinklopfen helfen muss. Dass kurzum die Menschen unter Ihrer Führung häufiger das tun dürfen, was sie gut können und was sie mit Leidenschaft tun – damit das, was sie ungern und ungut tun, weniger ins Gewicht fällt.
Wozu sich mit stärkenorientierter Führung befassen?
Rund zwei Millionen Stellen sind gerade unbesetzt in Deutschland. Die Hälfte derer, die kündigen, kündigen laut einer von XING in Auftrag gegebenen Studie ohne eine neue Stelle in Sicht zu haben (Forsa, 2022). Und die wenigsten Menschen fühlen sich von ihren Führungskräften in ihren Stärken und Leistungen genügend gesehen und gewürdigt.
Der Arbeitskräftemangel in Deutschland dürfte sich in vielen Branchen und an vielen Orten weiter verschärfen. Um die knapper werdenden Talente zu finden und zu binden, kann positive Führung ein wichtiges Instrument sein. Nach dem Perma-Lead-Modell, das der Wiener Wirtschaftspsychologe Markus Ebner entwickelt hat, besteht positive Leadership vor allem aus fünf Strategien – Stärkenfokus ist ein Schlüsselelement davon. Eine positive Führungskraft in diesem Sinne
- macht regelmäßig Freude, Interesse und andere positive Emotionen erlebbar
- stärkt Motivation und Engagement durch den Fokus auf Stärken
- legt Wert auf ein konstruktives, vertrauensvolles Miteinander
- macht Sinn, Bedeutung, Purpose für die Team-Mitglieder erlebbar
- und ermöglicht Mitarbeitenden das Erleben von Weiterkommen, Fortschritt, Zielerreichung
Positive Leadership lässt sich sogar per Fragebogen-Tool messen und verbessern. Studienergebnisse (etwa Ebner 2019 und Longinus/Ebner 2020) lassen darauf schließen, dass positive Leadership unter anderem die Burnout-Raten der Mitarbeitenden vermindern, ihre Stressbelastung reduzieren und ihre Kündigungsabsichten verringern kann.
Der Fokus auf Stärken ist dabei ein Schlüsselbaustein. Denn Menschen, die ihre Stärken kennen und einsetzen können, haben u. a.
- höheres Selbstvertrauen,
- fühlen sich energiereicher,
- verfolgen ehrgeizigere Ziele,
- sind engagierter im Job und
- sind loyaler gegenüber der Organisation (ein Überblick hierzu bei Bakker&van Woerkom 2018).
In fast keinem Bereich hat die Positive Psychologie in den vergangenen 20 Jahren mehr Ergebnisse zu Tage gebracht als in der Stärkenforschung. Da wäre es doch gut, wenn HR und Führungskräfte diese nutzen würden – im Interesse der Individuen, der Teams, der Organisationen und der Kundschaft.
Was sind Stärken überhaupt?
„Was sind denn Ihre Stärken?“ Ein All-time-Klassiker im Bewerbungsgespräch, vielleicht mussten Sie diese Frage auch schon mehrfach beantworten. Auslandserfahrung, Pünktlichkeit, Excel-Kompetenz. Das sind so klassische Antworten auf die Frage. Sie sind auch nicht falsch, aber eigentlich kann man Stärken noch als etwas anderes, Grundsätzlicheres verstehen. Als eine Frage nach dem WIE statt nur nach dem WAS.
Optimismus, Bescheidenheit, Begeisterungsfähigkeit, Urteilsvermögen: Das sind einige der der Stärken aus dem VIA-Stärkeninventar, des weltweit wohl am meisten beforschten Stärkentests. Mitentwickelt von Martin Seligman, dem Gründervater der Positiven Psychologie, ist es gedacht als positive Antithese zu den pathologisch ausgerichteten Klassifikationssystemen für psychische Störungen, als ein Katalog wertvoller menschlicher Eigenschaften, die einen Beitrag leisten zum „guten Leben“. Den VIA-Stärken-Test gibt es in rund 40 Sprachen, auf Deutsch ist er zum Beispiel unter www.gluecksforscher.de verfügbar. Andere Stärkentests, wie etwa der CliftonStrengths-Test, sind eher enger ausgelegt, sprachlich näher an Skills, Talenten und an lebenslauftauglichen Vokabeln der Arbeitswelt (kostenpflichtig zu finden zum Beispiel unter www.gallup.de).
Wie geht stärkenorientiertes Führen?
Stärkentests durchführen – das wäre schon mal ein Tipp für eine stärker stärkenorientierte Art des Führens. Denn häufig fehlt es am Vokabular für und am Wissen um Stärken. Hier drei weitere Tipps:
- Erkennen Sie Stärken und setzen sich bewusst mal die rosarote Stärkenbrille auf – etwa wenn Sie eine Serie schauen oder ein Buch lesen oder detaillierter betrachten, was Ihre Mitarbeitenden genau wie machen.
- Benennen Sie Stärken – etwa im Jahres- und Mitarbeitendengespräch: Welche Stärken sehen Sie in Ihren Mitarbeitenden? Was machen diese leichter, für Sie, für Kolleg:innen, für Dienstleister etc.? (siehe Buchtipp "Mitarbeitergespräche positiv führen")
- Bieten Sie Stärkenworkshops an, etwa im Rahmen der Weihnachtsfeier oder zum Projekt-Kick-Off, mit Fragen wie: Welche Stärken helfen uns gerade? Welche waren uns für Erfolg X oder Projekt Y nützlich? Auf welche kommt es bei den nächsten Stellenbesetzungen an?
Und die Schwächen, die wir alle haben? Sie verschwinden natürlich durch stärkenorientierte Führung nicht über Nacht. Aber im Idealfall fallen sie dann weniger ins Gewicht, wenn alle mehr Verständnis für und Nutzen von den Stärken haben, den eigenen und denen anderer. Sie als Führungskraft können das befördern. Viel Gelingen, Glück und Gaudi dabei!
Zum Weiterlesen:
[Werbung] Schweighart, M., Thiele, C. (2022). Mitarbeitergespräche positiv führen. Göttingen: BusinessVillage GmbH.
[Werbung] Thiele, C. (2021). Positiv führen: Stärken erkennen und nutzen. Freiburg: Haufe Lexware GmbH & Co KG.
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