Lieber denken anstatt grübeln

Wer konstruktiv nachdenkt, wird kreativ. Wer grübelt, wird depressiv. Die Art des Nachsinnens entscheidet über Schöpfertum oder Stimmungstief. Das ist das Ergebnis einer Studie US-amerikanischer Psychologen.

Kreativ und depressiv

Paul Verhaeghen ist Psychologieprofessor am Georgia Institute of Technology und forscht zu Kreativität. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Jutta Joormann und Shelley Aikman hat er nun den Zusammenhang zwischen Schöpfertum und Grübeln untersucht. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Artsabgedruckt.

Ausgangspunkt waren Befunde, wonach Kreativarbeiter zu Depressionen neigen. So hatten z.B. 50 Prozent aller Künstler in ihrem Leben schon einmal eine Depression (verglichen mit 20 Prozent aller Unternehmer). Die Wahrscheinlichkeit, eine Major Depression, also eine länger andauernde Depression zu entwickeln, ist bei Künstlern und Schriftstellern zehnmal höher als in der übrigen Bevölkerung.

Arten des Grübelns

Das könnte, so Paul Verhaeghen und seine Mitarbeiterinnen, an der Art des grüblerischen Denkens liegen. Sie unterschieden zwei Formen. Das selbstreflektierende Nachdenken („self-reflective pondering“) ist eher analytisch, setzt sich aktiv mit negativen Gefühlen auseinander und versucht, sie zu ändern. Das brütende Grübeln („brooding“) ist hingegen eher konfus, hängt passiv negativen Gefühlen nach und ergeht sich in ihnen statt sie zu ändern. Die Autoren nahmen an, dass Grübeln die Kreativität abwürgt und depressiv macht, während Nachdenklichkeit zu Ideenreichtum führt.

Ihre Annahme testeten sie an 244 Studenten. Sie ließen sie einen Kreativitätstest ausfüllen. Dabei sollten sie leere Kreise auf einem Blatt möglichst originell ergänzen. Gemessen wurden Flüssigkeit, Originalität und Detailreichtum ihrer Einfälle. Ein Fragebogen (S. 214) maß konstruktives Nachdenken („Wenn Sie traurig sind, wie oft schreiben Sie dann auf, was Sie denken und analysieren es?“) und das diffuse Grübeln („Wenn Sie traurig sind, wie oft denken Sie dann: ‚Womit habe ich das nur verdient?‘“).

Schließlich wurden noch depressive Symptome und die sogenannte Verhaltenshemmung gemessen, eine Neigung, sich vor Bedrohungen oder Fehlern zurückzuziehen statt sie anzugehen („Ich habe Angst davor, Fehler zu machen.“).

Ergebnis: originelles Nachsinnen

Es gab zwei Formen des Nachsinnens. Die beiden Arten – selbstreflektierendes Nachdenken und brütendes Grübeln – ließen sich bestätigen. Zugrunde lag ihnen eine Verhaltenshemmung. Personen, die nicht gerne handelten, grübelten eher. Bei den Nachdenklichen ohne Grübeltendenz war die Verhaltenshemmung nicht so stark ausgeprägt.

Grübeln machte traurig. Brütendes Grübeln führte dazu, dass häufiger depressive Symptome genannt wurden: gedrückte Stimmung, verlangsamte Reaktionen, Appetitverlust oder Schlafprobleme. Kreativität war damit nicht verbunden.

Wer nachdachte, wurde kreativ. Konstruktives Nachdenken über sich und seine Gefühle ging hingegen nicht mit Traurigkeit, sondern mit vermehrter Kreativität einher. Die Nachsinnenden gaben an, in der Woche häufig kreativen Tätigkeiten nachzugehen und zeichneten im Kreativitätstest viele, originelle und facettenreiche Ergänzungen.

Denktraining für Kreative

Die Autoren fassen zusammen (S. 215):

Das Ergebnis ist klar. Unser endgültiges Modell legt eine deutliche Gabelung nahe: Nachdenken (die eher aktive, positive Art des Überlegens) hat eine positive Wirkung auf kreatives Verhalten, wirkt sich aber nicht auf depressive Stimmung aus; Grübeln (die eher passive, negative Art des Überlegens) geht mit depressiver Stimmung einher, hat aber keinen Einfluss auf die Kreativität.

Der Vorteil der Studie ist, dass die Beziehungen in einem Pfadmodell überprüft wurden. Damit sind ursächliche Schlussfolgerungen möglich, wonach die Art des Denkens den Einfallsreichtum bedingt, nicht aber umgekehrt.

Auf der Grundlage dieser Denkhaltungen – Nachsinnen oder Grübeln – könnten, so die Autoren, neue Trainings entwickelt werden, die Kreativarbeiter vor Stimmungsschwankungen schützen und anderen zu mehr Kreativität verhelfen.

Literatur

Paul Verhaeghen, Jutta Joormann & Shelley N. Aikman. (2014). Creativity, Mood, and the Examined Life: Self-Reflective Rumination Boosts Creativity, Brooding Breeds Dysphoria. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 8 (2), 211-218.