Persönlichkeitsänderung ist möglich

Persönlichkeit: Eigenschaft und Zustand

Die klinische Psychologin Jessica Magidson promoviert an der Universität Maryland, arbeitet an der Harvard Medical School und forscht zu Substanzabhängigkeit und Depression. Zusammen mit Forscherkollegen hat sie in einem Schwerpunktheft der Fachzeitschrift Developmental Psychology, in dem es um den Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Gesundheitsverhalten geht, einen Ansatz zur Persönlichkeitsänderung vorgestellt.

Das ist bemerkenswert, weil immer noch häufig davon ausgegangen wird, dass sich die Persönlichkeit nicht ändern lässt, und es so gut wie keine wissenschaftlich begründeten Ansätze zur Persönlichkeitsveränderung gibt.

Persönlichkeit ist den Forschern zufolge die eher automatische und unbewusste Art, wie man auf unterschiedliche Umgebungsreize reagiert. Folgende Annahmen sind dabei entscheidend:

  • Eigenschaft. Durch Gene und bisherige Erfahrungen haben sich überdauernde Eigenschaften einer Person herausgebildet. Sie kann etwa in den meisten Situationen gesellig, sorgenvoll, offen, gewissenhaft oder unangepasst reagieren.
  • Zustand. Neben diesen mehr oder weniger feststehenden Eigenschaften gibt es auch situationsabhängige Zustände. Ihnen zufolge reagiert eine Person erwartungsunabhängig. Ein Introvertierter mag nach vorherigem Training zum Beispiel einen fesselnden Vortrag halten.
  • Verhaltensänderung. Das Verhalten entspricht diesen Zuständen. Dadurch kann sich eine Person ändern. Die Änderung erfolgt also von „unten nach oben“: zunächst werden neue, einfache Verhaltensweisen gelernt, dann schwierigeres Verhalten, das schließlich zur Eigenschaftsänderung führt.
  • Erwartung und Wert. Entscheidend bei der Verhaltensänderung ist der Wert, den jemand seinem Verhalten beimisst („Zuvorkommend zu sein, ist mir wichtig und macht Spaß.“) und die Erwartung, das Verhalten ausführen zu können („Ich kann zuhören und helfe gerne.“).

Ausgehend von diesen Annahmen haben die Forscher einen Ansatz zur Persönlichkeitsänderung entwickelt, der vereinfacht so aussieht: Zuerst wird das tägliche Verhalten betrachtet. Dann arbeitet die Person ihre zentralen Werte heraus. Ausgehend davon werden neue Aktivitäten ausgewählt, die schließlich umgesetzt werden.

Wichtig ist dabei, dass Persönlichkeitsänderung keinem Optimierungsgedanken folgt, sondern der Identitätsentwicklung. Jemand überlegt sich gut, warum er wie leben möchte. Daran richtet er Schritt für Schritt sein Verhalten aus. Schließlich bildet er eine Identität aus, mit der er in sich ruht und zufriedener ist.

Phasen der Persönlichkeitsänderung

Zur Veranschaulichung schildern die Forscher eine Fallstudie eines 45-jährigen kokainabhängigen Mannes (Herr M.), der unter klinischer Anleitung gewissenhaftere Verhaltensweisen erlernte. Da dieses Vorgehen zentral ist, sowohl für das Gesundheitsverhalten als auch für Trainings im Unternehmen oder persönliche Anstrengungen, Verhalten und Persönlichkeit zu ändern, sollen die einzelnen Phasen etwas ausführlicher betrachtet werden.

Tägliches Verhalten beobachten und bewerten. In den ersten drei Wochen sollte Herr M. seine Handlungen notieren, denen er stündlich nachging. Außerdem sollte er sie danach bewerten, wie wichtig sie ihm waren und wie genussvoll er sie erlebte. Hier kam heraus, dass Tätigkeiten, die ihm wichtig waren (seine Tochter von der Schule abholen, zur Arbeit gehen) oder die er als genussvoll erlebte (mit seiner Tochter spielen, Zeit mit seiner Frau verbringen und zusammen mit ihr kochen), häufig auf der Strecke blieben, wenn er Drogen konsumierte.

Grundlegende Werte bestimmen. Danach arbeitete Herr M. fünf Kernwerte für sich heraus: 1) ein zuverlässiger Vater sein, 2) ein engagierter Mitarbeiter sein (bevor er seine Arbeit aufgrund von unentschuldigten Fehltagen verlor, war er Landschaftsgärtner), 3) ein treuer und liebender Ehemann sein, 4) ein verantwortungsvoller Bürger sein, der z.B. regelmäßig seine Rechnungen bezahlt, 5) ein drogenfreies Leben führen.

Aktivitäten finden, die zu den Werten passen. Danach suchte er zusammen mit der Therapeutin nach Aktivitäten, die mit seinen grundlegenden Werten übereinstimmten. Diese wurden wieder nach Wichtigkeit und Genuss bewertet. Außerdem achtete man darauf, dass es kleine und klare Verhaltenssequenzen waren, die leichter umzusetzen waren als komplexe Handlungsstränge.

Eine Hierarchie der Aktivitäten aufstellen. Die Aktivitäten wurden innerhalb einer Hierarchie nach ihrer Schwierigkeit geordnet. Unten standen solche, die Herr M. jetzt schon teilweise, aber noch zu selten ausführte: seine Tochter von der Schule abholen, zusammen mit seiner Frau kochen, seine Rechnungen bezahlen. Oben standen Tätigkeiten, die wichtig waren, ihm aber bislang sehr schwer fielen: mindestens dreimal pro Woche zu einer Drogentherapie gehen, das verdiente Geld seiner Frau geben, zu den Narcotics Anonymous (Selbsthilfegruppe für abstinent lebende Süchtige) gehen.

Aktivitäten umsetzen. Zur Umsetzung wurden tägliche Pläne aufgestellt. Außerdem hielt Herr M. zusammen mit der Therapeutin fest, ob die Aktivitäten erfolgreich umgesetzt wurden. Jene, die in der Hierarchie unten standen, setzte Herr M. schnell um. Für die oben stehenden brauchte er länger als erwartet. Nach 12 Wochen ging er regelmäßig zur Drogentherapie und zur Selbsthilfegruppe. Sein Kokainkonsum sank rapide auf höchstens einmal pro Monat. Er fand einen Teilzeitjob und gab an, zusammen mit seiner Familie ein Leben zu führen, das ihm wieder Spaß machte.

Vielversprechender Ansatz

Nach der dreimonatigen Therapie führte der Patient wieder ein geregeltes Leben und verhielt sich so, wie sich gewissenhafte Personen verhalten. Die Autoren geben aber zu bedenken, dass dies – trotz vielversprechenden Ansatzes – lediglich eine Fallstudie war und längerfristige Persönlichkeitsänderungen empirisch noch untersucht werden müssen (S. 1448):

„Die nächste Stufe, um diese Intervention zur Persönlichkeitsänderung zu testen, wäre, automatisierte eigenschaftsbezogene Verhaltensänderungen jenseits einer Psychopathologie und die Veränderungen hinsichtlich der relevanten Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Gewissenhaftigkeit) zu bestimmen.“

Literatur

Jessica F. Magidson, Brent W. Roberts, Anahi Collado-Rodriguez & C. W. Lejuez. (2014). Theory-Driven Intervention for Changing Personality: Expectancy Value Theory, Behavioral Activation, and Conscientiousness [Abstract]. Developmental Psychology, 50 (5), 1442-1450.