Wertschätzung: Nice-to-have oder Mittel gegen Fluktuation?

Waren Sie schon einmal in der Situation, dass Sie Ihre Beschäftigten gelobt haben, diese sich aber dennoch nicht wertgeschätzt gefühlt haben? Weshalb ist Wertschätzung überhaupt wichtig für Unternehmen? Und wie können Sie dafür sorgen, dass Ihre Wertschätzung die Mitarbeitenden auch erreicht? Antworten auf diese Fragen bieten Ihnen Prof. Dr. Madiha Rana und Psychologin Lotte Bock.

Laut einer ZDF-Umfrage aus Mai 2023 gab mehr als jede:r Dritte der befragten Arbeitnehmenden zwischen 25 und 35 Jahren an, sich in der Arbeit nicht genug wertgeschätzt zu fühlen und aus diesem Grund zur Kündigung bereit zu sein. Man könnte daraus schließen, dass diese Generation egozentrisch ist und deshalb rund um die Uhr Bestätigung braucht. Man könnte aber auch fragen: Warum wird Wertschätzung in den letzten Jahren derart gewünscht – und zwar nicht nur bei den unter 35-Jährigen? Was fehlt den Arbeitnehmenden und welcher Zusammenhang besteht zwischen fehlender Wertschätzung, emotionaler Bindung und erhöhter Bereitschaft, den Job zu wechseln?

Wenn Wertschätzung mit Lob verwechselt wird

„Das hast du gut gemacht“ oder „Das hätte ich nicht besser machen können“ sind Anerkennungen, die - wenn sie ehrlich gemeint sind - für den Moment zweifellos guttun. Doch so wie warmes Wasser den Körper nur so lange erwärmt, wie es fließt, so wirken auch die Glückshormone, die beim Lob ausgeschüttet werden, nicht allzu lange. Denn Lob ist an eine Leistung gebunden. Wird ein bestimmtes Verhalten oder Ergebnis nicht erbracht wird, bekommen wir auch kein Lob. Wertschätzung hingegen bedeutet etwas anderes.

Wertschätzung bezieht sich auf den Wert einer Person als Ganzes. Es geht nicht nur um die Anerkennung bestimmter Leistungen, sondern auch um die Wertschätzung der einzigartigen Eigenschaften und Fähigkeiten einer Person. Dadurch entsteht ein Gefühl von Bedeutung und Verbundenheit, das durch andere, länger wirkende Glückshormone ausgelöst wird (Bergland, 2012). Zusätzlich fördert diese Haltung positive und respektvolle Beziehungen zwischen Menschen. Indem wir die Beiträge und Qualitäten anderer wertschätzen, zeigen wir Interesse an ihnen als Menschen. Das schafft Vertrauen, ein angenehmes Arbeitsklima und stärkt die emotionale Bindung an das Unternehmen.

Wertschätzung motiviert, bindet und steigert die Leistung

Während Lob kurzfristig motivieren kann, ist Wertschätzung langfristig wirksam. Wenn Menschen sich wertgeschätzt fühlen, sind sie motivierter, ihr Bestes zu geben und sich ständig weiterzuentwickeln.

Wertschätzung befriedigt zudem das psychologische Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Menschen möchten soziale Bindungen eingehen, sich mit anderen verbunden fühlen und Teil einer Gemeinschaft sein – von Geburt an eine Voraussetzung, um zu überleben.  Wenn die emotionale Bindung im Job fehlt, führt dies häufig zu einer inneren Kündigung. Dies war laut dem Gallup Engagement Index 2022 bei fast einem Fünftel der deutschen Arbeitnehmenden der Fall.

Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der Wirkung auf Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl: Während Lob das Selbstvertrauen stärkt, stärkt Wertschätzung das Selbstwertgefühl. Ersteres bezieht sich auf das Können, Letzteres auf das Sein. Wenn Menschen spüren, dass ihre Bemühungen und ihr Wert geschätzt werden, entwickeln sie ein positives Selbstbild und Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Auch dies kann zu mehr Leistung und Wohlbefinden führen.

Kein Entweder-oder

Wir sprechen hier jedoch nicht von einem Entweder-oder. Wertschätzung und Lob können (und sollten) selbstverständlich kombiniert werden, um die positive Wirkung zu verstärken. Wertschätzendes Lob, das sich auf spezifische Leistungen oder Handlungen bezieht, kann dazu beitragen, dass sich Menschen in ihrer Gesamtheit und in ihren spezifischen Bemühungen wertgeschätzt fühlen.

Wie Sie mehr Wertschätzung zeigen können

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Wertschätzung im beruflichen Umfeld zu zeigen. Hier einige Beispiele:

  • Signalisieren Sie Ihren Kolleg:innen verbal oder schriftlich, dass Sie ihre Arbeit schätzen und anerkennen. Erwähnen Sie besondere Fähigkeiten und erklären Sie, wie diese zum Erfolg des Teams oder des Unternehmens beigetragen haben oder einfach den Arbeitsalltag bereichern.
  • Zeigen Sie Interesse an einer Weiterentwicklung der Kolleg:innen, die zu deren Persönlichkeit und Werten passt. Bieten Sie Mentoring, Coaching oder Weiterbildungsmöglichkeiten an, um Fähigkeiten zu fördern und Karriereziele zu unterstützen.
  • Zeigen Sie, dass Sie die Meinungen und Ideen Ihrer Kolleg:innen schätzen (was nicht unbedingt Zustimmung heißen muss), indem Sie sie in Entscheidungsprozesse einbeziehen. Bitten Sie sie um Beiträge und berücksichtigen Sie ihre Vorschläge. 
  • Und vor allem: Schenken Sie ihnen Aufmerksamkeit. Nehmen Sie sich Zeit für persönliche Gespräche mit Ihren Kolleg:innen. Hören Sie aufmerksam und aktiv zu und zeigen Sie echtes Interesse an ihren Anliegen, Bedürfnissen und Herausforderungen.

Wertschätzung muss echt sein. Nichts ist schlimmer als das Gefühl, dass die Führungskraft gerade von einem Seminar kommt und jetzt besonders „achtsam“ oder „wertschätzend“ sein will. Es gilt, aufrichtig und spezifisch Wertschätzung zu zeigen, mit Blick auf  die eigenen Bedürfnisse und jene der Kolleg:innen.

Wir wollen gesehen werden

Bei einem Besuch in einem der größten DAX-Unternehmen Deutschlands kam uns plötzlich der Vorstandsvorsitzende entgegen. Im Vorbeigehen schaute er meiner Kollegin und mir in die Augen und grüßte uns freundlich. Ich beobachtete ihn, als er in dem offenen Gebäude die Treppe ins Erdgeschoss hinunterging, und stellte fest, dass er jeden, dem er begegnete, ebenso freundlich begrüßte. Das war weder aufdringlich noch unauthentisch, sondern eine klare Botschaft: Ich habe dich wahrgenommen. Und genau darum geht es. Wir Menschen wollen wahrgenommen werden, nicht weil wir dies oder jenes können, weil wir dies oder jenes geleistet haben. Nein, wir wollen als Menschen wahrgenommen werden. Wir wollen gesehen werden.

Vielleicht liegt ein Teil der Erklärung für das wachsende Bedürfnis nach Anerkennung darin, dass wir uns selbst und unsere Mitmenschen nicht mehr richtig wahrnehmen. Schließlich leben wir n einer Welt voller Ablenkungen, in der jedes Medium um unsere Aufmerksamkeit buhlt und wie selbst für bestimmte Dienstleistungen nicht mehr mit Geld, sondern mit unserer Aufmerksamkeit in Form von Werbung „bezahlen”.

Eine Strategie gegen innere und ausgesprochene Kündigungen

Trotz dieser Hürden sollte Wertschätzung nicht unterschätzt werden. Die Förderung von Wertschätzung stellt eine empfehlenswerte strategische Entscheidung dar, die jedes Unternehmen in Betracht ziehen sollte, insbesondere wenn es darum geht, junge Arbeitskräfte an das Unternehmen zu binden.

Millennials (sog. Generation Y) fühlen sich nicht verpflichtet, einem Unternehmen um jeden Preis treu zu bleiben. Sie wollen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, sich persönlich weiterentwickeln und für ihre Leistung und ihren Einsatz gelobt und geschätzt werden, wie u. a. die bereits erwähnten Ergebnisse des Gallup Engagement Index 2022 bestätigen. Marco Nink, Director of Research & Analytics von Gallup EMEA sagt dazu: „Führungskräfte kümmern sich derzeit vor allem um das Managen von Krisen, die Beschäftigten sind wieder etwas vom Aufmerksamkeitsradar verschwunden.“

Demnach ist die Führungskultur in vielen deutschen Unternehmen derzeit ausbaufähig und ein Fokus auf Wertschätzung wäre ein wichtiger Schritt, um die emotionale Bindung an das Unternehmen zu erhöhen und damit der Fluktuation entgegenzuwirken.

Literatur

Bergland, C. (2012). The neurochemicals of happiness: 7 brain molecules that make you feel great. The Athlete’s Way. Psychology Today. https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-athletes-way/201211/the-neurochemicals-happiness (zuletzt abgerufen am 18.06.2023)

Gallup (2021). State of the Global Workplace: Engagement Insights for Business Leaders Worldwide. https://www.gallup.com/de/472028/bericht-zum-engagement-index-deutschland.aspx (zuletzt abgerufen am 18.06.2023)

ZDF-Umfrage (2023). Junge Erwachsene: Jeder Fünfte will kündigen. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/umfrage-job-zufriedenheit-stress-kuendigung-100.html (zuletzt abgerufen am 18.06.2023)

Hinweis auf Ausgabe 2/2023, in der noch mehr zum Thema Wertschätzung und Mitarbeiterbindung zu lesen ist. Zum Bestellen auf das Banner klicken, es führt direkt zur Ausgabe im Onlineshop des Deuschen Psychologen Verlags.