Das agile Mindset von Führungskräften als Erfolgsfaktor für agile Transformation
Ob agile Transformation gelingt, hängt auch von den Persönlichkeitsmerkmalen der Führungskräfte ab. Der promovierte Wirtschaftspsychologe Ronald Franke erläutert, welche Merkmale in welcher Ausprägung sich besonders gut eignen und welche Implikationen sich daraus für die Auswahl und Entwicklung von Führungskräften ergeben.
Agile Transformation, New Work und Digitalisierung sind Themen, die in der heutigen Zeit von keinem Unternehmen vernachlässigt werden können. Viele Unternehmen streben eine Transformation an, doch nicht jedes Unternehmen geht diese Entwicklungsaufgabe richtig an.
Mittlerweile existiert eine recht breite Datenbasis zu den organisationspsychologischen Voraussetzungen erfolgreicher Transformationsprozesse. Immer wieder wird dabei die Bedeutung der Persönlichkeit von Führungskräften für einen nachhaltigen und positiven Wandel im Unternehmen deutlich. Im Folgenden beschreibe ich daher die Persönlichkeitsdimensionen, die einen erfolgreichen Wandel besonders stimulieren, ehe ich Ihnen Implikationen für die Praxis der Personalauswahl und -entwicklung vorstelle.
Persönlichkeit als Erfolgsfaktor von Transformationsprozessen
Agile Transformation wird häufig als reines Prozessthema aufgefasst. Die Persönlichkeit der Führungskräfte, die diesen Wandel vorantreiben sollen, wird dabei in der Regel vernachlässigt. Führungskräfte mit einem agilen Mindset sind jedoch der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Unternehmenstransformation. Ein agiles Mindset kann vor allem an drei Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne des Big Five-Modells (das vorherrschende Modell in der Psychologie zur Beschreibung von Persönlichkeit) festgemacht werden: Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Kooperation.
- Gewissenhaftigkeit: Stark gewissenhafte Menschen legen viel Wert auf Struktur, Disziplin und Kontrolle und haben eine niedrige Fehlertoleranz. Diese Qualitäten wurden in der deutschen Arbeitskultur lange Zeit hochgeschätzt, sind aber in der modernen Arbeitswelt dann eher hinderlich, wenn Agilität das Ziel ist. Denn beim Streben nach agiler Transformation braucht es Flexibilität und schnelle Entscheidungsfindung statt exzessiver Planung. Bei einem solchen Vorgehen ist die Fehlerwahrscheinlichkeit naturgemäß deutlich höher, doch flexible Menschen nehmen diese Fehler weniger schwer. Führungskräfte mit einer solchen Ausprägung können Fehler dadurch eher tolerieren und sehen diese als Chance für die Weiterentwicklung statt als einen Rückschlag.
- Offenheit: Für ein agiles Mindset braucht es des Weiteren ein hohes Maß an Offenheit. Wer eine hohe Ausprägung dieser Dimension hat, interessiert sich für neue Entwicklungen, hat einen Hang zu kreativen Lösungen und hinterfragt gefestigte Strukturen gerne kritisch. Eine sehr offene Person scheut keine Veränderung, sondern ist „offen“ für diese und freut sich auf neue Ideen und Herausforderungen. Wenig offene Personen stehen Veränderungen hingegen skeptisch gegenüber und hängen sehr an ihren eingeübten Routinen. Es liegt also auf der Hand, dass eine solche Führungskraft wenig Freude an einer agilen Transformation des Unternehmens hätte und so eher als Bremse statt als Treiber des Wandels fungieren würde.
- Kooperation: Eine der wesentlichen Anforderungen der agilen Arbeitswelt ist die Kooperation. Flache Hierarchien und Teamarbeit ersetzen immer mehr die alten, eingefahrenen Strukturen. Wer hier erfolgreich sein will, sollte also besser Teamplayer als Einzelkämpfer sein. Diese Eigenschaft schlägt sich in der Dimension Kooperation nieder. Stark kooperativen Führungskräften fällt es deutlich leichter, auf Augenhöhe mit ihren Teammitgliedern zu arbeiten und sich in deren individuelle Bedürfnisse einzufühlen.
Die Persönlichkeitsstruktur heutiger Führungskräfte
Es ist also bekannt, was ein agiles Mindset ausmacht, warum es für die agile Transformation notwendig ist und wie die Persönlichkeitsprofile von Führungskräften für eine solche Aufgabe aussehen sollten. Studien zeigen jedoch, dass viele Führungskräfte keineswegs diesem Persönlichkeitsprofil entsprechen. 36 % der Manager:innen weisen stark überdurchschnittliche Werte in punkto Gewissenhaftigkeit auf und mehr als 30 % tendieren zur Beständigkeit, welche den Gegenpol der Offenheit darstellt. Zudem zeigen Big Five-basierte Forschungsergebnisse, dass der wenig kooperative und kompetitive Typ überdurchschnittlich häufig (40 %) unter den untersuchten Führungskräften zu finden ist.
Die Daten zeigen, dass das fehlende agile Mindset ein generelles Problem bei momentanen Führungskräften darstellt. Sehr gewissenhafte, wenig offene und kompetitive Führungskräfte sind also kaum das perfekte Match für agile Transformationsaufgaben. Um dieses Missmatch zu vermeiden, sollte das Thema Persönlichkeit sowohl im Recruiting als auch in der Führungskräfteentwicklung verankert werden.
Tipps für das Recruiting
Gerade beim Recruiting sollte auf das passende Mindset geachtet werden, denn hier liegt im Vergleich zur Entwicklung der größere Hebel, wenn eine Veränderung der Persönlichkeitsstruktur in der Mitarbeiterschaft angestrebt wird. Deswegen ist es ratsam die Anforderungsprofile an die Bewerber:innen im Sinne transformationsfördernder Persönlichkeitsmerkmale zu erweitern. Die erweiterten Anforderungsprofile sollten dann mit professionellen diagnostischen Verfahren, wie z. B. fundierten (Big Five-basierten) Persönlichkeitstests, evaluiert werden.
Tipps für die Führungskräfteentwicklung
Generell ist die Persönlichkeit sehr stabil. Dies bedeutet, dass man eine sehr gewissenhafte Führungskraft nicht einfach mit etwas Training flexibel macht. Daher kommt es im Rahmen der Personalentwicklung eher auf eine passende Platzierung an. So ist es ratsam, dass Bereiche, die transformiert werden, von Führungskräften mit agilem Mindset übernommen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Führungskraft zwingend ein agiles Mindset braucht, da Transformation natürlich ein wichtiger, aber nicht der einzige Aspekt von Führung ist. Jede Persönlichkeit hat ihre Stärken und ist für unterschiedliche Aufgabenbereiche geeignet. So können Führungskräfte mit klassischem Führungsstil weiterhin in Bereichen eingesetzt werden, in denen es mehr auf Effizienz und Sicherheit als auf Innovation und Wandel ankommt.
Literatur
Puppatz, Martin (2021): Transformation im Unternehmen – Person schlägt Prozess. In: Harvard Business manager 10/2021.
Stricker, J., Buecker, S., Schneider, M., Preckel, F., & Kandler, C. (2019). Multidimensional Perfectionism and the Big Five Personality Traits: A Meta-Analysis. European Journal of Personality.
Bono, J. E., & Judge, T. A. (2004). Personality and transformational and transactional leadership: a meta-analysis. Journal of Applied Psychology.
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