New Work – Wie Sie Nebenwirkungen verhindern
New Work verspricht selbstbestimmtes Arbeiten. Doch was passiert, wenn ein Management diese revolutionäre Idee nur zum Schein auf seine Fahnen schreibt oder sie von oben durchsetzt? Carsten C. Schermuly erzählt in seinem Buch „New Work Dystopia“ davon, wie New Work in diesem Fall in Zwang münden kann. Wie sieht eine gute Umsetzung von New Work aus und welche zentrale Rolle spielt Empowerment dabei?
Herr Schermuly, wie erklären Sie es sich, dass Menschen nicht nur positive Erfahrungen mit New Work machen?
Ich habe New Work lange für etwas vornehmlich Positives gehalten. Aber es gibt Missstände. Da ist zum einen die Banalisierung des Begriffs: Wir sehen recht gut in den Daten des „New Work-Barometers“, dass viele Personaler*innen New Work lediglich mit Homeoffice gleichsetzen. Zum anderen wird der Begriff instrumentalisiert und wie Geschenkpapier um Transformationsprozesse herumgewickelt: So werden Mitarbeitenden Open-Space-Büros als New Work verkauft, obwohl eigentlich nur Mietfläche eingespart werden soll.
Viele New-Work-Projekte scheitern zudem, weil man organisationspsychologisches Wissen nicht nutzt. Unternehmen sollten nicht blind durchsetzen, was sie als New-Work-Maßnahme aufgeschnappt haben, sondern zuvor prüfen, ob die Maßnahme zur Unternehmenskultur passt. Andernfalls leiden die Menschen unter New Work.
Des Weiteren bin ich sehr skeptisch, wenn New Work zu einem Glücksversprechen wird. Dieses „Happy New Work“ halte ich auch aus einer psychologischen Sicht für gefährlich. Es gibt im Arbeitsleben nun einmal Situationen, in denen man sich vielleicht nicht so glücklich fühlt oder Herausforderungen überwinden muss. New Work sollte kein Heilsversprechen sein und nicht ins Feelgood-Management führen.
Unter welchen Voraussetzungen wirkt sich New Work positiv aus?
Die kulturellen und persönlichen Faktoren müssen stimmen. Wir wissen, dass z. B. agile Projektarbeit besonders positive Konsequenzen hat, wenn tatsächlich eine Kultur für Empowerment existiert. Wenn statt einer autoritären, streng hierarchischen Kultur eine Kultur, die Selbstbestimmung, Kompetenz und Sinnhaftigkeit wertschätzt, dominiert, kann sich die agile Projektarbeit entfalten.
Eine aggressive und kontrollierende Kultur führt zu einem agilen Theaterstück: Die sogenannten „Sprints“ der agilen Projektarbeit werden dazu genutzt, die Beschäftigten anzutreiben; die „Reviews“, also die Treffen, dienen der Kontrolle der Mitarbeitenden. Autonomie und Gleichberechtigung hingegen bleiben auf der Strecke.
Ansonsten sind Persönlichkeitsmerkmale relevant. Beispielsweise haben es Menschen, die Variabilität im Job wertschätzen, in dynamischen Projektsituationen leichter.
Ein wichtiges New-Work-Thema ist auch Selbstbestimmung. Wie viel Selbstbestimmung ist in großen Unternehmen überhaupt möglich?
Tatsächlich sehen rund drei Viertel der befragten Unternehmensvertreter*innen unseres „New Work-Barometers“ Selbstbestimmung als Zielsetzung von New Work. Zugleich sind Empowerment, Sinnhaftigkeit und Kompetenzförderung für deutlich weniger Personen ein Unternehmensziel. Unternehmen fokussieren sich also auf Selbstbestimmung, aber nicht auf deren Voraussetzungen.
Das erhöht das Risiko für Nebenwirkungen durch Selbstbestimmung: Erstens gibt es ohne Führungskraft keine Konfliktschlichtungsinstanz mehr. Mitarbeitende sollen plötzlich selbst Aufgaben und Ressourcen verteilen, das ist herausfordernd. Auch fallen alle anderen positiven Wirkungen von Führungskräften weg. Natürlich machen Führungskräfte auch Fehler, aber sie machen häufig auch viel richtig. Sie motivieren und koordinieren Prozesse, besorgen Ressourcen und vertreten das Team.
Man sollte Mitarbeitende also erst zu mehr Selbstbestimmung befähigen?
Ja. Auch muss man kritisch prüfen, was der Effizienz und psychischen Gesundheit wirklich zugute kommt. Gegebenenfalls können auch Zwischenwege zwischen der Arbeit mit und ohne Führung gefunden werden. In meinem früheren Buch „New Work Utopia“ geht es zum Beispiel auch um Leadership on Demand. Das heißt, Teams können selbst entscheiden, ob sie geführt werden wollen oder nicht. Kleine Teams aus zwei oder drei Personen sagen dann vielleicht: „Das kriegen wir schon allein hin.“ Andere Teams sagen: „Das ist uns viel zu aufwendig, wir brauchen Führung.“

Im Gespräch mit Carsten C. Schermuly (Foto: Haufe)
Wie viel Diagnostik zum Nutzen von New-Work-Maßnahmen betreiben Unternehmen?
Sehr wenig. Leider wird Diagnostik häufig noch nicht als natürlich und normal wahrgenommen. Dabei braucht man sie bei New Work an vielen verschiedenen Stellen, z. B. in der Zukunftsdiagnostik: Wohin entwickelt sich das Unternehmen? Was wollen wir in fünf Jahren mit New Work erreicht haben?
Danach sollte man den Ist-Zustand analysieren und mit dem Soll-Zustand abgleichen. Beispiel Empowerment: Als wie hoch erleben die Mitarbeitenden ihr Empowerment aktuell? In welchen Bereichen gibt es viel Empowerment, was läuft dort besonders gut? Wie geht es den Menschen in den Bereichen mit viel oder wenig Empowerment? Auf Basis dieser Erkenntnisse Methoden auszuwählen, ist sehr sinnvoll.
Was haben Unternehmen vom Empowerment der Mitarbeitenden?
Psychologisches Empowerment fördert Proaktivität, denn Menschen, die Selbstbestimmung, Sinn, Kompetenz und Einfluss erleben, verhalten sich proaktiver. Hinzu kommen sehr viele positive Folgekonsequenzen, hinsichtlich Leistung, Arbeitszufriedenheit und Stresserleben.
Wir konnten in unseren Studien auch zeigen, dass das Innovationsverhalten profitiert und Menschen mehr Flow erleben. Zudem gehen ältere Arbeitnehmende später in Rente, wenn sie Empowerment erleben.
Hängt das Empowerment-Erleben auch vom Berufsfeld ab?
Unternehmen haben häufig klare Vorstellungen davon, wer bei ihnen empowert ist und wer nicht. Die Realität sieht manchmal aber anders aus. In dieser Hinsicht finde ich das Beispiel der Müllwerker*innen spannend: Sie fahren im Lkw raus und können teilweise die Route und Reihenfolge der Stationen mitbestimmen. Am Ende des Tages sehen sie, was sie geleistet haben, und fühlen sich kompetent. Dies ist nicht unbedingt für alle Menschen gegeben, selbst wenn sie einen Homeoffice-Tag bekommen.
Ich finde es deshalb wichtig, dass man Berufsgruppen oder Generationen nicht mit Stereotypen gegenübertritt und denkt: „Die sind bestimmt besonders empowert und die nicht.“ Oder: „Für die ist das Empowerment-Konzept gut und für die nicht.“ Das sollte man Daten und gute psychologische Tests entscheiden lassen.
Welche New-Work-Maßnahmen lassen sich für gewerbliche Mitarbeitende umsetzen?
Auch hier würde ich zunächst Testungen vornehmen und danach die Mitarbeitenden direkt fragen. Wenn ich die Kolleg*innen einbeziehe, könnte sich z. B. herausstellen, dass die Übergaben bei Schichtwechseln besser organisiert werden sollten, oder dass es Bedarf an einem Qualitätszirkel gibt, damit sich die Mitarbeitenden dazu austauschen, wie sie Abläufe und die Produktqualität steigern können. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sie sollten nur auf Diagnostik und Dialog fußen.
Die Erkenntnisse aus diesen Dialogen können sehr individuell sein. Wirklich mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu treten, ihnen das Empowerment-Konzept vorzustellen und mit ihnen zu erarbeiten, was sich bei Regeln, Arbeitsprozessen und bei der Kultur ändern müsste, damit man mehr Sinn, Selbstbestimmung oder Kompetenz erlebt, finde ich enorm wichtig.
In Ihrem Buch verwenden Sie den Begriff „Geregelte Freiheit“. Was verstehen Sie darunter?
Ist Selbstbestimmung das Ziel von New Work, brauchen wir meiner Meinung nach gewisse Regeln. Regeln sind Leitplanken und bieten einen verlässlichen Raum, in dem sich Menschen frei bewegen können. Beispiel: Hybride Zusammenarbeit. Ein Team kann sich absprechen, wie, wann und womit es in der virtuellen Welt zusammenarbeiten möchte. Gute Regeln sind sinnvoll und nachvollziehbar und können bei Bedarf auch wieder abgeschafft werden.
Wie funktioniert empowermentorientierte Führung?
Empowerment-orientierte Führung ist weder Servant Leadership noch Feelgood-Management. Solche Führungskräfte sollten (1) Sinnstifter*innen sein, (2) Verantwortung übertragen, (3) Kompetenzen schulen, (4) individuell coachen, (5) Mitarbeitende partizipieren lassen und (6) selbst als glaubwürdiges Vorbild agieren. Diese Art der Führung ist sehr zeitintensiv und erfordert viel Dialog.
Wie können Unternehmen New Work einführen?
An erster Stelle steht die Zukunftsdiagnostik. Danach würde man schauen, welche organisationspsychologischen Voraussetzungen man dafür braucht, und analysiert den Ist-Zustand.
Die anschließende Intervention kann sehr unterschiedlich sein. Da empfehle ich, in Schritten vorzugehen und regelmäßig Feedback einzuholen. Die Schritte können – je nach Zielsetzung und diagnostischer Situation – unterschiedlich sein: Das kann die Arbeit an der Kultur sein oder an Regeln, das kann die Kompetenzentwicklung von Führungskräften oder Mitarbeitenden sein, das können aber auch die Beförderungsstrukturen sein.
Es gibt viele Möglichkeiten, doch die Veränderungen der soziostrukturellen Voraussetzungen sollten erst am Ende der Diagnostikphase kommen. Sie sollten ebenfalls eher in iterativen Schritten passieren, sodass man immer wieder testen kann, was erreicht wurde und ob man noch auf der Zielgeraden ist.
Unternehmen sollten also das Pferd von hinten aufzäumen.
Genau, und hier sehe ich als Psychologe auch eine besondere Verantwortung. Mitarbeitende sind keine Maschinen, an denen man ein bisschen herumdreht, sondern Menschen, die dann agile Projektarbeit, Selbstbestimmung und so weiter betreiben sollen. Das ist deren Lebenszeit und deren psychische Gesundheit, und sie haben es verdient, dass man das gut plant und dass die Voraussetzungen für die verschiedenen Maßnahmen dann auch da sind.
Der Text ist eine gekürzte Version des Interviews, das Anja Wermann geführt hat und welches in der Print-Ausgabe 3/2023 der Wirtschaftspsychologie aktuell erschienen ist.
Literatur
Schermuly, C. & Meifert, M. (2022). Ergebnisbericht zum New Work-Barometer 2022. SRH Berlin University of Applied Sciences.
(Werbung) Schermuly, C. (2023). New Work Dystopia. Scheitern im Wandel und wie es besser geht. Haufe
Wir sprachen mit:
Prof. Dr. Carsten C. Schermuly, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie und Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Berlin University of Applied Sciences.