Männer sind narzisstischer

Männer sind narzisstischer als Frauen. Alle drei Narzissmusfacetten Anspruchshaltung, Machtstreben und Gefallsucht sind bei Männern stärker ausgeprägt. Zu diesem Ergebnis kommen US-amerikanische Psychologen, die in einer Metaanalyse 355 Einzelstudien der letzten fast 35 Jahre mit insgesamt über 470.000 Teilnehmern ausgewertet haben.

Grandios und zerbrechlich

Die Organisationspsychologin Emily Grijalva lehrt an der Universität Buffalo. Zusammen mit Kollegen hat sie jetzt im Psychological Bulletin eine Überblicksstudie zu Geschlechtsunterschieden beim Narzissmus vorgelegt.

Narzissmus ist eine überdauernde Persönlichkeitseigenschaft. Personen mit hoher Ausprägung sind davon überzeugt, großartig zu sein, wollen bewundert werden und zeigen wenig Mitgefühl mit anderen. Narzissmus hat drei Facetten (jeweils mit der charakteristischen Aussage aus dem seit 1979 eingesetzten „Narcissistic Personality Inventory“):

  • Anspruchshaltung: „Ich werde niemals zufrieden sein, bevor ich nicht alles bekomme, was mir zusteht.“
  • Machtstreben: „Ich ziehe es vor, der Chef zu sein.“
  • Gefallsucht: „Ich liebe es total, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.“

Außerdem unterscheiden einige Forscher zwei grundlegende Narzissmusarten. Beim grandiosen Narzissmus ist die exhibitionistische Gefallsucht stark ausgeprägt. Beim vulnerablen Narzissmus sind eher Zurückhaltung und Ängstlichkeit bestimmend. Grandiose und vulnerable Narzissten sind jedoch gleichermaßen von ihrer Einzigartigkeit überzeugt, schätzen andere gering und werden in Beziehungen häufig als „rechthaberisch, intolerant und arrogant“ erlebt.

Die Psychologen trugen 355 Studien der letzten 31 Jahre mit insgesamt 470.846 Studienteilnehmern zusammen und berechneten die durchschnittlichen Geschlechtsunterschiede. Außerdem prüften sie, ob es Generationen- oder Altersunterschiede und mögliche Messfehler gab. Die Hauptergebnisse:

Jahrzehntelang selbstverliebte Männer

Männer waren narzisstischer als Frauen. Insgesamt hatten Männer höhere Narzissmuswerte als Frauen. Der Unterschied von d = .26 war damit zwar „klein“, entsprach in der Größe aber anderen bereits untersuchten Persönlichkeitsunterschieden, etwa beim Neurotizismus (Frauen sind emotional labiler) oder Selbstwertgefühl (Männer sind selbstbewusster). Der Geschlechtsunterschied ließ sich nur beim nach außen drängenden grandiosen, nicht aber beim in sich gekehrten vulnerablen Narzissmus finden. Hinsichtlich der drei Facetten gab es den größten Geschlechtsunterschied bei der Anspruchshaltung (d = .29), den zweitgrößten beim Machtstreben (d= .20) und einen kleineren bei der Gefallsucht (d = .04) – jeweils mit höheren Narzissmuswerten bei den Männern. Der stärker ausgeprägte männliche Narzissmus ließ sich also vor allem darauf zurückführen, dass Männer mehr für sich beanspruchten und machthungrig waren. 

Generation und Alter hatten keinen Effekt. In einer immer egoistischer werdenden Gesellschaft nahmen die Forscher steigende Narzissmuswerte über die Jahre hinweg an. Aber weder bei Männern noch bei Frauen wurden in den letzten 20 Jahre steigende Werte gefunden. Jüngere Generationen waren nicht narzisstischer als ältere, und der Geschlechtsunterschied – mehr Selbstverliebtheit bei Männern – blieb über mehrere Generationen hinweg unverändert. Auch das Lebensalter hing nicht mit dem Narzissmus zusammen. In allen Altersgruppen hatten Männer und Frauen für sich genommen ähnliche Werte, und in allen war der besagte Geschlechtsunterschied zu finden.

Messfehler konnten ausgeschlossen werden. Schließlich prüften die Forscher noch die Möglichkeit, dass die Fragebogen fehleranfällig waren und Männer wie Frauen zu narzisstischen Antworttendenzen verleiteten, obwohl sie eigentlich gar nicht hochmütig, machtgierig oder gefallsüchtig waren. Für alle diese drei Facetten konnten Messfehler aber weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Geschlechtsunterschiede blieben auch nach Herausnahme einiger ungenau messender Fragebogen-Items bestehen.

Bestraftes Dominanzstreben

Da Generationsunterschiede, Alterseffekte und Messfehler ausgeschlossen werden konnten, stehen die Ergebnisse aus Sicht der Autoren für „wahre Geschlechtsunterschiede“. Erklären lassen sie sich durch zementierte Rollenbilder. Männern wird danach Dominanzstreben – der Kern des Narzissmus – zugebilligt, bei Frauen jedoch bestraft. Letztere zügeln daher ihre Ichbezogenheit, Männer kultivieren sie. Die Unterschiede treten im Narzissmusfragebogen zutage.

Für die Forscher korrespondieren Narzissmus und Arbeitsmarkt. Das höhere Machtstreben von Männern spiegelt sich beispielsweise darin, dass es bislang nur 17 Prozent Frauen in die Vorstände von Fortune-500-Unternehmen schafften. Geschlechtsunterschiede bei der Facette „Anspruchshaltung“ gehen damit einher, dass die Gehälter der Frauen seit Jahren geringer ausfallen als die der Männer.

Männlicher Narzissmus ist jedoch mit zwei gravierenden Nachteilen verbunden: Man macht sich auf Dauer ziemlich unbeliebt und man schädigt statisch gesehen häufiger das Unternehmen. Frauen sind davor etwas gefeit – um die Spur eines geringeren Narzissmus.

Literatur

Emily Grijalva, Daniel A. Newman, Louis Tay, M. Brent Donnellan, P. D. Harms, Richard W. Robins & Taiyi Yan. (2015). Gender Differences in Narcissism: A Meta-Analytic Review [Abstract]. Psychological Bulletin, 141 (2), 261–310.