Nachgefragt: Was machen eigentlich Organisationspsycholog:innen?

Einen Blick in das Innere von Unternehmen werfen und Strukturen wirkungsvoll verändern – genau das macht Ariane Heibach beruflich. Sie hat Psychologie studiert und erzählt im Interview von ihrer Arbeit als Organisations- und Kulturentwicklerin in München und auch darüber, was sie Studierenden empfehlen würde, die später selbst in diesem Beruf arbeiten möchten.

Ariane, du hast einen Master in Psychologie und arbeitest als Organisations- und Kulturentwicklerin in München. Wie bist du ausgerechnet dort gelandet?

Eigentlich wollte ich in die therapeutische Schiene gehen, habe aber in einem Praktikum gemerkt, dass ich mich in der Wirtschaftswelt total wohl fühle. Also habe ich erst im Recruiting und dann in der Personalentwicklung gearbeitet. Ziemlich schnell war klar: Die personenbezogene Perspektive ist spannend, aber mir persönlich zu kurzfristig.

Ich wollte nicht nur zeitweise mit einzelnen Personen arbeiten, sondern langfristig und wirkungsvoll die Strukturen eines Unternehmens verändern – nämlich in der Organisationsentwicklung. Mittlerweile arbeite ich seit eineinhalb Jahren bei der Berg & Macher GmbH in München, einer Beratungsfirma für Unternehmen.

Wie kann ich mir Organisationsentwicklung konkret vorstellen?

Das läuft ungefähr so ab: Unsere Kund:innen kommen zu uns und beschreiben „Symptome”. Zum Beispiel merken sie, dass die Kommunikation untereinander nicht mehr so gut läuft wie früher. Oder dass es ihnen schwerfällt, Entscheidungen zu treffen. Als erstes lernen wir Organisationsentwickler:innen das Führungsteam des Unternehmens kennen. Gemeinsam finden wir heraus, wo sinnvolle Stellschrauben liegen, an denen wir arbeiten können.

Erst vor kurzem haben wir ein Unternehmen begleitet, das an einen neuen Eigner verkauft wurde. Dabei hat sich viel verändert, und die Menschen wussten nicht mehr: Wofür stehen wir eigentlich als Organisation und wo wollen wir hin? Zusammen haben wir Visionen herausgearbeitet, also zum Beispiel, wo das Unternehmen in fünf Jahren stehen möchte. Welche Leistungen es anbieten möchte. Wie es sich anfühlen soll, dort zu arbeiten. Dann haben wir Maßnahmen überlegt, mit denen wir dieser Vision immer näherkommen können – und so kam der Prozess ins Rollen. Unsere Kund:innen setzen die Maßnahmen nach und nach um, während wir sie begleiten, beraten und überprüfen, dass der gewünschte Effekt erzielt wird.

Welche „Symptome” haben eure Kund:innen typischerweise?

Grob zusammengefasst gibt es zwei Kategorien: Zum einen kommen zu uns mittelständische Unternehmen, die schon einige Jahre existieren und gewisse Strukturen entwickelt haben. Sie merken, dass sie mit den bewährten Strategien nicht mehr so gut zurechtkommen wie früher. Immerhin ist die heutige Zeit sehr viel dynamischer. Sie fühlen sich träge, nicht innovativ genug und wollen zukunftsfähig bleiben.

Zum anderen kommen zu uns auch sogenannte Grown-ups. Das sind Start-ups, die gewachsen sind und in einer Aufbauphase stecken. Sie spüren „Wachstumsschmerzen”, weil sie eine Größe erreicht haben, bei der sie neue Kommunikationswege brauchen, neue Rollenaufteilungen oder Regeln. Außerdem nutzen Grown-ups gerne die Chance, von Anfang an bewusst eine Unternehmenskultur zu entwickeln und sich mit ihren Werten auseinanderzusetzen.

Was meinst du damit, dass die heutige Zeit so dynamisch ist?

Die Umwelt von vielen Organisationen verändert sich – und zwar schnell. Es gibt mehr Globalisierung, mehr Digitalisierung, rapide Veränderungen und sprunghafte Entwicklungen. Wer zukunftsfähig bleiben will, muss sich an das dynamische Umfeld anpassen. Stell dir vor, eine Mitarbeitende im Außendienst führt mit dem Kunden ein Gespräch und beobachtet eine spannende Marktentwicklung, hört dabei sogar eine neue Produktidee heraus. Wenn die Mitarbeitende diese Idee über zehn Stufen innerhalb der Organisation weiterreichen muss, bis jemand eine Entscheidung trifft, ist die Dynamik schon wieder vorbei und das Unternehmen hat eine Chance verpasst. Deswegen ist es gerade in der heutigen, schnelllebigen Zeit so wichtig, gut organisiert und agil zu sein.

Du hast schon ein paar Mal das Wort „zukunftsfähig” verwendet. Was sind deiner Meinung nach Skills und Eigenschaften, die Unternehmen bald brauchen werden?

Am wichtigsten ist die Fähigkeit, mit der Dynamik in der Umwelt umgehen zu können. Das Beste, was eine Organisation machen kann, ist eine lernende Organisation zu werden. Also einen Modus zu entwickeln, in dem sie sich ständig weiterentwickelt. Zukunftsfähige Organisationen reflektieren immer wieder, wo sie hin wollen und was sie anpassen können.

Poträtaufnahme von Ariane Heibach.

Im Gespräch mit Ariane Heibach (Foto: Barbara Gandenheimer Fotografie)

Welche Rolle spielt Organisationsentwicklung deiner Meinung nach für die Menschen, die dort arbeiten?

Organisationsentwicklung beeinflusst den Kontext, in dem Menschen arbeiten. Und menschliches Verhalten ist sehr abhängig vom Kontext. Damit du dir das besser vorstellen kannst, habe ich ein Beispiel für dich: Ein Unternehmen wünscht sich, dass die verschiedenen Abteilungen mehr zusammenarbeiten und vom klassischen Silo-Denken wegkommen. Trotzdem klappt das irgendwie nicht. Und warum nicht? Weil das Unternehmen Silo-Denken – ohne es zu wissen – gefördert hat! Zum Beispiel dadurch, dass nur die aufgewandten Zeiten für eigene Projekte belohnt wurden. Bereichsübergreifend zu arbeiten hat sich für den Einzelnen einfach nicht rentiert. Oder stell dir mal eine Führungskraft vor, die sich beschwert, dass die Mitarbeitenden keine Verantwortung übernehmen. Warum machen sie das nicht? Weil sich die Führungskraft immer alle Entscheidungen zur Kontrolle vorlegen lässt oder dazwischen grätscht. Da hält sich der Einzelne lieber zurück.

Das sind nur zwei Beispiele. Es gibt noch andere Gründe, warum es in Unternehmen nicht so läuft wie gewünscht. Da kommt dann die Organisationsentwicklung ins Spiel, die versucht, das „Symptom“ zu erklären und zu lindern. Die grundlegende Frage lautet: Welches Verhalten wird in der Organisation gefördert? Welchen Arbeitskontext bietet die Organisation dem Menschen? Und wenn der Arbeitskontext stimmt, dann ist das auch ein Umfeld, in dem sich der Mensch wohl fühlt.

Salopp gesagt: Wenn es zum Beispiel in der Kommunikation hapert, dann werden höhenverstellbare Schreibtische oder Yoga-Kurse die Mitarbeitenden nicht glücklicher machen. Dann lohnt sich der „Blick nach innen“ viel mehr, um die Strukturen zu verändern und einen echten Mehrwert für die Mitarbeitenden zu schaffen.

Welche Eigenschaften helfen dir in deinem Beruf und dem „Blick nach innen“?

Am Anfang eines Projekts ist Analysefähigkeit wichtig. Vor allem als externe Beraterin – und nicht als interne Organisationsentwicklerin – lerne ich viele verschiedene Organisationen kennen. Ich muss schnell neue Kontexte verstehen und relevante Stellschrauben finden. Wichtig ist auch Kommunikationsstärke – schließlich arbeite ich mit Menschen zusammen. Manchmal in Form von Vorträgen, aber auch in Workshops und Meetings. Besonders wichtig ist es, gut zuzuhören und zwischen den Zeilen lesen zu können. In Organisationsprojekten muss ich planen und gleichzeitig flexibel auf Veränderungen reagieren können. Und, nicht vergessen: Ich bin die Beraterin, nicht die Verantwortliche. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Denn es kommt vor, dass ich Zusammenhänge erkenne, die der Kunde nicht sieht oder sieht, aber nicht angehen will. Es ist im Prinzip wie bei einer Therapie: Patient:innen müssen selbst dazu bereit sein, Themen anzugehen.

Wie läuft bei dir eine typische Arbeitswoche ab?

Ungefähr zwei bis drei Tage pro Woche bin ich unterwegs, um bei Kund:innen Workshops durchzuführen. Workshop-Tage sind meistens sehr intensiv und lang. Es gibt aber auch Tage, an denen wir Seminare vorbereiten und Konzepte ausarbeiten. Da blocke ich mir dann ein paar Stunden nur für mich, um tiefer in die Themen einzusteigen. Oder wir haben Team- Meetings, um uns bei den Projekten auf dem Laufenden zu halten.

Was würdest du Studierenden empfehlen, die später in deinem Beruf tätig sein wollen?

Was immer wertvoll ist, egal in welchem Beruf, ist Praxiserfahrung. Vor allem in der Organisationsentwicklung ist das wichtig – denn wenn du beraten willst, solltest du schon verschiedene Organisationsformen und -kulturen erlebt haben. Überlege dir gut, in welchem Arbeitsumfeld du arbeiten möchtest: Lieber als Berater:in herumreisen oder intern an einem festgelegten Arbeitsplatz arbeiten? Mit am wichtigsten ist die Persönlichkeit. Bei Beratungen wirkt viel über die eigene Person. Deshalb erforsche deinen Charakter, lerne deine Stärken kennen und baue dir dein eigenes Profil auf.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Wir sprachen mit:

Ariane Heibach ist bei Berg & Macher Prozessbegleiterin mit Schwerpunkt Organisations- und Kulturentwicklung. Ihre Leidenschaft für zukunftsfähige Organisationen entdeckte sie durch die Beschäftigung mit Kompetenzen für eine zunehmend digitalisierte Arbeitswelt. Als Psychologin und systemische Coachin stehen für sie ein ganzheitliches Menschenbild und wertschätzende Zusammenarbeit im Zentrum starker Organisationen.