Nachgefragt: Was machen eigentlich Markenpsycholog:innen?

Aus Menschen eine Love Brand machen – das macht Chanté Nöhlen mit Hand und Herz. Als Konsumentenpsychologin hilft ihr das psychologische Fachwissen dabei, die Zielgruppe in ihrem tiefsten Kern zu verstehen und eine passende Markenidentität aufzubauen.

Chanté, du bist Konsumentenpsychologin und hast deine eigene Markenagentur. Wie hat dein Weg dich dorthin geführt?

Im Wirtschaftspsychologie-Bachelor wollte ich immer in den Bereich Personalwesen gehen – bis dann die ersten Marketingfächer kamen und ich gemerkt habe: Dafür brenne ich. Auch meine Forschungsarbeiten habe ich über Konsumentenbindung oder -vertrauen geschrieben und daher meinen Master in Konsumentenpsychologie gemacht.

Dort habe ich mich viel mit Marktforschung befasst. Das war interessant und ein praktisches Fundament für meine späteren Tätigkeiten, aber mir hat die kreative Komponente gefehlt. Ich wollte Marken mitaufbauen und entwickeln. Deswegen habe ich nach dem Studium in einer Unternehmensberatung im Brandmanagement gearbeitet. Das war spannend, doch in unserer Arbeit mit großen Konzernkund:innen kam ich nicht direkt an den Markenkern ran. Also habe ich mich ein paar Jahre später dazu entschieden, eine eigene Agentur zu gründen und für Einzelunternehmer, kleinere Unternehmen und kleinere Mittelständler zu arbeiten.

Was gefällt dir an der Arbeit mit „kleineren Marken“?

Ich habe das Gefühl, etwas bewirken zu können. Heutzutage ist die Welt so überflutet mit allen möglichen Brands, und es wird immer einfacher, eine Marke ins Leben zu rufen. Schon sehr früh habe ich nach meinem Gewissen entschieden, für welche Produkte ich Markenpsychologie anwenden möchte und für welche nicht. Zigaretten oder Alkohol kommen für mich beispielsweise nicht infrage. Ich habe nichts gegen Raucher:innen und ich trinke auch selbst mal einen Cocktail – aber Menschen kaufen diese Produkte sowieso. Wenn ich hingegen für coole Brands, zum Beispiel soziale oder erklärungsbedürftige Brands, arbeite, kann ich die Welt vielleicht ein Stückchen besser machen.

Was meinst du mit „erklärungsbedürftigen Brands“?

Dazu gehören Kund:innen, die interessante und wertvolle Produkte oder Dienstleistungen haben, aber nicht ohne Weiteres verstanden werden – bis wir ins Boot kommen. Dadurch, dass wir auf Einzelunternehmer:innen und kleinere Unternehmen positioniert sind, können wir mit diesen Menschen eng zusammenarbeiten und sind sehr nah an der Markenidentität dran.

Zum Beispiel arbeiten wir für einen Tierarzt, der zwar eine laufende Praxis mit Website und ausreichend Patient:innen hat – aber vor uns wusste niemand so richtig, wofür er steht. Dadurch sind seine Kund:innen vor allem zu ihm gekommen, weil er der Tierarzt um die Ecke war. Seit wir eine Marke für ihn entwickelt haben, ist für jeden klar ersichtlich, bei welchen Leistungen er der richtige ist. Er hat nun eine eigene Brand mit Corporate Identity und einer gewissen Reputation in den sozialen Medien. Heute kommen Menschen deutschlandweit zu ihm, weil sie genau wissen, dass sie für bestimmte Behandlungen zu einem Arzt wie ihm gehen wollen. Er gibt jetzt sogar Vorträge, um sein Wissen weiterzugeben. Das ist ein Beispiel für eine erklärungsbedürftige Brand, aus der wir eine Love Brand gemacht haben. Der Begriff Love Brand meint eine Marke, die ihre Zielgruppe zu hundert Prozent versteht – in all ihren Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten. Wenn die Marke all das bietet, was die Zielgruppe sucht, dann ist das die perfekte Grundlage, um eine Bindung aufzubauen und Interaktionen –zum Beispiel einen Kauf – auszulösen.

Woran merken eure Kund:innen, dass sie eine Marke brauchen und jemanden, der ihnen bei der Entwicklung hilft?

Das ist unterschiedlich, denn manche bringen schon eine Marke mit, manche wollen sie ganz neu aufbauen. Trotzdem gibt es einige typische Hauptschmerzpunkte bei unseren Kund:innen: 

Zum Beispiel, dass die Firma in die nächste Generation geht, sodass sich die Marke in gewisser Form verjüngen und verändern muss – etwa, weil man die Brand schon sehr lange nicht mehr angepasst hat und die Außendarstellung dadurch veraltet ist. Oder, dass Firmen online Kund:innen gewinnen wollen, und dafür eine starke Brand brauchen, um im Netz überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. 

Größere Kund:innen gründen auch oft Untermarken und wünschen sich dafür von Anfang an jemanden an ihrer Seite.  

Porträtbild von Konsumentenpsychologin Chanté Nöhlen.

Im Gespräch mit Konsumentenpsychologin Chanté Nöhlen (Foto: Charaktere Markenberatung) 

Wie geht ihr bei der Entwicklung oder Anpassung einer Marke vor?

Unser Hauptprodukt ist unser „Love Brand Kit“, das einen konkreten Fahrplan vorgibt. Auf psychologischer Ebene schauen wir uns den aktuellen Markencharakter an, analysieren die Markenwahrnehmung, aber auch die Zielgruppe. Wie tickt die Zielgruppe im psychologischen Kern? Was treibt sie um? So wissen wir, wie der Markencharakter sein muss, den wir dann bauen.

Wir werden oft gefragt, was uns von einer klassischen Marketingagentur unterscheidet. Auf den ersten Blick sehen die Kund:innen eine Website, eine Visitenkarte, ein Logo – viele denken, das sei doch der typische Marketing-Output. Aber der Weg dahin und auch die Effizienz ist völlig anders, wenn man psychologisch ansetzt. Wir wissen aus der Neuropsychologie, dass Menschen, die mit Werbung interagieren, einen Charakter wahrnehmen. Im Gehirn laufen ähnliche Prozesse ab, wie wenn man jemanden kennenlernt. Man entscheidet schnell: Finde ich diese Marke sympathisch und kompetent? Habe ich Vertrauen in sie? Möchte ich mich mit ihr beschäftigen? 

Deswegen lohnt es sich, sich auf psychologischer Ebene mit der Markenidentität und der Zielgruppe auseinanderzusetzen, damit das Ergebnis am Ende in sich stimmig ist und Menschen wirklich abholt.

Welchen Unterschied macht es aus Konsument:innenperspektive, ob ein Produkt bzw. eine Dienstleistung zu einer Love Brand gehört?

Mit einem Produkt, hinter dem eine Love Brand steht, wird man sich viel mehr identifizieren. Man wird abgeholt und versteht, wer dahintersteht.

Nehmen wir das Beispiel Nutella – ursprünglich auch eine Love Brand. Mittlerweile springen sehr viele Konsument:innen ab, denn Nutella hat sich nicht ausreichend mit den wandelnden Bedürfnissen der Zielgruppe beschäftigt. Die Zielgruppe in der heutigen Zeit will beispielsweise kein Palmöl. Sie will Naturschutz. Gesunde Ernährung. In der Rezeptur von Nutella ist kaum noch Nougat, fast nur Zucker. All das hat Nutella verpasst. Mit Sicherheit werden sie das irgendwann nachholen – aber bis dahin haben sie sehr viele Menschen verloren. 

Wenn wir uns jetzt vorstellen, man liebt Nuss-Nougat, steht vor dem Regal und sieht zum einen Nutella, die natürlich eine unfassbare Markenbekanntheit hat, sieht aber auch ein neues Produkt: Ein deutsches Familienunternehmen, nur Rohrohrzucker, 70% Haselnuss, kein Palmöl und mit jedem Verkauf wird der Orang-Utan-Bestand unterstützt, der aufgrund von anderen Aktivitäten, siehe Palmöl, extrem schrumpft. Wenn man zur Zielgruppe gehört, die sich gesund ernähren will, ohne dass dafür Wälder abgeholzt werden – dann ist das eine Love Brand. 

Dank Love Brands schenken Menschen Unternehmen Aufmerksamkeit – auch in einer reizüberfluteten Welt. Solche Unternehmen grenzen sich ab, stellen Identifikation und Vertrauen her und bauen eine Bindung zu Konsument:innen auf. 

Was ist für euch das Erfolgsrezept, um eine Love Brand aufzubauen?

Der Mensch. Das ist der Grund, warum wir Personal Branding so intensiv nutzen. Natürlich kann man eine Love Brand auch ohne Personal Branding aufbauen – siehe Coca-Cola. Aber solche Konzerne haben ein deutlich größeres Werbebudget. Als einzelne:r Unternehmer:in oder als Kleinstunternehmen ist man selbst die eigene Geheimzutat. Wenn man authentisch ist, Vertrauen auslöst und somit eine Marke schafft.

Wie hat sich die Relevanz von Markenpsychologie in den letzten Jahren entwickelt?

Sie ist viel größer geworden. Unternehmer:innen haben einen deutlich größeren Wettbewerb und müssen bei ihrer Brand viel mehr tun, um aus der Masse herauszustechen. 

Für uns ist es gleichzeitig auch schwieriger, uns als Expert:innen dafür zu positionieren. Durch Tools wie ChatGPT denken viele, dass sie die Markenbildung über einfachere Wege hinbekommen. Obwohl Markenpsychologie viel relevanter ist als früher, ist sie für die Menschen gefühlt auch verzichtbarer. Wir versuchen daher klar zu vermitteln, zu welchen Ergebnissen man nur mit uns kommen kann – und warum es die psychologische Expertise braucht.

Wenn du zurückblickst auf deinen Werdegang – was würdest du anderen gerne mitgeben?

Ein sehr guter Professor hat damals etwas zu mir gesagt, für das ich bis heute sehr dankbar bin: Alles, was du machst – jedes Forschungsprojekt, jede Hausarbeit, alles an praktischen Erfahrungen – sollte ein Unique Selling Point von dir sein. Agiere heute schon so, als ob du dich für etwas bewirbst. 

Das hat mir sehr geholfen, weil ich dadurch schon immer einen hohen Anspruch an meine Arbeit hatte und darauf geachtet habe, diese zur Vermarktung meiner selbst zu nutzen. Ich bin Schritte gegangen, von denen ich wusste, dass ich mich damit selbst positionieren kann. Und das würde ich auch anderen Studierenden empfehlen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Wir sprachen mit:

Chanté Nöhlen ist Konsumentenpsychologin und Inhaberin von zwei Unternehmen, darunter die Charaktere Markenberatung.  Mit ihrem markenpsychologischen Hintergrund unterstützt sie Einzelunternehmer:innen und kleinere Unternehmen dabei, anhand des „Love Brand Kits“ oder der „Love Brand University“ starke und wirkungsvolle Lovebrands aufzubauen und in einer reizüberfluteten Welt auf sich aufmerksam zu machen.