Nachgefragt: Was machen eigentlich psychologische Marktforscher:innen?

Die Frage nach dem „Warum?“ ist es, die Ines Imdahl antreibt. Warum rauchen Menschen, warum kaufen sie Billigfleisch, warum wählen sie welche Partei? Im Interview erzählt uns die Diplom-Psychologin, wie sie mit ihrem Marktforschungsinstitut menschliches Verhalten untersucht.

Frau Imdahl, Sie sind Diplom-Psychologin und in der psychologischen Marktforschung tätig. Was genau untersuchen Sie?

In der psychologischen Marktforschung – um genauer zu sein, in der tiefenpsychologischen Marktforschung – untersuchen wir das Verhalten und Erleben von Menschen. Und zwar in allen möglichen Bereichen. Zum Beispiel: Warum finden Menschen bestimmte Marken oder Produkte gut? Warum verhalten sie sich so, wie sie es tun, zum Beispiel beim Einkaufen, beim Wählen oder beim Konsumieren von Medien?

Beauftragt wird meine Firma „rheingold salon“ von ganz unterschiedlichen Seiten. Unsere Kunden sind zum Teil Unternehmen, die produzieren, Marken herstellen, aber es sind auch politische Institutionen oder Vereine. Wir untersuchen nicht nur das Konsumverhalten, sondern auch gesamtgesellschaftliche Trends, zum Beispiel warum junge Menschen besonders häufig rechte Parteien wählen. Oder wie Social Media Jugendliche beeinflusst, ihre Werte, ihr Verhalten, sogar ihre Berufswahl.

Mit welchen Methoden finden Sie Antworten auf diese Fragen?

Wir glauben, dass tiefenpsychologische Interviews und auch Gruppendiskussionen dazu sehr gut geeignet sind. Vor allem deswegen, weil wir sehr offen und vorurteilsfrei an eine Fragestellung herangehen. Natürlich bilden wir Thesen, die wir auch überprüfen, aber die Leitfäden für unsere Gespräche sind sehr offen. Dadurch gewinnen wir viele verschiede Erkenntnisse, Perspektiven, Erklärungen und Interpretationen.

Unsere Interviews dauern zwischen zwei und vier Stunden. Interviews, die kürzer als eine Stunde sind, sind vielleicht qualitativ, aber noch nicht tiefenpsychologisch. Es braucht eine gewisse Zeit, um Zusammenhänge zu rekonstruieren und Verhalten zu erklären. Das geht nicht in zwanzig Minuten. In so einer kurzen Zeit bleiben die Proband:innen auf einer rationalen Ebene, beschreiben also nur, wie sie sich ihre Welt zurechtgelegt haben. Doch dann haben wir noch nicht rekonstruiert, wie und warum diese Haltung entstanden ist. Wir steigen daher tiefer ein, und versuchen, versteckten Bedürfnissen und Einstellungen auf den Grund zu gehen.

Außerdem sind unsere Interviews immer theoriegeleitet. Sonst würden wir unser Vorgehen nicht als empirisch fundiert oder gar wissenschaftlich bezeichnen. Wir arbeiten ausschließlich mit der morphologischen Psychologie, das ist ein Forschungsschwerpunkt an der Kölner Universität. Die morphologische Psychologie ist ein theoretischer Ansatz, der sich mit der Form und Entwicklung psychischer Prozesse beschäftigt und diese stets ganzheitlich betrachtet. Sie hat bestimmte Grundannahmen, anhand derer wir Interviews und Diskussionen relativ komplex auswerten können. Darauf legen wir großen Wert, denn tiefenpsychologische Forschung ist kein Bauchgefühl. Sie basiert auf einer wissenschaftlichen Theorie, die man erlernen kann.

Wie umfangreich ist eine tiefenpsychologische Studie bei Ihnen?

Unsere Studien bestehen aus rund 30 bis 60 Interviews. Zum Vergleich: In der Kölner Universität konnte man zu meinen Studienzeiten mit 30 tiefenpsychologischen Interviews promovieren. Wir reden hier von psychologischer Repräsentativität statt von statistischer Repräsentativität. Das Ziel unserer Forschung ist die Sinnzusammenhäng zu entschlüsseln.  nach Fragestellung gibt es verschiedene Methoden, mit denen man arbeiten kann – und die Frage nach dem Sinn und dem Warum lassen sich am besten mit tiefenpsychologischen Interviews oder Diskussionen beantworten.

Porträtfoto von Ines Imdahl

Im Gespräch mit der psychologischen Marktforscherin Ines Imdahl (Foto: Roland Breitschuh)

Wie unterscheiden sich denn die Fragen, je nachdem, ob tiefenpsychologisch oder statistisch geforscht wird?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollen wissen, wie viele Menschen in Deutschland ein Elektroauto, einen Benziner und einen Diesel fahren. Kann ich das tiefenpsychologisch beantworten? Nein. Die Frage, wie viele Menschen dazu bereit wären, mit einem Elektroauto zu fahren, auch nicht. Dazu müsste ich quantitativ und statistisch repräsentativ forschen und eine möglichst große, heterogene Stichprobe untersuchen.

Wenn ich aber erklären will, warum manche Menschen kein Elektroauto fahren wollen, welche Vorurteile und Bedenken es gibt, helfen mir meine statistischen Auswertungen nicht weiter. Das finde ich in tiefenpsychologischen Interviews besser heraus.

Man kann nicht pauschal sagen, dass eine Methode besser als die andere ist. Beide Herangehensweisen haben ihre Stärken und Schwächen; so können sie sich optimal ergänzen. Wenn es also um das Wieviel geht erweitern wir manche Studien auch um quantitative Methoden; unser Fokus liegt jedoch auf der Tiefenpsychologie und der Frage nach dem Warum.

Manche Menschen pflegen Gewohnheiten, die ihrer Gesundheit offensichtlich schaden. Wie könnte man dieses Verhalten tiefenpsychologisch erklären?

Nehmen wir als Beispiel das Rauchen. Mittlerweile sind die meisten von uns vollständig aufgeklärt und wissen, dass Rauchen ungesund ist. Jede Zigarettenschachtel warnt uns vor den gesundheitlichen Konsequenzen. Trotzdem scheint Aufklärung allein das Problem nicht zu lösen, einige Menschen kaufen weiterhin Zigaretten. Warum? Weil hinter dem Rauchen tieferliegende Motive stecken, die wir erst einmal verstehen müssen. Das können wir tiefenpsychologisch erforschen. Viele sagen dann, dass das Rauchen sie beruhigt. Beim Rauchen kann man bestimmte Aggressionen abfackeln, also im wahrsten Sinne des Wortes anzünden und verbrennen. Aber das ist nicht der einzige Grund. Studien haben gezeigt, dass Rauchen eine Form der sogenannten „oralen Befriedigung“ ist. Etwas im Mund zu haben und zu lutschen, kann beruhigend auf uns wirken. Wie bei Babys, die einen Schnuller im Mund haben. Deswegen ist das Rauchen eine eher regressive Handlung, denn wir erfüllen damit ein sehr ursprüngliches Bedürfnis. Wenn man Rauchende darauf anspricht, stimmen sie dem oft zu – auch wenn es ihnen peinlich sein kann.

Sie haben vorhin schon das Thema Kaufverhalten angesprochen. Wie lässt sich tiefenpsychologisch erklären, dass manche Menschen nicht nachhaltig einkaufen, obwohl ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist?

Fast alle Menschen sind gegen Massentierhaltung, und trotzdem kauft der Großteil der Befragten Billigfleisch im Discounter. Warum ist das so? Wir haben herausgefunden, dass viele beim Thema Nachhaltigkeit das Gefühl haben, ihnen wird nun eine Dauerdiät abverlangt. Sie dürfen nie wieder etwas genießen, dürfen sich nichts mehr gönnen und nicht mehr entspannt mit den Freunden grillen. Es ist das Gefühl des Verzichts, das sie davon abhält, nachhaltige Alternativen zu Fleischprodukten zu kaufen.

Beim Thema Nachhaltigkeit arbeiten wir deswegen mit Konzepten, die nicht auf Verzicht basieren, sondern das Verhältnis von Lust und Unlust umdrehen. Die also nicht mit Verzicht argumentieren, sondern im Grunde sagen: Es macht mehr Lust, sich nachhaltig zu verhalten, als das nicht zu tun. Dazu gehört auch, Anreize für nachhaltiges Verhalten zu schaffen.

Als beispielsweise Plastiktüten im Supermarkt kostenpflichtig wurden, war der Aufschrei zunächst groß. Die Menschen verspürten eine große Unlust, ihre eigene Einkaufstasche von zu Hause mitzunehmen. Das kehrte sich mit der Zeit um: Auf einmal hatten sie eine große Unlust, Geld für eine Plastiktüte auszugeben, und dementsprechend „Lust“, eine eigene Einkaufstasche einzupacken. Das Verhältnis von Lust und Unlust wurde in diesem Fall mit einem finanziellen Anreiz umgedreht. So – oder so ähnlich – kann man auch zu anderen nachhaltigen Verhaltensweisen motivieren.

Sie haben gesagt, dass es sehr komplex ist, tiefenpsychologische Interviews auszuwerten. Wie viele Projekte können Sie überhaupt gleichzeitig durchführen?

In der Regel laufen circa zehn bis zwölf Projekte gleichzeitig, wobei die Projektdauer bei vier bis sechs, manchmal auch acht Wochen liegt. Außerdem machen wir auch Eigenstudien: Wenn eine Frage aufkommt, deren Ergebnisse wir für wichtig halten, auch in der Öffentlichkeit, dann erforschen wir das ebenfalls.

Was ist für Sie dabei manchmal herausfordernd?

Die größte Herausforderung ist es für mich, Geduld zu haben. Das ist überhaupt nicht meine Stärke. Ich bin sehr neugierig und will immer alles sofort wissen. Dabei braucht es einfach seine Zeit, sich in ein neues Thema einzufuchsen und neue Fähigkeiten zu erlernen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch manchen jungen Menschen so geht: Man möchte möglichst schnell möglichst viel lernen. Aber bei manchen Themen dauert es, sich neue Inhalte und Kompetenzen anzueignen, und da braucht man die Geduld, den Weg zum Ziel auszuhalten.

Was empfehlen Sie Studierenden, die sich für Ihren Arbeitsbereich interessieren?

Ich empfehle allen, die Augen weit offen zu halten, und mit allem, was man sieht, kritisch umzugehen. Zu hinterfragen: Ist das, was ich hier wahrnehme, wirklich so? Kann ich mit dieser Sichtweise alles erklären? Aber auch: Tue ich gerade das, was mich wirklich erfüllt? Wer sich und seine Umwelt kritisch hinterfragt, findet rechts und links kleine Wege, die zum Ziel führen. Psychologische Marktforschung zum Beispiel ist auch nicht der klassische Weg, den Psychologie- oder Wirtschaftspsychologie-Absolvent:innen nach dem Studium gehen – auch wenn es ein sehr interessanter und wichtiger Bereich ist. Deswegen bleibt neugierig, hinterfragt viel und traut euch, einen neuen Weg zu beschreiten – auch wenn er an eurer Uni noch nicht beschritten worden ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wir sprachen mit:

Ines Imdahl ist Diplom-Psychologin, Marktforscherin im rheingold Salon, Speakerin auf Kongressen, TV-Psychologin im WDR, Buchautorin, sowie Autorin von Kolumnen und Artikeln. Mit tiefenpsychologischen und morphologischen Methoden beantwortet sie Fragestellungen rund um menschliches Verhalten – für Unternehmen, Vereine und politische Institutionen. Zudem bietet sie auf LinkedIn einen Online-Kurs zur Marktforschung an, für den man bei ihr einen kostenlosen Zugang anfordern kann.