Führungsmüdigkeit: Wie Sie jetzt Führungskräfte gewinnen und halten

Nicht nur Fachkräftemangel, auch sinkendes Interesse an Führungsrollen beschäftigt Unternehmen. HR-Expertin Regina Bergdolt zeigt, was Sie dagegen tun können.

Eine Führungsposition war lange Zeit der Einstieg in den Aufstieg – und eine echte Chance für die persönliche Entwicklung. Doch was, wenn eine Führungsposition gar nicht mehr attraktiv ist?

Ergebnisse des Führungskräfte-Radars zeigen: 30 Prozent der Befragten plagen Führungszweifel (Bertelsmann Stiftung, 2020). Sie seien sich nicht sicher, ob Führung ihnen läge, und würden ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Ein weiteres Viertel der Befragten stimmten den entsprechenden Aussagen zumindest teilweise zu. Eine neue, europäische Studie der Unternehmensberatung BCG zeigt auf: lediglich 13 Prozent der Nicht-Manager wollten überhaupt Management-Verantwortung übernehmen (Boston Consulting Group, 2021).

Interessant sind im Führungskräfte-Radar die Unterschiede beim Alter. Jüngere Führungskräfte mit weniger Erfahrung, die der Generation Y und X, haben mehr Zweifel an ihrer Führungsrolle als Führungskräfte der Generation Baby Boomer. Das bedeutet nicht, dass sich Zweifel mit zunehmendem Alter oder Berufserfahrung erledigen.

Zweifel führen schnell zum Handeln: „Dass sie prominenten Vorbildern, die einfach aussteigen, nacheifern könnten, ist ein stark unterschätztes Risiko in der deutschen Unternehmenslandschaft“, heißt es im Führungskräfte-Radar. Wer mitten im Arbeitskräftemangel Risiken ernstnimmt, muss seinen Fokus auf Führungsmüdigkeit richten.

Fatal wäre der Schluss, jüngere Führungskräfte müssten einfach „so werden wie die älteren“. Die Themen jüngerer Führungskräfte sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung, denn sie geben zentrale Impulse: „Hier muss die Garde der klassischen Führungskräfte in die Veränderung“, so Stephan Rathgeber von Manpower (Janotta, 2017).

Die Entscheidung für oder gegen eine Führungsrolle

Führungsverantwortung verlangt einem Menschen Einiges ab: hohe Leistungsbereitschaft, Selbstkontrolle, eine gesunde Selbstwertschätzung. Das affektive Führungsmotiv, die Lust auf Führung, ist nach wie vor die beste Voraussetzung. Doch die ist vielen Führungskräften offensichtlich abhandengekommen.

Das liegt auch daran, dass in der Führung Sozialkompetenzen und emotionale Vorbilder fehlen. Die BCG-Studie stellt fest: Fähigkeiten wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen oder Zuhörfähigkeit würden in vielen Organisationen vernachlässigt. Doch wie sollen Führungskräfte, die selbst wenig Gehör und Empathie finden, Mitarbeitenden diese Qualitäten bieten? Fehlen diese Ressourcen, so ist das eine sprudelnde Quelle für Selbstzweifel und emotionale Erschöpfung.

So wägen potenzielle Führungskräfte für sich ab: was bringt mir eine Führungsposition, was verliere ich dabei? Sie vergleichen vermutete Ressourcenverluste und potenzielle Ressourcengewinne, so Ingo Weinreich (IfG, 2021). Solche Gewinne sind etwa echte Unterstützung, persönliche Begleitung und Wertschätzung.

Eine junge Frau blickt mit selbstbewusst verschränkten Armen und Gesichtsausdruck in die Kamera, im Hintergrund sieht man verschiedene Mitarbeitende um einen Tisch herum diskutieren.

Nachwuchsführungskräfte brauchen Orientierung und wollen sich ohne Gesichtsverlust in der Führungsrolle erproben (Foto: fauxels – pexels.com)

Führung wieder attraktiv machen

Wer Führungskräfte gewinnen und halten möchte, kann nicht warten. Es gilt, die Organisation zu gestalten und Angebote zu machen. Das ist Aufgabe der Unternehmensleitung, in Zusammenarbeit mit erfahrenen HR-Fachkräften.

Der gute Start: Führungskraft werden

Nicht selten wird ein Talent erstmals Führungskraft und weiß nicht, was nun auf ihn oder sie zukommt. Es ist Aufgabe der Organisation, für die notwendige Klarheit zu sorgen.
Unentbehrlich sind klar definierte Anforderungen, an denen sich zukünftige Führungskräfte in Auswahlprozessen messen können. Bei Nachwuchskräften sollte man früher ansetzen: sie brauchen Orientierung und wollen sich ohne Gesichtsverlust in der Führungsrolle erproben. Development Center für interessierte Mitarbeitende sind das Angebot der Wahl, um realistische Entscheidungen zu ermöglichen.

In nicht wenigen Organisationen ist eine Führungslaufbahn mit strikten Voraussetzungen verknüpft, etwa die Bereitschaft zu globaler Mobilität. Organisationen sollten prüfen, ob diese Anforderungen in Zeiten des Remote-Working und der Familienfreundlichkeit noch passen. Schrecken sie Interessierte ab, so ist es Zeit, sie zu ändern.

Maßstab: erlebte Führung von oben

Bunte Führungsbroschüren überschreiben keineswegs die Führungsrealität einer Organisation; entscheidend ist, was Führungskräfte mit ihren eigenen Führungskräften erleben. Sind integres Verhalten, fairer Umgang und spürbarer Respekt seltenes Gut oder gelebte Praxis?
Auch obere Führungskräfte können nicht immer einschätzen, welche Wirkung ihr Verhalten und ihre Entscheidungen tatsächlich entfalten. Wer es wissen will, dem stehen passende Instrumente zur Verfügung: etwa kurze, anonyme Feedbackbefragungen zu Spot-Themen; sie bieten konkrete Anstöße zu Veränderungen.

Organisationsentwicklung: Führungsballast abwerfen

Viele Organisationen haben eine Menge an zeitaufwändigen Routinen angehäuft – stündliche Meetings, Lenkungsausschüsse, Regelwerke, digitale Trigger oder überbordende Systemnachrichten. Hier liegt enormes Potenzial, um Raum zu schaffen für die eigentliche Führungsarbeit: Ziele verfolgen, Leistung beurteilen und die Entwicklung der Mitarbeitenden fördern. Es lohnt sich daher, im Rahmen der Organisationsentwicklung Prozesse zu verschlanken – am besten mit den Expert:innen der Organisation: den Führungskräften selbst.

Führungskräfte halten

Für erfahrene Führungskräfte gibt es oft wenig Angebote, allenfalls Fachseminare. Effektiver ist Hilfe zur Selbsthilfe: professionell moderierte, kollegiale Beratungsgruppen mit externen Impulsen. Die Klärung von konkreten Problemstellungen, die solche Settings bieten, ist wichtig. Sie führen zu Lösungen, die zur Organisation passen. Unternehmensleitungen profitieren von Coachingangeboten, die entsprechend vertraulich sein müssen.

Wie steht es um Ihre Führungsinstrumente – sind diese brauchbar? So geht der Appell an alle, die Instrumente konzipieren und ausrollen. Umfangreiche, schlimmstenfalls schwer verständliche Leitfäden und Prozesse sind eine weitere Bürde. Veraltete und umständliche Instrumente ersetzen Sie am besten jetzt und heute.

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