Kein dickes Fell - Warum sich Sensitivität trotzdem auszahlt

Sensitivität wird oft als Überempfindlichkeit abgewertet, dabei birgt sie enormes Potenzial. Sie verbessert die Kommunikation in Teams und hilft Unternehmen bei der Entwicklung einer resilienten, innovativen Organisationskultur. Wie können Sie die Stärken von feinfühligen Mitarbeitenden nutzen, ihre Entfaltung unterstützen und so ein langfristig erfolgreiches Unternehmen aufbauen?

„Der hat ein viel zu dünnes Fell.“ „Die ist so empfindlich.“ 

Solche Sätze fallen schnell – oft abwertend, meist unreflektiert. In vielen Unternehmen gelten besonders feinfühlige Mitarbeitende noch immer als „schwierig“, weil sie intensiver auf zwischenmenschliche Spannungen reagieren oder sich schneller zurückziehen. Doch diese Sichtweise greift zu kurz. 

In einer dynamischen und komplexen Arbeitswelt sind nicht nur die Leistungen der Mitarbeitenden erfolgsentscheidend, sondern auch deren emotionale und soziale Intelligenz. Dabei gewinnen sensitive Mitarbeitende, die besonders feinfühlig auf emotionale und soziale Reize reagieren, in modernen Organisationen an Bedeutung. Sie können nicht nur wertvolle „Frühwarnsysteme“ für toxische Einflüsse, sondern auch Schlüsselakteur*innen in der Schaffung einer inklusiven und resilienten Unternehmenskultur sein. 

Doch wie sollten Unternehmen und Führungskräfte mit sensitiven Mitarbeitenden umgehen? 
Dieser Artikel beleuchtet die Besonderheiten sensitiver Mitarbeitender und die Chancen, die sich aus ihrer Berücksichtigung in der Unternehmensführung und -kultur ergeben. Denn Verständnis für individuelle Sensitivität sowie die Verantwortung, emotionale Reife, Klarheit und Kommunikation im Miteinander zu stärken, sind wichtiger, als ein dickes Fell vorauszusetzen. 

Was sind „sensitive Mitarbeitende“? 

Der psychologische Begriff der Hochsensibilität (HSP, Highly Sensitive Person) wurde durch Elaine Aron geprägt, die 1997 die erste empirische Grundlage zu diesem Thema legte. Laut Aron (1997) umfasst Hochsensibilität die Veranlagung, auf Sinneseindrücke und emotionale Reize stärker zu reagieren als der Durchschnitt der Bevölkerung.  

Sensitive Mitarbeitende zeichnen sich häufig durch hohe Empathie, Selbstreflexion und eine starke Wahrnehmung des Umfelds und zwischenmenschlicher Dynamiken aus. Diese Merkmale machen sie zu wertvollen Mitarbeitenden, vor allem in Organisationen, die auf Zusammenarbeit und emotionale Intelligenz angewiesen sind (Hülsheger et al., 2013). Der zentrale Unterschied zu anderen Mitarbeitenden liegt in der Intensität und Tiefe, mit der sie Eindrücke und Stimmungen wahrnehmen. 

Die besondere Rolle sensitiver Mitarbeitender 

In einer Studie von Onesti et al. (2024) wurden die Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren, Arbeitsstressoren und Führungsstilen hinsichtlich des Wohlbefindens von Mitarbeitenden untersucht. Dabei zeigte sich, dass hochsensible Personen besonders empfänglich für die Qualität ihrer Umgebung sind und stärker auf zwischenmenschliche Dynamiken reagieren. Dies lässt vermuten, dass sie frühzeitig auch auf Anzeichen von Stress oder Unzufriedenheit im Team aufmerksam werden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sehr sensitive Personen von konstruktiven Führungsstilen stärker profitieren (z. B. weniger Stressempfinden) als weniger sensitive Mitarbeitende, was ebenfalls auf ihr feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und Teamdynamiken hindeutet. 

Zudem zeigte Goleman (1995), dass Menschen mit höherer emotionaler Intelligenz – ein zentraler Aspekt von Sensitivität – eine stärkere Beziehung zu ihren Kolleg*innen und Vorgesetzten aufbauen, was die Zusammenarbeit fördert und die Teamleistung steigert. Sensitive Mitarbeitende können daher als „emotionaler Kompass“ für die Organisation fungieren, indem sie nicht nur individuelle Bedürfnisse wahrnehmen, sondern auch auf kulturelle Probleme hinweisen, bevor diese zu größeren Konflikten eskalieren. 

Führungskultur und sensitive Mitarbeitende 

Wie eine Organisation geführt wird, beeinflusst entscheidend, wie sensitive Mitarbeitende sich einbringen können. In hierarchischen oder autoritären Führungskulturen, in denen der Fokus auf schnellen Ergebnissen liegt und wenig Raum für persönliche Ausdrucksmöglichkeiten besteht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sensitive Mitarbeitende überfordert oder missverstanden werden. Sie können sich daraufhin zurückziehen, wodurch sie ihr Potenzial weniger nutzen. 

Führungskräfte, die eine inklusive, partizipative und empathische Führungskultur pflegen, schaffen hingegen ein Umfeld, in dem sich sensitive Mitarbeitende wohlfühlen und einbringen (Onesti et al., 2024). Diese Art der Führung fördert psychologische Sicherheit Edmondson (2019) und ermöglicht es den Mitarbeitenden, sich authentisch zu zeigen und ihre emotionalen und kreativen Stärken einzubringen. Psychologische Sicherheit ist also nicht nur für sensitive Mitarbeitende wichtig, sondern für alle Mitarbeitenden. Offene Kommunikation, Feedback und Transparenz fördern ein Arbeitsumfeld, in dem Mitarbeitende ihre Bedenken äußern können, ohne negative Konsequenzen zu befürchten. 

Die Forschung zu emotionaler Intelligenz und Führung (Goleman, 1995) unterstreicht, dass Führungskräfte, die ihre eigene emotionale Wahrnehmungsfähigkeit und die ihrer Mitarbeitenden schärfen, langfristig erfolgreichere Teams aufbauen. In einer zunehmend von Unsicherheit geprägten Arbeitswelt sind solche Fähigkeiten besonders wichtig, um den Herausforderungen des Marktes resilient zu begegnen. 

Vorteile einer Kultur der Sensitivität 

Organisationen mit einer Kultur der Sensitivität profitieren in mehrfacher Hinsicht: 

  • Verbesserte Kommunikation: Sensitive Mitarbeitende tragen dazu bei, Kommunikationsbarrieren zu erkennen und zu überwinden. Ihre Fähigkeit, nonverbale Signale zu verstehen, ermöglicht eine tiefere, empathische Kommunikation. 
  • Höhere Resilienz: Durch das frühzeitige Erkennen von Spannungen und Problemen innerhalb des Teams oder der Organisation können Probleme adressiert werden, bevor sie zu größeren Krisen führen. 
  • Förderung von Inklusion und Diversität: Sensitive Mitarbeitende stehen für ein inklusives und respektvolles Arbeitsumfeld. Organisationen, die diese Mitarbeitenden unterstützen, senden ein klares Signal der Offenheit für diverse Persönlichkeiten. 
  • Innovationskraft: ​Sensitive Mitarbeitende lösen Probleme oft kreativ, da sie komplexe Zusammenhänge und Muster erkennen können, die anderen entgehen (Aron & Aron, 1997). Ihre Sensitivität ermöglicht es ihnen, kreative Lösungsansätze zu entwickeln, die auf einem tieferen Verständnis von Bedürfnissen und Emotionen basieren (Bridges & Schendan, 2019). 

Sensitive Mitarbeitende fördern 

Externe Beratung kann bei der Implementierung einer Kultur der Sensitivität und bei der Schulung von Führungskräften im Umgang mit sensitiven Mitarbeitenden hilfreich sein. Mit ihrer objektiven Perspektive, fundierten Methodik und Erfahrung unterstützen externe Berater*innen Führungskräfte dabei, ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Potenziale sensitiver Mitarbeitender zu entwickeln und kulturelle Veränderungen gezielt zu steuern. Mit ihrer Begleitung können auch weniger offensichtliche kulturelle Blockaden, die die Entfaltung von sensitiven Mitarbeitenden behindern, erkannt und aufgebrochen werden. So kann eine Unternehmenskultur entstehen, die langfristig sowohl die Leistungsfähigkeit als auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden steigert.  

Auch ohne externe Unterstützung können Unternehmen erste Schritte gehen – zum Beispiel, indem Führungskräfte bewusst Raum für leise Stimmen schaffen, aktiv zuhören und regelmäßige 1:1-Gespräche zur individuellen Reflexion nutzen. Offenheit, Empathie und echtes Interesse an unterschiedlichen Persönlichkeiten sind dabei zentrale Elemente, um Sensitivität im Alltag zu leben.

Fazit 

Sensitivität sollte nicht als Schwäche angesehen werden, sondern als eine wertvolle Ressource für Unternehmen, um langfristig erfolgreich und zukunftsfähig zu bleiben.  

Sensitive Mitarbeitende können durch ihre Wahrnehmung und emotionale Intelligenz wertvolle Impulse für eine gesunde und nachhaltige Unternehmenskultur liefern. Sie tragen maßgeblich zur Schaffung eines Arbeitsumfelds bei, das Innovation, Resilienz und Inklusion fördert. Organisationen, die diese Potenziale erkennen und gezielt nutzen, werden von einer stärker vernetzten, lernbereiten und emotional intelligenten Kultur profitieren. 

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