Lebendige Leitbilder

Unternehmensleitbilder, in denen lebendige Wörter – fassbare Gegenstände, beobachtbare Handlungen, vertraute Personen – und nur wenige abstrakte Werte vorkommen, stärken die Zusammenarbeit und verbessern die Arbeitsleistung. Zu diesem Ergebnis kommen US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler. Sie werteten Vision Statements von Notfallkliniken aus und ließen Beschäftigte Spielzeug designen.

Freude reicht nicht, Lächeln muss sein

Andrew Carton ist Managementprofessor an der University of Pennsylvania. Er forscht zur Frage, wie sich Mitarbeiter Ziele setzen und diese verfolgen. Zusammen mit seinen Kollegen Chad Murphy und Jonathan Clark hat er jetzt untersucht, wie sich Unternehmensleitbilder auf die Arbeitsleistung auswirken. Ihre Ergebnisse brachte das Academy of Management Journal.

Unter einem Leitbild (Vision Statement) eines Unternehmens verstehen die Wirtschaftswissenschaftler die knappe Formulierung eines herausfordernden zukünftigen Ziels für die gesamte Firma. Ein wesentliches Element ist die bildhafte Sprache. Fassbare Substantive (z.B. „Kind“ statt „Kunde“), Verben, die beobachtbar sind (z.B. „lachen“ statt „sich freuen“), und vertraute Gegenstände oder Personen (z.B. „Eltern“ statt „Politiker“) sind bildhaft. Abstrakte, nicht beobachtbare, fremde Wörter sind wenig bildhaft. Ein weiterer Bestandteil des Leitbilds sind Werte. Das sind erwünschte Endzustände, die in allgemeinen Begriffen, wie etwa „Kundenzufriedenheit, Glaubwürdigkeit, Innovation“, ausgedrückt werden.

Notfallkliniken und Spielzeugdesigner

Die Autoren vermuteten, dass eine bildhafte Sprache das Anliegen deutlicher macht und wenige Werte weniger Verwirrung stiften. Das sollte dazu führen, dass das Unternehmensziel von vielen geteilt wird und zu zielbezogener, besserer Leistung führt. Diese Annahme testeten sie in zwei Studien.

In der ersten Studie sahen sie sich die Vision Statements von 151 kalifornischen Notfallkliniken an. Ein bildhaftes Leitbild war beispielsweise (S. 1551): 

Unser Ziel ist erreicht, wenn Spender ihren Freunden und Nachbarn sagen, dass ihre Spende für uns die beste Entscheidung war, die sie jemals getroffen haben.

Eine wenig lebendige Erklärung:

Uns macht aus, dass wir hinsichtlich der Qualitätskennzahlen Exzellenz erreichen.

Die Statements enthielten außerdem einen oder mehrere Werte. Diese Leitbilder setzten sie in Beziehung zu einem Qualitätsmarker der Kliniken: der Anzahl der erneuten Einweisungen nach einem zuvor in der Klinik behandelten Herzinfarkt. Weniger erneute Einweisungen, größerer Behandlungserfolg, bessere Klinik.

An der zweiten Studie nahmen 186 Beschäftigte aus verschiedensten Branchen teil. Sie sollten in Dreiergruppen ein neues Spielzeug für eine Spielzeugfabrik entwickelt. Ein Teil der Gruppen erhielt ein bildhaftes Vision Statement des Unternehmens (S. 1559):

Unser Ziel ist, das unser Spielzeug – jedes Stück wird in tadelloser Handarbeit von unseren Arbeitern hergestellt – macht, dass Kinder lachen und große Augen bekommen und die stolzen Eltern ebenfalls lächeln.

Der andere Teil las eine abstraktere Formulierung: 

Unser Ziel ist, das unser Spielzeug – jedes Stück wird in Perfektion von unseren Beschäftigten hergestellt – macht, dass alle unsere Kunden daran Freude haben.

Außerdem waren dazu ein einziger Wert (z.B. „Qualität“) oder ganze neun Werte (z.B. „Teamarbeit, Kundenzufriedenheit“) aufgelistet. Die Forscher schauten, welche Teams das bessere Spielzeug entwarfen, das sie von mehreren Kindern begutachten ließen.

Herzinfarkt durch zu viele Werte

Je mehr bildhafte Wörter und je weniger Werte ein Leitbild enthielt, desto besser war die Arbeitsleistung. In beiden Studien verbesserte eine lebendige Sprache der Statements die Arbeitsleistung, während zu viele genannte Werte sie verschlechterten. Die wenigsten Wiedereinweisungen nach einem behandelten Herzinfarkt hatten Kliniken, die in ihrem Vision Statement nur einen einzigen Wert aufführten, dafür aber über zwanzig lebhafte Wörter verwendeten. Die Kombination „lebendige Sprache, nur ein Wert“ glich also im Falle der herzerkrankten Patienten einer lebensrettenden Maßnahme. Außerdem sagte sie vorher, dass eine Klinik ihr Kapital gut anlegte. Auch in der zweiten Studie führte die Verknüpfung von lebendiger Sprache mit nur einem Wert im Leitbild dazu, dass innovative Spielzeuge hergestellt wurden, z.B. biegsame Magnete, mit denen man Häuser bauen konnte. Abstrakte und mit Werten überfrachtete Leitlinien würgten die Leistung der Laienspielzeugdesigner ab.

Das Leitbild wirkte über geteilte Ziele und Zusammenarbeit. In der zweiten Studie zeigte sich, wodurch ein lebendiges, nicht werte-überfrachtetes Unternehmensleitbild seine Wirkung entfalten konnte:

  1. Dadurch, dass die Mitarbeiter in einem Team ähnliche Ziele entwickelten und in ihrer eigenen Zielformulierung häufig gleichartige Wörter, wie etwa „Gewinn“, „Gewinnorientierung“ oder „Gewinnsteigerung“, verwendeten.
  2. Und dadurch, dass sie besser zusammenarbeiteten, mehr aufeinander hörten und weniger Fehler machten.

Eine lebendige Sprache und wenige Werte machten es also wahrscheinlicher, dass eine Gruppe geteilte Ziele entwickelte, Teamgeist zeigte und bessere Ergebnisse hervorbrachte. Durch zu viele Werte im Leitbild wurde all das vereitelt.

Rigoros Werte streichen

Andrew Carton und seine Kollegen fassen zusammen (S. 1565): „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Manager, die über das oberste Ziel des Unternehmens sprechen, bildhafte Wörter gepaart mit vier oder weniger Werten verwenden sollten.“

Sie empfehlen fürs Unternehmensleitbild außerdem:

  • Lebendige Wörter, auf die es ankommt, sind greifbare Gegenstände, vertraute Personen oder beobachtbare Handlungen.
  • Im Leitbild sollten überprüfbare Ereignisse genannt werden, die man feiern kann, wenn sie eintreten, z.B. „lächelnde Eltern“.
  • Manager sollten aus dem Leitbild Werte rigoros streichen. Jene wenigen dürfen bleiben, die das Unternehmen von anderen unterscheidet. Bei Unsicherheit hilft die Frage: „Wenn wir diesen Wert nicht länger kommunizieren, sichert oder verbessert das unsere Identität?“

Literatur

Andrew M. Carton, Chad Murphy & Jonathan R. Clark. (2014). A (blurry) vision of the future: How leader rhetoric about ultimate goals influences performance [Abstract].Academy of Management Journal, 57 (6), 1544-1570.