Diskriminierungsfall im Unternehmen – und jetzt?

Diskriminierungsfälle am Arbeitsplatz sind keine Einzelfälle. Was Sie tun können, wenn solch ein Fall in Ihrem Unternehmen eintritt, erläutert Wirtschaftspsychologin und Mediatorin Agnes Dyszlewski.

Der Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2023) zeigt eindeutig, dass Beratungsanfragen für Diskriminierungsfälle im Jahr 2022 ein Maximum erreicht haben. Eine andere Studie, die Diskriminierung am Arbeitsplatz untersuchte, zeigte, dass jede:r dritte Befragte sich im aktuellen Arbeitsverhältnis bereits einmal diskriminiert fühlte (ADP Research Institute, 2020). In Hinblick auf Diversity-Maßnahmen, die diversere Arbeitsplätze zur Folge haben werden, können wir auch hier mit einem Anstieg rechnen. Warum? Weil Unternehmen in kurzer Zeit nicht die nötige Umstrukturierung vornehmen können und Mitarbeitende sich in Kürze nicht das nötige Wissen aneignen, den Umgang erlernen und die Prozesse der Selbstreflektion durchlaufen können, um Diskriminierung vorzubeugen.

Diskriminierung ist dank des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Deutschland verboten. Das bedeutet, dass Unternehmen dringend handeln müssen und nicht mehr mit dem Satz „wir sind noch nicht soweit“ argumentieren können. Fühlen Sie sich als Führungskraft oder Personaler:in vorbereitet?

Was präventiv getan werden kann, um sich auf Diskriminierungsfälle vorzubereiten

Die Grundlage für jegliche Form der Veränderung ist Bildung. Dabei geht es nicht nur darum, sich Wissen anzueignen, sondern vielmehr in die kritische Selbstreflektion des eigenen Seins zu gehen. Wenn wir von Antidiskriminierung sprechen, bedarf es nicht nur eines Erlernens, sondern auch eines Verlernens. Das können Aspekte sein, die bis zu diesem Zeitpunkt möglicherweise Ihre Weltansicht zusammengehalten haben. Das ist unangenehm.

Prozesse des Erlernens und Verlernens können verunsichern, bedürfen Mut und einer klaren top- down Kommunikation im Unternehmen.

Kommunizieren Sie klar: Was ist das Ziel? Warum machen wir das? Wofür machen wir das? Hier müssen alle Generationen im Unternehmen mitgenommen werden. Das bedeutet, Verunsicherungen ernst zu nehmen und Widerstände abzubauen.

Und: Planen Sie genug Zeit ein. Wie soll ich als Mensch mein Sein, das ich seit mehreren Jahrzehnten aufrechterhalte, innerhalb eines ein- bis zweitägigen Seminars kritisch reflektieren, dekonstruieren und neu zusammenbauen? Eigentlich unmöglich, oder? Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht früh genug damit angefangen werden kann und auch, dass Follow-up Trainings notwendig sind.

Neben der Notwendigkeit der umfassenden Schulung von Mitarbeitenden und Führungskräften kann eine weitere Maßnahme die Ausbildung von Vertrauenspersonen sein. Diese können zeitgleich auch als die gesetzlich verpflichtende Beschwerdestelle agieren (§ 13 AGG). In der oben genannten Studie zu Diskriminierung am Arbeitsplatz gaben 60 Prozent der Befragten an, dass sie keine Anlaufstellen kennen. Ansprechpartner:innen im Unternehmen können für von Diskriminierung Betroffene einen sicheren Raum öffnen und im besten Fall sogar eine rechtliche Beratung anbieten. Dafür sollten Vertrauenspersonen intensiv geschult werden, um einen Umgang mit von Diskriminierung Betroffenen zu erlernen und in Gesprächsführung ausgebildet zu sein. Möglicherweise kann hier eine peer-to-peer Beratung ermöglicht werden. Wichtig: Bieten Sie den Vertrauenspersonen regelmäßig Supervision an, um Erlebtes verarbeiten und die eigene Arbeit reflektieren zu können.

Der Fahrplan Ihres Unternehmens, den Sie für Diskriminierungsfälle und andere Diversity & Antidiskriminierungsmaßnahmen ausarbeiten, sollte verschriftlicht für alle Mitarbeitenden, Führungskräfte und unbedingt auch neue Mitarbeitende einsehbar sein. Gestalten Sie solche Maßnahmen transparent, sodass auch neue Mitarbeitende aktiv entscheiden können, ob Sie in diesen Strukturen arbeiten möchten.

Was kann interventiv getan werden, um mit Diskriminierungsfällen umzugehen?

Diskriminierung betrifft das subjektive Erleben eines Individuums, weshalb das oberste ungeschriebene Gesetz ist, dass eine Diskriminierungserfahrung nicht aberkannt wird. Hierbei ist es wichtig, auf die Bedürfnisse der von Diskriminierung betroffenen Personen einzugehen. Das bedeutet zuzuhören und keine Vorannahmen zu treffen. Bedürfnisse können beispielsweise sein:

  • ein sicherer Gesprächsraum,
  • eine Entschuldigung zu hören,
  • Zeit alleine zu haben,
  • rechtliche oder psychosoziale Beratung zu erhalten oder oder oder.

Bieten Sie der Person daher die Möglichkeit des Rückzugs, einer vertraulichen Ansprechperson, eines sicheren Gesprächsraums und die Möglichkeit rechtliche und/oder psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen. Wenn unternehmensintern keine rechtliche Beratung geleistet werden kann, können die Betroffenen sich an die kostenlose rechtliche Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden. Dort wird auf Nachfrage auch eine Übersicht über lokale Beratungsstellen zur Verfügung gestellt.

Auch das Verfahren der Mediation kann als Ausgleichsgespräch angeboten werden. Dafür sollten Sie sich ausreichend informieren, was von einer Mediation bei einem Diskriminierungsfall erwartet werden kann. In einer Mediation geht es beispielsweise nicht darum, wem von Seite der Mediator:innen Recht zugesprochen wird, sondern darum Verständnis füreinander zu bekommen. Mediator:innen sind durch das Mediationsgesetz (MediationsG) ihrer Allparteilichkeit verpflichtet.

Besonders wichtig: Geben Sie der betroffenen Person Zeit. Was oftmals nicht bedacht wird, ist, dass von Diskriminierung betroffene Menschen nicht nur diese eine Diskriminierungserfahrung gemacht haben. Erlebte Emotionen sind deshalb keine Überreaktion, sondern eine Reaktion auf wiederkehrende Erlebnisse. Einen Umgang mit diesen Emotionen zu finden, ist darum die Aufgabe der Menschen gegenüber.

Was kann postventiv getan werden, um mit Diskriminierungsfällen umzugehen?

Diversity-Management bedeutet auch eine transparente Kommunikation über getroffene Maßnahmen und ebenso über gescheiterte Maßnahmen. Extern zeigt es die eigene kritische Auseinandersetzung mit gemachten Fehlern. Und intern kommuniziert es sehr deutlich, dass Diskriminierungsfälle Ernst genommen werden. Dadurch kann eine Fehlerkultur implementiert und gleichzeitig aus Vergangenem gelernt werden.

Sprechen Sie mit Ihrem Team in einem geschützten Raum – im besten Fall begleitet durch eine neutrale Person – über das Geschehene. Die aktuelle politische Lage in Deutschland zeigt wieder einmal, wozu eine Nicht-Aufarbeitung der Geschichte führt: zu einer immer wiederkehrenden Wiederholung von Ereignissen. Das wollen Sie sicher nicht auch noch bei Diskriminierungsfällen im Arbeitskontext erleben müssen, oder?

Literatur

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2023). Jahresbericht 2022. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Jahresberichte/2022.pdf

ADP Research Institute (2020). The Workforce View 2020. https://de.adp.com/ressourcen/hr-themen-wissenswertes/artikel/t/workforce-view-2020.aspx