Eltern in Führung: Die Initiative #vereinbarkeitjetzt

Als Führungskraft in Elternzeit, dann zurück in den Job, allerdings zurückgestuft. So ging es sicherlich nicht nur Nadine Quosdorf, die die Initiative #vereinbarkeitjetzt gegründet hat. Im Interview sprechen wir über ihren Weg, wie es in der Realität wirklich mit Führungspositionen in Teilzeit aussieht, welchen Handlungsbedarf sie seitens Politik und Unternehmen sieht, um Eltern im Beruf besser zu unterstützen – und auch über Paarkommunikation.

Nadine, du hast eine sehr spannende Geschichte bis es zur Gründung der Initiative #vereinbarkeitjetzt kam. Erzähl uns davon.

Sehr gern. Ich habe BWL an der dualen Hochschule in Mannheim studiert. Schon in meinem Ausbildungsunternehmen heine, einer Tochter der OTTO Group, habe ich meine Schwerpunkte gefunden: Einkauf und e-Commerce. Und das zu einer Zeit als Onlineshopping noch ganz, ganz frisch und jung war.

Ab 2003 war ich dann Modeeinkäuferin bei Breuninger und danach bei Esprit. Bin nach Stuttgart, danach nach Düsseldorf gezogen und habe bei Esprit irgendwann eine interne Stellenanzeige im e-Commerce gesehen, die mich gecatcht hat. Trotz einiger Bedenken aus meinem Umfeld war es am Ende die beste berufliche Entscheidung meines Lebens. Schon 2010 habe ich dort erlebt, was jetzt so stark mit New Work und Agilität propagiert wird, beispielsweise sehr flache Hierarchien. Es war ein sehr anderes Arbeiten als ich es bis dahin kannte. Ein freies, selbstbestimmtes Arbeiten. Das ist bis heute meine Welt.

Eine Headhunterin holte mich 2012 zu DEPOT, um zusammen mit einer großartigen Kollegin aus Österreich den Onlineshop aufzubauen. Sozusagen Start-up-Feeling im Familienunternehmen. Wahnsinnig anstrengend, keine Frage, aber auch richtig toll.

2015 kam dann unser Sohn zur Welt und mein Mann und ich sind in der Elternzeit wieder in meinen Heimatort Bühl gezogen. Wohlwissend, dass DEPOT mich behalten möchte, obwohl Homeoffice damals gar kein Thema war. Aber ich hatte eine tolle Chefin, die sagte: „Mach dir keinen Kopf, egal wie, wir kriegen das hin. Jetzt komm erstmal an und dann sehen wir weiter“. 15 Monate Elternzeit waren es am Ende. Danach habe ich im Homeoffice halbtags verteilt auf 2,5 Tage weitergearbeitet.

Von dem Titel „Leitung Onlineshop“ wurde ich zurückgestuft auf „e-Commerce-Manager“, was mir zu der Zeit passend vorkam, weil ich in dieser klassischen Denkweise war, dass mit einer Halbtagsstelle keinesfalls mehr drin ist. Ich war damit anfangs auch zufrieden, aber nach einer Weile habe ich gemerkt, dass mich irgendetwas störte.

Ich habe zwei Jahre gehadert, bis ich mir eingestanden habe, dass es mich langweilt und so weit weg ist von dem, was ich die Jahre zuvor gemacht habe. Mir fehlte die Verantwortung, mir fehlten große Zahlen und Zusammenhänge. Und so habe ich mich nebenberuflich selbstständig gemacht. Ich war dann parallel noch ein halbes Jahr angestellt, bis ich gekündigt habe, weil die Selbstständigkeit ganz gut anlief.

Porträt von Nadine Quosdorf, sie trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Mama langsam".

Im Gespräch mit Nadine Quosdorf (Foto: Lilian van Daalen)

Ich habe mich quasi aus der Not heraus mit meiner Marketingagentur Q13 selbstständig gemacht, weil ich gemerkt habe, ich brauche etwas Kreatives. Ich brauche einen Ausgleich und mehr Abwechslung. Mein Fokus liegt bis heute auf Webseiten, Brandings und Workshops. Mit der Zeit – und weil ich natürlich viel im Internet unterwegs war – habe ich die Mama-Business-Bubble für mich entdeckt und gemerkt, wie vielen Müttern es ähnlich ging. Sie haben ihren Weg nach der Elternzeit nicht mehr gefunden. Ich habe dann eine Marke innerhalb der Agentur aufgesetzt, die MAMA BUSINESS® heißt, und habe die Zielgruppe Mütter damit bedient.

Das war einerseits sehr schön und bereichernd, aber auch fürchterlich deprimierend, immer die gleichen Storys zu hören. Nicht jede will Karriere machen, wenn die Kinder da sind, aber selbst dann ist es oft schwer, wieder in den alten Betrieb zurückzukommen. Häufig bieten sie dir nur Vollzeit oder eine schlechtere Teilzeitposition an. Aus diesem Bedürfnis heraus entstand die Initiative #vereinbarkeitjetzt.

Ich habe mir dann von vorneherein sehr große Unterstützerstimmen gesucht, weil mir klar war, wenn ich das als unbekannte Person allein anpacke, hat das keine großen Auswirkungen. So habe ich bei ganz vielen Unternehmen angeklopft, war schockiert, wie wenige bisher Aktionen, Initiativen oder Maßnahmen zu dem Thema haben – und zum Glück trotzdem sehr offen damit umgingen. Entsprechend habe ich sie zu meinem ersten Event nach Düsseldorf eingeladen und dort haben sie darüber berichtet, was sie in Sachen Vereinbarkeit bereits umsetzen oder eben auch noch nicht. Das war eine sehr bereichernde Stimmung und Erfahrung. Es ist für mich so ein schöner Erfolg zu sehen, dass die Initiative Früchte trägt. Seit Anfang des Jahres gibt es zum Beispiel bei Douglas ein Familien-Netzwerk.

Diese Auftaktveranstaltung war im September 2022. Wie soll es weitergehen?

Das Ziel war, eine Art Road Show daraus zu machen, also auch in anderen Städten solche Events umzusetzen. Ich würde das wahnsinnig gerne als Kooperationsevents organisieren.

Die Auftaktveranstaltung war quasi „Proof of Concept“, d. h. ich habe bewiesen, dass es funktioniert und die großen Unternehmen Interesse am Thema haben. Event Nr. 2 sollte im besten Fall ein Kooperationsevent werden, bleiben wir mal beim Douglas-Beispiel, das wäre dann „Douglas x vereinbarkeitjetzt“. Natürlich wieder mit Speaker:innen verschiedener Unternehmen und unheimlich gerne auch aus der Politik.

Jedes Event verfolge ich mit dem klaren Ziel, mit einem Maßnahmenpaket nach Hause zu gehen und am nächsten Werktag sofort mit der Umsetzung zu starten.

Du hast eben schon das Thema Politik angesprochen. Was kann da aus deiner Sicht noch getan werden? Reichen Siegel wie „Familie und Beruf“ oder brauchen wir noch mehr?

Da ist eine unendlich große Baustelle, die schon seit Jahrzehnten besteht, und ich finde es wahnsinnig deprimierend. Wir sind ein wohlhabendes Land und schaffen es nicht, eine Basis zu finden, bei der Eltern ihre Kinder gut betreut wissen. Ich war gerade erst wieder in Frankfurt bei einer Freundin, die sagt, sie fange in drei Monaten wieder an zu arbeiten, kriege aber immer noch keinen Kita-Platz. Das ist einfach ein Unding.

Ein Unding ist meines Erachtens auch, dass in manchen Regionen die Kita Geld kostet und in anderen nicht. Meine Kollegin ist alleinerziehend mit zwei Kindern, sie zahlt 600 Euro im Monat, das geht nicht. So haben viele Mamas überhaupt keine Chance, ihr Wissen gewinnbringend einzusetzen.

Bei der ganzen Lösungsfindung sind wir auch schrecklich unkreativ. Wie wäre es z. B. mit Leih-Omas & -Opas, Co-Working mit Kind oder Nannys als Alternative zur Kita? Es gibt bereits privatwirtschaftliche Lösungen wie heynannyly oder Granny Angels, die aber auch vom Staat gefördert werden müssen. Oft heißt es: „Das war schon immer so“, anstatt zu sagen: „Wir überlegen mal, was wir Neues aufziehen könnten, um das Problem zu lösen.“ Wir sind unglaublich problem- anstatt lösungsorientiert.

Ein Vater mit einer gebastelten Krone auf dem Kopf erhält von seiner kleinen Tochter im Tütü einen Kuss auf die Stirn.

Wichtig wäre für Nadine Quosdorf ein Marketing, das mit dem alten Rollenbild aufräumt (Foto: Halfpoint – stock.adobe.com)

Was in meinen Augen auch wichtig wäre, wäre ein Marketing dahinter zu setzen, das mit diesem alten Rollenbild aufräumt. Das auch die Väter in den Fokus stellt und ihnen Mut macht, sich zu trauen, Elternzeit zu nehmen. Auf die Wirtschaft bezogen müssen natürlich auch die Vorgesetzten Vorbilder sein.

Ehrlich gesagt erwarte ich nichts von der Politik. Das haben die letzten vielen Jahre gezeigt. Ich setze meine Hoffnung auf Unternehmen, die Neues ausprobieren, die mutig sind und dich nicht fallen lassen oder sagen „Wenn du dann wiederkommst, schreib einfach eine E-Mail“, sondern dich wirklich immer noch im Boot halten, weil sie dich und deine Arbeit wertschätzen. Die ein gutes Onboarding machen, wenn du zurückkommst. Das sind alles Dinge, die eigentlich nicht schwer sind, aber so gut wie nie umgesetzt werden. Das finde ich unglaublich traurig.

Deshalb ist mein Ziel mit der Initiative, Unternehmen zu Vorbildern zu machen und nicht nur Einzelpersonen. Ich finde es toll, wenn es Corporate Influencer gibt, die auf LinkedIn sprechen, das ist großartig und wird auch immer mehr. In meinen Augen muss es aber auch Teil des Unternehmens-Marketing sein, weil das einfach eine viel größere Wucht hat und man entsprechend auch ein anderes Bild nach außen transportieren kann. Und natürlich würde ich mir solche Kampagnen und Werbung auch von den Bundesländern oder vom Bund wünschen.

Ihr habt in euren Forderungen, die ihr bei der Auftaktveranstaltung erarbeitet habt, auch noch ein paar andere Punkte, z. B. das Ehegattensplitting abzuschaffen. Das ist seit Jahrzehnten ein Thema, doch es tut sich im Grunde nichts. Auch andere Maßnahmen wie der Vaterschaftsurlaub wurden auf die längere Bank geschoben. Die Mühlen mahlen sehr, sehr langsam.

Die Prioritäten sind definitiv nicht auf der Familie oder Familienpolitik. Kein bisschen.

Also zurück zu den Unternehmen: Auf deiner Website ist mir der Begriff „Flex-Jobs“ begegnet. Wie würdest du dir diese vorstellen?

Mein Begriff Flex-Jobs sticht in die New Work-Bubble, denn letzten Endes geht es uns Eltern, wenn wir beruflich und zu Hause alles koordinieren, um fehlende Flexibilität. Nine to five ist superschwierig für viele Familien. Ich hatte z. B. in der vorhin erwähnten Teilzeit eine 2,5-Tage-Woche. Die Tage waren aber nicht fix. Wir hatten keine Stechuhr. Ich habe es dem Bedarf angepasst. Nicht nur meinem privaten, sondern auch dem unternehmerischen Bedarf. Eine gewisse Flexibilität zu haben, die nicht nur der einen Seite dient, sondern durchaus auch der anderen, ist fair.

Mir fehlt in der ganzen Diskussion generell die Empathie zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Flexibilität kann nur entstehen, wenn beide Seiten auch Lust darauf haben, etwas Neues zu probieren: Job-Tandems, also Job-Sharing, gibt es z. B. viel zu selten. Und es gibt viel zu wenige Unternehmen, die mutig genug sind zu sagen: Wir probieren es einfach mal aus. Es herrscht noch immer eine sehr starre Denke und ich kann es gerade als Mensch, der im e-Commerce mit trial & error groß wurde, nicht nachvollziehen, warum wir so wenig Mut mitbringen.

Das ist in Zeiten von Fachkräftemangel im Grunde genau das Verkehrte, in diesen alten Mustern zu verharren. Eine gute Vereinbarkeit ist auch ein Thema von Mitarbeiterbindung und -gewinnung.

Absolut. Es ist ein tolles Employer-Branding, wenn Eltern erzählen, „hier funktioniert es wirklich!“. Und die Flexibilität geht einher mit diesem blöden Thema „schlechtes Gewissen“, und zwar gegenüber meiner Chefin oder meinem Chef, aber genauso gegenüber meinen Kindern, die ich ja irgendwo „vernachlässige“. Das hat Kai Röffen auf meiner Auftaktveranstaltung so schön gesagt: Letzten Endes geht es darum glücklich zu sein. Diesem Wunsch mithilfe von Flexibilität näher zu kommen, wäre doch bei all den negativen News nicht ganz verkehrt.

Vorhin hattest du schon kurz erwähnt, dass auch die Väter oft unter den Tisch fallen. Dazu gab es neulich eine Prognos-Studie mit der Frage: Ist die deutsche Wirtschaft väterfreundlich? Wie ist dein Eindruck?

Es ist tatsächlich genau das gleiche Thema wie bei den Müttern. Wir leben ein Rollenbild der Nachkriegszeit. Ich erlebe in meinem Bekanntenkreis häufig, dass ich mit Papas spreche und sie sich, wenn sie überhaupt Elternzeit nehmen, nicht trauen, mehr als 8 Wochen in Elternzeit zu gehen.

Wir als Mütter hatten bis dato keine Wahl. Wir haben das Kind bekommen und dafür mussten wir erstmal eine Job-Pause einlegen. Das muss der Papa nicht. Er kann durchgehend weiterarbeiten. Dies gilt natürlich für jede Art Familienmodell. Egal ob Mama-Papa oder in anderer Konstellation. Und wenn mir niemand vorlebt, dass ich auch als Mann eine Pause machen kann, dann wird es für die Angestellten schwer, diesen Wunsch von unten nach oben durchzusetzen. D. h. im besten Fall leben es die Vorgesetzten vor, gehen in Elternzeit und sind Vorbild.

In Freiburg hat z. B. der Bürgermeister zwei Monate Elternzeit genommen. Es ist hilfreich, wenn jemand in Führungspositionen und besonders in sehr medienwirksamen Positionen aufsteht und laut sagt: „Ich nehme Elternzeit.” Oder “ich habe für mich eine kreative Regelung gefunden und arbeite eine Zeit lang nur halbtags.“ Es muss nicht immer dieser harte Cut sein. Je nachdem, in welcher Position man ist.

Aber langsam dreht es sich. Auch von Seiten erfolgreicher Väter, die darüber sprechen und erwähnen, wie sehr sie belächelt werden und sich deshalb ein hartes Fell angeeignet haben.

Ein junger Vater im Business-Anzug steht im Büro und hält lachend sein Baby auf dem Arm.

„Im besten Fall leben es die Vorgesetzten vor, gehen in Elternzeit und sind Vorbild“, so Nadine Quosdorf (Foto: zinkevych – stock.adobe.com)

Ja, das sind noch Einzelfälle. Ich habe gerade ein Interview gelesen mit dem Autor von Working Dad, dessen Name mir jetzt nicht einfällt.

Roman Gaida.

Danke. Er beschreibt, wie er in seiner neuen Firma ankam und sich direkt damit vorgestellt hat, dass er demnächst Zwillinge bekommt. Das hat die Tür geöffnet, danach kamen Mitarbeiter zu ihm und sagten „Ja, ich kriege auch ein Kind, ich werde Vater“. Wie ich dem Interview entnommen habe, gibt es auch Fälle, in denen man gar nicht weiß, ob der Vorgesetzte Kinder hat oder nicht.

Ganz oft, ja. Gerade in den klassischen Unternehmen. Anwälte, Steuerberater, da wird das gerne totgeschwiegen.

Kommen wir nochmal zur Rollenverteilung: Es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen über die letzten 30 Jahre deutlich angestiegen, doch die Aufteilung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung relativ gleichgeblieben ist. D. h. wir haben neben dem Gender-Pay-Gap auch einen Gender-Care-Gap. In der Initiative habt ihr euch auch dazu Gedanken gemacht. Wie kann man die Väter motivieren, dass sie sich mehr beteiligen?

Das geht letztlich nur über Kommunikation. Ich muss mit meinem Partner/meiner Partnerin reden, wenn ich im klassischen Elternmodell lebe. Und zwar tatsächlich sehr früh, so dass man sich schon bevor man sagt „Ich möchte jetzt Kinder“ überlegt, was denn für uns realistisch ist. Oft wird gar nicht darüber gesprochen, sondern abgewartet oder, weil man es nur so kennt, davon ausgegangen, dass die Frau zu Hause bleibt. Doch wenn das einmal so ist, ist es viel schwieriger zu sagen „Komm, wir drehen das jetzt nochmal komplett um“.

Mein Mann und ich hatten vor kurzem auch wieder so ein Gespräch: Ich habe aufgelistet, was die Dinge sind, die ich gerade mache, und was mir nicht passt und dann wurde ein Kompromiss gefunden. Jetzt mache ich Kind & Küche am Morgen, mein Mann macht – wenn er da ist – den Abend. Und er ist jetzt für die Kindergeburtstagsgeschenke zuständig.

„Wenn ich meine Forderungen nicht stelle, kann ich auch nichts bekommen.“

Wenn ich meine Forderungen nicht stelle, kann ich auch nichts bekommen. Wenn ich den Konflikt nur meiden will, darf ich mich auch nicht beschweren. Ich sage nicht, dass solche Gespräche schön oder einfach sind. Aber absolut notwendig.

Gerade wenn die Frau zuhause war und sich um den Haushalt gekümmert hat, hilft es auch, wenn der andere den Haushalt ein paar Tage komplett übernimmt und feststellt: „Hoppla, das ist doch ein bisschen mehr, als ich gedacht habe.“ Letzten Endes geht es immer nur darum, dass man gesehen werden möchte, ich möchte Anerkennung und Wertschätzung für meine Arbeit. Und wenn ich dann wieder “richtig” arbeiten gehe und noch den Haushalt machen soll, ist das unbefriedigend. Es geht also nur mithilfe einer offenen Kommunikation und dem Aussprechen von Erwartungen.

Falls wir merken, keiner von uns hat Lust auf das Thema, dann können wir überlegen, ob genug Geld da ist, um sich Alternativen zu suchen. Hole ich mir z. B. eine Hilfe im Haushalt? Früher war das normal. In Frankreich sind auch Au-Pairs viel alltäglicher als bei uns. Niemand will in Deutschland der/die Erste sein, denn „Uuh, man ist dann ein reicher Haushalt mit Angestellten“.

Es ist eben nicht leicht, Hilfe anzunehmen. Viele ziehen – so wie wir – aus diesem Grund in die Heimat zurück. Warum kann ich also zur Oma meines Sohnes nicht sagen: „Mensch, Mama, wenn du diese Woche Spaghetti kochst, koch doch bitte für uns mit, wäre das okay?“ Die wenigsten Großeltern werden Nein sagen, sondern helfen gerne. Auch sie freuen sich darüber, gebraucht und wertgeschätzt zu werden. Traut euch, ein bisschen häufiger um Hilfe zu bitten!

Oder man hat einmal die Woche mit Nachbar:innen oder Freund:innen einen gemeinsamen Abend und kocht abwechselnd. Das hat den Nebeneffekt, dass das Sozialleben nicht völlig verkümmert, was ebenfalls oft zum Thema wird, wenn die Familie da ist.

Zusammengefasst geht es in meinen Augen nur über eine offene und ehrliche Kommunikation. Reibung gibt es immer. Gespräche über die Aufteilung von ungeliebten Aufgaben werden selten völlig entspannt von statten gehen.

Kleiner Themenwechsel: Du warst bis vor Kurzem auf Stellensuche, wie kam es dazu?

Inzwischen war ich über vier Jahre Vollzeit selbstständig und muss mir eingestehen: Ich bin ein Workaholic. Ich bin immer on, im Geist immer bei der Arbeit. Das war sehr ungesund – besonders für meinen Körper, der es mir mit sehr schlimmen Bandscheibenvorfällen heimgezahlt hat. Also habe ich entschieden, ich möchte wieder einen klaren Rahmen haben. Ich könnte organisatorisch Vollzeit in Anstellung arbeiten, aber habe für mich beschlossen, dass ich drei Tage die Woche angestellt arbeiten und zwei Tage weiter in die Selbstständigkeit und meine Initiative investieren möchte.

Ich durfte am eigenen Leib feststellen, dass die Stellensuche eine Vollkatastrophe ist, wenn ich eine verantwortungsvolle Position in Teilzeit suche. Ich bin wahnsinnig enttäuscht. Gerade von Start-ups, die nach außen New Work propagieren. Aber wenn du mit Vorschlägen wie einem Job-Tandem oder Führung in Teilzeit kommst, dann sagen sie: „Nee, da trauen wir uns jetzt doch nicht ran“. Okay, wenn ihr euch schon nicht rantraut, trauen die Großen sich schon dreimal nicht.

Ich wusste ja, dass der Zustand schwierig ist. Aber dass er noch so verhärtet ist, hätte ich nicht erwartet. Für meine letzten Jobs wurde ich von Headhunter:innen abgeworben. Ich bin also mit einem entsprechenden Selbstbewusstsein an das Thema rangegangen.

Ich habe deutschlandweit gesucht. Dadurch, dass mittlerweile viel remote geht, war ich durchaus auch bereit zu reisen. Es liegt also nicht an der fehlenden Mobilität. Es liegt auch nicht an meinem Lebenslauf. Der ist lückenlos und ich bin stolz auf ihn. Sondern es liegt an den Stunden, die auf dem Papier stehen. Das ist extrem traurig, weil ich weiß, dass ich sehr effizient arbeite. Aber wenn du nicht einmal die Chance auf ein Gespräch bekommst, kannst du auch nicht beweisen, dass du auf Zack bist und in drei Tagen genug wuppen kannst.

Zum Glück habe ich aber eine Position gefunden, die alles vereint: Ein Thema, das ich liebe, die Fortführung meiner Selbstständigkeit und das Wachstum meiner Initiative! Seit Mai arbeite ich drei Tage mit 70 % für die Messe Karlsruhe und darf dort die neue Messe für das Thema NEW WORK mit organisieren. Auch diese Stelle war in Vollzeit ausgeschrieben und ich habe dort ziemlich frustriert angerufen und direkt gesagt, dass ich die Stelle klasse finde, aber maximal 70 % arbeiten möchte. Ohne unsere People Managerin Jenny Laue wäre ich also niemals dort gelandet.

Wir hatten letztes Jahr eine Artikelserie zu Top-Sharing, also geteilter Führung, dafür haben wir auch zwei Führungs-Duos interviewt. Allerdings waren die betreffenden Personen schon im Unternehmen und dann hat sich das Top-Sharing ergeben. Wie ist deine Erfahrung, wenn du das Thema als Bewerberin anbringst?

Die Unternehmen sehen nur den Aufwand. Sie haben beispielsweise nur einen Headcount auf dem Papier frei. Eine Person darf maximal eingestellt werden. Mit zwei Personen wird das “kompliziert”. Da gibt es doppelten Aufwand in der Gehaltsabrechnung. Das kostet mehr. Und es gibt noch mehr Gegenargumente. Aber ich behaupte, es gibt trotzdem mehr Pro-Argumente, denn wenn man zwei fähige, motivierte Personen auf eine Stelle packt, die beide vorher schon viel erreicht haben, kriege ich weitaus mehr als die doppelte Kompetenz und eine Vielzahl an Jahren Berufserfahrung.

Ich rufe darum Unternehmen dazu auf, es einfach auszuprobieren und sich dann ein Urteil zu bilden. Ich kann als Unternehmen eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter heute einstellen und in drei Wochen merken, dass das nichts wird. Egal ob im Tandem oder allein. Und genau dafür ist die Probezeit da. Man kann es nur probieren und daraus lernen. Nur weil ein Tandem nicht funktioniert, heißt das nicht, dass das Konzept Tandem nicht funktioniert. Im besten Fall startet ein Unternehmen mit zwei oder drei Tandems, um festzustellen, wo ist es die Persönlichkeit, an der es vielleicht scheitert, oder das Miteinander, das menschlich nicht funktioniert, und wo ist wirklich ein Problem im System.

Zwei Kolleginnen sitzen am Schreibtisch und reden konzentriert miteinander.

Für Job-Tandems sind gute Kommunikation und Klarheit bei den Verantwortlichkeiten unabdingbar (Foto: nenetus – stock.adobe.com)

Ich würde behaupten, die Kommunikation ist auch hier wieder das größte Thema. Es muss klar sein, wer welche Verantwortlichkeiten trägt, wie man kommuniziert, wen man bei welcher Frage anspricht usw. Das lässt sich auch unter – ich sage mal – normalen Angestellten regeln, wenn man miteinander spricht. Die Realität zeigt aber auch, wie oft das eben nicht funktioniert. Es liegt am Ende somit nicht daran, ob es Tandem-, Teilzeit- oder Vollzeitposition ist, sondern es liegt an den Menschen.

Neben der Kommunikation braucht es außerdem Empathie. Ich muss mich in mein Gegenüber hineinversetzen können und verstehen, warum sie oder er gerade so oder so entscheidet.

Abschließend nochmal ein Schwenk zur Initiative. Angenommen, jemand möchte euch gerne unterstützen, wie kann er oder sie beitragen?

Was enorm hilft und auch sehr geholfen hat, um überhaupt die Auftaktveranstaltung zu gestalten, ist, dass Unternehmen mutig sind und auch Führungspersonen sagen: Wir unterstützen diese Initiative mit unserer Stimme. Also, schreibt in einem Satz, warum ihr die Initiative toll findet und als Unternehmen unterstützen wollt.

Wir sind kein Verein und sammeln keine Spendengelder. Ich möchte anpacken und gemeinsam in die Umsetzung gehen. Lasst uns ein Event veranstalten, aus dem ein Elternnetzwerk hervorgeht. Oder im Workshop Maßnahmen für euren People & Culture Bereich entwickeln. Ihr habt bereits alle Tools im Unternehmen. Wir müssen nur klarer über Erwartungen sprechen und einfach mal anfangen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Wir sprachen mit:

Nadine Quosdorf ist Gründerin, Marketing-Expertin und seit ihrer Jugend Netzwerkerin aus Leidenschaft. Mit ihrer Marke MAMA BUSINESS® und der Initiative #vereinbarkeitjetzt trägt sie zum gesellschaftlichen Mindshift in Sachen New Work & Vereinbarkeit für Familien bei. Mit der dazugehörigen Eventreihe #vereinbarkeitjetzt bringt die Mama eines Sohnes Eltern in Führung und Unternehmen zusammen, um den Austausch auf Augenhöhe zu fördern. Ihr Ziel: Neue Flex-Jobs, um das große Potenzial vieler Eltern zu reaktivieren. Weitere Infos unter: https://vereinbarkeit.jetzt/

Literatur

Prognos (2022). Wie väterfreundlich ist die deutsche Wirtschaft? Trends, Rahmenbedingungen und Entwicklungspotenziale. Online abrufbar unter: https://www.prognos.com/sites/default/files/2022-12/BMFSFJ_Vaeterstudie_20221129_1600.pdf

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (2023). Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht 9/2023. Online abrufbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.867346.de/23-9.pdf

(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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