Job Crafting – so gestalten Sie Ihre Arbeit effektiv und gesund

Job Crafting – die Gestaltung von Arbeit entsprechend eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten – betreiben wir eigentlich alle. Etwa, wenn wir bewusst bestimmte Arbeitsaufgaben vorziehen oder uns für die Pause mit befreundeten Kolleg:innen verabreden. Wie gelingt individuelles Job Crafting, ohne dass Unternehmen fragmentieren? Arbeitspsychologin Eveline Baumgartner Meier (EB) und Unternehmensberaterin und Coach Dr. Andrea Barrueto (AB) sprechen darüber im Interview und erläutern, wie Sie das Job Crafting von Mitarbeitenden bewusst fördern können.

Frau Barrueto, Frau Baumgartner Meier, was verstehen Sie unter Job Crafting? 

AB: Job Crafting bedeutet, Arbeit zu gestalten. Wenn ich meine Arbeit nach meinen Bedürfnissen, Kompetenzen, Wünschen und nach äußerlichen Faktoren mitgestalte, sollte sie mir besser gefallen und meine Motivation, Leistung und der Unternehmenserfolg sollten steigen. 

EB: Auch meine Arbeitszufriedenheit nimmt zu, wenn die Aufgaben besser mit meinen Fähigkeiten und Bedürfnissen übereinstimmen. Durch die höhere Selbstverantwortung spüre ich, dass ich etwas bewegen und verändern kann. Das fördert meine intrinsische Motivation und mentale Gesundheit.  

Muss man Job Crafting lernen oder können das theoretisch alle? 

EB: Viele Menschen gestalten ihre Arbeit intuitiv selbst: Sie gehen mit Personen in die Kaffeepause, die sie mögen; sie prokrastinieren To-Dos, die ihnen nicht gut liegen, und ziehen andere Aufgaben vor. Auch mental legen wir uns die Arbeit zurecht. Beispielsweise, wenn der Job uns nicht gefällt, das Team aber toll ist, der Arbeitsort nah ist und der Lohn stimmt; dann können wir uns sagen: „Es ist nicht perfekt, aber es passt im Moment” Dieses mentale Abwägen passiert meistens ebenso unbewusst wie die anderen Anpassungen, mit denen wir uns die Arbeit täglich angenehmer machen.  

Im Coaching können diese Prozesse ins Bewusstsein geholt werden, um Job Crafting gezielt und nicht nur nebenbei zu nutzen. Dafür muss ich zuerst herausfinden, was ich kann und in welchen Bereichen ich eine Veränderung vornehmen will – in der mentalen Bewertung, den sozialen Interaktionen oder den Arbeitsabläufen. Je nachdem, welche Veränderungen ich vornehmen will, geht das aber nur mit der Unterstützung der Vorgesetzten. Denn viele Veränderungen müssen erst bewilligt werden.  

Welche Konsequenzen hat es, wenn Vorgesetzte die Veränderungswünsche von Mitarbeitenden nicht unterstützen? 

AB: In diesem Fall müssen sich Mitarbeitende überlegen, ob sie ihre Einstellung ändern können. Wenn ja, bleiben sie vorerst; wenn nein, werden sie gehen. 

EB: Wer Job Crafting im Keim erstickt, riskiert die Loyalität und Motivation der Mitarbeitenden. Nur wer sich wertgeschätzt und gesehen fühlt, teilt das eigene Wissen gern und bleibt dem Unternehmen erhalten. Dieses Wissen ist kostbar, weil erfahrene Mitarbeitende die Abläufe oft besser kennen als die Führungskräfte. Job Crafting sollte daher aus unserer Sicht unterstützt werden, sonst besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmende (innerlich) kündigen. 

Welche Arbeitsplatzmerkmale sind förderlich für Job Crafting? 

EB: Auf jeden Fall ein offenes Miteinander, transparente Kommunikation und Wertschätzung. Gehen Vorgesetzte auf Bedürfnisse ein, z. B. wenn Mitarbeitende Stunden reduzieren möchten? Begründen sie es nachvollziehbar, wenn es nicht möglich ist? Ermutigen sie zur Weiterentwicklung und Weiterbildung? Wie viel Flexibilität und Autonomie sind erlaubt? Gibt es Spielraum für Veränderungen oder werden Vorschläge und Ideen ohne nennenswerte Begründung abgewiesen? Außerdem ist es förderlich, wenn Führungskräfte Job Crafting vorleben. Die Mitarbeitenden gehen dann eher auf ihre Vorgesetzten zu, um ihre Bedürfnisse mitzuteilen. 

Porträtbild von Andrea Barrueto und Eveline Baumgartner Meier

Im Gespräch mit Dr. Andrea Barrueto und Eveline Baumgartner Meier (Foto: Jessica Klostermeier - Select Photography GmbH)

In Ihrem Buch beschreiben Sie den Job-Crafting-Prozess anhand von drei Phasen. Welche sind das? 

AB: Im ersten Schritt – der Reflexion – werden mithilfe verschiedener Tools die Wünsche und Ziele der Mitarbeitenden beleuchtet: Welche Werte und Stärken habe und lebe ich bei der Arbeit? Welche kann ich nicht leben und bin ich deshalb unzufrieden? 

Im zweiten Schritt wird das Job Crafting ausgearbeitet. Wir formulieren, welche Themen realistisch verändert werden können. Manche Veränderungen setzen bei der mentalen Einstellung an, andere bei den sozialen Beziehungen und wieder andere bei den Aufgaben selbst. Viele Rollen und Aufgaben können in der agilen Welt relativ flexibel angepasst werden, wenngleich nicht unbedingt von heute auf morgen und nicht in jedem Beruf. In unserem Buch befindet sich ein Fragebogen, mit dem Mitarbeitende spezifizieren können, wo genau sie für eine Verbesserung ihrer Arbeitsgestaltung ansetzen können. Auch als Führungskraft oder HR-Beauftragte ist es hilfreich zu wissen, welche Jobprofile welche Veränderungen zulassen; diese können Bewerbenden auch als Anreiz in Aussicht gestellt werden. 

Als Drittes kommt die Follow-Up-Phase. Wir wissen, Veränderungen brauchen Zeit, und es ist wichtig, immer wieder zu evaluieren, was wir geschafft und angepasst haben. Es bestärkt, wenn für uns sichtbar wird, dass wir heute anders arbeiten als noch vor einigen Monaten. 

EB: Da wir beim Job Crafting oft nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ vorgehen, ist die Follow-up-Phase unerlässlich, um zu reflektieren, was gut gelaufen ist und was nicht. Für einen selbst, aber auch für das Umfeld. Job Crafting ist individuell. Selbst wenn Mitarbeitende die gleichen Aufgaben haben, unterscheiden sie sich in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Privatleben. Ein regelmäßiges Follow-up ist daher sehr wichtig. 

Ist in Unternehmen für diesen Prozess der Raum da? 

EB: Die Zeit im Betrieb ist zum Teil eng getaktet und für die Reflexion tatsächlich ein Knackpunkt. An dem Raum für Reflexion sollten Mitarbeitende und Vorgesetzte gemeinsam arbeiten. Mitarbeitende legen eine vertiefte Reflexion am besten in die Freizeit. Für ein kurzes Innehalten gibt es aber auch im Arbeitsalltag immer wieder Möglichkeiten: Zum Beispiel, indem ich mich frage, ob mir meine aktuelle Aufgabe Freude bereitet, oder ob sie anstrengend ist. Das ist schnell aufgeschrieben.  

Unternehmen können die Reflexion unterstützen, indem sie regelmäßige Check-Ins und Feedbackgespräche etablieren. Schade finde ich, wenn diese nur als Jahresendgespräche geführt werden und es während des Jahres bei Rückmeldungen zwischen Tür und Angel bleibt. Es ist auch wichtig, durch konstruktive Kritik zu erfahren, was ich gut mache und worin ich stark bin. Denn nicht alle sind sich ihrer Stärken bewusst. 

Eine Unternehmenskultur, die das Innehalten wertschätzt, unterstützt den Prozess der Reflexion ebenso wie Programme und Workshopangebote für Stressmanagement und Achtsamkeit. Auch wenn diese in der Freizeit stattfinden. 

Wie viel Job Crafting können Unternehmen ermöglichen? 

AB: Alle Mitarbeitenden sollten zunächst bei einer neuen Arbeit ankommen, bevor sie beginnen, ihre Tätigkeiten, Beziehungen, Kontexte und inneren Einstellungen zu verändern, also zu craften. Vielleicht sind die Abläufe anders, als ich sie selbst angelegt hätte, aber sie funktionieren trotzdem.  

Die mentale Ebene ist wichtig, um zu herauszufinden, was möglich ist. Dabei ist es notwendig, mit der Organisation und den Mitarbeitenden verbunden zu bleiben. Es geht nicht nur um einen selbst. Wenn ich gewisse Aufgaben übernehmen möchte, müssen andere die restlichen Aufgaben übernehmen. Wir empfehlen, dass sich die Mitarbeitenden untereinander ihre Präferenzen mitteilen, und gleichzeitig nach einer Balance der Bedürfnisse aller Personen im System suchen. 

Wie gelingt diese Balance? 

AB: Wenn eine Person eine Aufgabe an andere abgibt, ist es hilfreich und notwendig für ein mögliches Nachjustieren, im Austausch zu bleiben. Allein die Frage „Wie geht es dir?“ schafft Raum, um bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen, z. B. wenn sich jemand unfrei oder an der persönlichen Weiterentwicklung gehindert fühlt. Diese Feedbackgespräche passen beispielsweise gut in Teamsitzungen. Dabei geht es nicht um Kontrolle, sondern um transparente Kommunikation

Das Ziel ist also, Job Crafting zu einem bewussten Prozess zu machen?  

EB: Auf jeden Fall. Ein Unternehmen ist mehr als seine Einzelteile, es ist eine lebendige Organisation. Je kleinschrittiger ich Veränderungen einbringe, desto eher kann mein Umfeld sich einschalten, wenn sich die Veränderung kontraproduktiv auswirken sollten. 

AB: Job Crafting ist für viele ein natürlicher Prozess und es ist sinnvoll, den Prozess auf die bewusste Ebene zu holen. Wir hoffen, dass Job Crafting stärker auch in den Alltag von Führungskräften kommt, um Arbeitsplätze zukunftsfähig und attraktiv zu gestalten. 

Welchen Stellenwert hat Job Crafting mit Blick auf die Zukunft? 

EB: Job Crafting kann auch mit Blick auf die mentale Gesundheit der Bevölkerung Gutes bewirken. Es kann Erschöpfung vorbeugen, weil der Job an die individuellen Ressourcen angepasst wird, dadurch kommen Arbeit und Leben besser in Einklang, und bei Überlastung können die Weichen rechtzeitig umgestellt werden. Privaten Belastungen, z. B. wenn Eltern erkranken oder Partner:innen arbeitslos werden, können wir uns nie vollständig entziehen, aber wir können mit Job Crafting darauf Rücksicht nehmen. Das fördert obendrein die Identifikation mit dem Unternehmen. 

AB: Mitarbeitende sind oft sehr kreativ und lösen viele Probleme selbst, wenn der Raum dazu da ist. Eine Klientin von mir hatte ihren Job nach knapp 20 Jahren gekündigt. Zuerst war die Organisation geschockt. Doch dann hat sie das Jobprofil neu aufteilt, sodass insgesamt fünf oder sechs Mitarbeitende schließlich die einstigen Aufgaben der Klientin übernommen haben. Das gelang, weil sie die Aufgaben gemäß ihren Bedürfnissen neu aufteilen durften. Es lohnt sich also, mutig zu sein und etwas auszuprobieren. Das wird auch angesichts der fortschreitenden technologischen Entwicklung wichtig sein. Wichtig ist, dass Sie sich selbst kennen und natürlich größere Veränderungen mit Ihrem Arbeitgeber absprechen.  

Vielen Dank für das Gespräch! 

 

Zum Weiterlesen: 

(Werbung) Barrueto, A., & Baumgartner Meier, E. (2024). Job Crafting. Arbeit besser gestalten. BusinessVillage GmbH. 

Wir sprachen mit: 

Dr. Andrea Barrueto verfolgt die Vision einer Welt mit mehr Menschlichkeit. Als Coach, Dozent und Beraterin engagiert sie sich für persönliche, teamorientierte und kulturelle Entwicklungen. Ihre Stärke liegt in der Erfassung komplexer Zusammenhänge, der Integration verschiedener Perspektiven und ihrem offenen und natürlichen Umgang mit dem Gegenüber. Sie hat in nachhaltiger Entwicklung promoviert, sich in Change Management weitergebildet und ist Integraler Mastercoach. Privat ist sie in den Bergen anzutreffen und lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. 

Eveline Baumgartner Meier begleitet seit über 20 Jahren als Arbeits- und Organisationspsychologin, Atemtherapeutin und Coach Menschen in beruflichen sowie privaten Veränderungssituationen und legt dabei besonderen Wert auf die Stärkung der Resilienz. Ihr Ansatz kombiniert psychologische und körperorientierte Methoden, um tiefgreifende, nachhaltige Veränderungen zu unterstützen. Eveline Baumgartner Meier lebt mit ihrer Familie in der Zentralschweiz.