Lächeln oder Kapitulieren? – Wie Glaubenssätze berufstätige Frauen einschränken

Frau Rusch, sind es nur innere Glaubenssätze, die dem beruflichen Erfolg von Frauen im Wege stehen? 

Natürlich gibt es zahlreiche strukturelle Erschwernisse im Leben berufstätiger Frauen. Aber die psychologische Ebene ist ebenfalls enorm wichtig, sie wird im gesellschaftlichen Diskurs jedoch oft vergessen. Dabei geht es nicht nur um ein fehlendes Selbstvertrauen, sondern um tiefe innere Überzeugungen, die nicht durch einen gut gemeinten Tipp weggehen. 

Diese Überzeugungen hängen zusammen mit Rollenerwartungen, die sich häufig widersprechen. So verträgt sich das Rollenbild einer ambitionierten Führungskraft z. B. nicht mit dem einer „guten Mutter“. Weitere häufige Themen sind das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein und immer verfügbar sein zu müssen. Darüber steht die Mutter aller Glaubenssätze: nicht gut genug zu sein.  

Um aufzuzeigen, womit sich Frauen herumschlagen, möchte ich mit den Glaubenssätzen einen bedeutsamen Faktor aus dem Verborgenen herausholen. 

Wie entstehen solche Glaubenssätze? 

Glaubenssätze werden meist in der Biografie erworben. Im Sinne des Modelllernens schauen wir uns ab, wie sich Frauen in unserem Umfeld verhalten. Zudem lehren uns Zurechtweisungen von erziehenden Personen, was ein Mädchen oder eine Mutter tun soll oder nicht. Auch über Sprichwörter und Volksweisheiten werden Glaubenssätze weitergegeben. Im Prinzip ist es das ganze lerntheoretische Spektrum, über das sich Glaubenssätze vermitteln. 

Haben Männer ebenfalls limitierende Glaubenssätze? 

Ja, aber bei Männern sind diese nicht so karriereschädigend. Männer haben z. B. oft den Glaubenssatz: Ich muss der Ernährer der Familie sein. Folglich wählen sie einen lukrativen Beruf, arbeiten Vollzeit und nehmen keine Elternzeit. Männer haben also nicht weniger Druck, aber ihr Verhalten bringt sie beruflich und finanziell weiter. Ein anderes Beispiel: Wenn Männer sich mal nicht kompetent fühlen, reagieren sie darauf anders als Frauen. Sie fangen an zu blenden, weil sie in ihrer Sozialisation gelernt haben, sich selbstbewusst zu verkaufen. Sie verbergen ihre Zweifel und kommen so im Job weiter. Frauen hingegen haben Selfpromotion als verwerflich verinnerlicht und bewerben sich seltener auf höhere Posten. 

Auf welcher Grundlage haben Sie die 18 Glaubenssätze ausgewählt, die Sie im Buch schildern? 

Ich begann mit einem offenen Brainstorming und kam auf 52 Überzeugungen, die mir in meinem Berufs- und Privatleben begegnet waren. Da manche miteinander konfundiert waren, habe ich die 18 häufigsten und für Gesundheit und Karriere bedeutsamste Glaubenssätze extrahiert.  

In einem Glaubenssatz geht es um toxische Positivität. Was ist damit gemeint? 

Unsere Gesellschaft bagatellisiert Probleme gern als Herausforderungen. Das kann anspornen, vielen Frauen wird das aber zum Verhängnis. Denn wenn es statt Problemen nur Selbstoptimierung gibt, darf man nicht mehr sagen, dass einem etwas zu viel ist.  

Frauen tun alles als positiven Stress ab und sehen nur zwei Modi: Lächeln und Funktionieren oder Kapitulieren vor dem System. Der erste Modus führt häufig in die Erschöpfung, der zweite Modus zu Minderwertigkeitsgefühlen, weil man nicht zu denen gehört, die scheinbar alles hinkriegen. Es entsteht ein Teufelskreis, in dem alle verheimlichen, wie es ihnen wirklich geht. 

„Ich bin nicht gut genug.“ „Macht ist böse.“ „Ich bin eine Rabenmutter.“– Solche Glaubenssätze machen vielen Frauen das Berufsleben schwer. Da bislang lediglich die strukturellen Hürden für berufstätige Frauen vielen bewusst sind, lenkt die Diplom-Psychologin Dr. Silke Rusch in ihrem neuen Buch „Women at work“ den Blick auf die oft vernachlässigte psychologische Ebene. Wie können wir limitierende Glaubenssätze von Frauen abbauen?

Silke Rusch steht vor einer sonnenbeschienenen Treppe.

Im Gespräch mit Silke Rusch (Foto: Stolenmoments photography)

Hängen innere Glaubenssätze und strukturelle Bedingungen zusammen? 

Das ist häufig der Fall. Wenn z. B. Schulveranstaltungen meiner Kinder auf Mittwoch, 13 Uhr, fallen, stellt mich das als Vollzeit berufstätige Mutter vor ein unlösbares Dilemma: Gehe ich nicht zu der Veranstaltung, wird mein Rabenmutter-Glaubenssatz bestätigt. Gehe ich hin, muss ich bei der Arbeit Abstriche machen. Für die mentale Gesundheit sind solche Dilemmata der Killer.  

Frauen stoßen in unserer Gesellschaft auf viele Erschwernisse: Ungünstige Meeting-Zeiten oder Termine der Kinder, aber auch Machtkulturen in Unternehmen. Wenn das ganze Führungsgremium männlich ist und nur die männliche Sichtweise mitdenkt, haben Frauen keinen Raum für ihre Belange. Die resultierenden Diskriminierungserfahrungen zahlen auf ein Belastungskonto ein, sodass die psychische Belastung von Frauen wie von anderen marginalisierten Gruppen strukturell bedingt hoch ist.  

Sollten sich Frauen im Job möglichst „männlich“ verhalten? 

Tatsächlich wirkt das auf andere laut Studienbefunden nicht sympathisch. Vielmehr stehen Frauen vor der Wahl, sympathisch und inkompetent rüberzukommen oder kompetent und negativ. Ähnlich ist es beim Beauty Bias: Sie dürfen nicht unattraktiv sein, aber zu attraktiv ist (besonders in Führungsrollen) auch schlecht. Man kann es eigentlich nicht richtig machen. Viele Frauen haben daher gelernt, „unkompliziert“ zu sein und alles im Griff zu haben. 

Laut Ihrem Buch haben Frauen häufig Verantwortung, aber selten Macht. Wie kommen Sie darauf? 

Da in der Geschichte mächtige Personen immer männlich waren, assoziieren Frauen die Attribute „weiblich“ und „mächtig“ weniger miteinander. Zudem sind Macht und Verantwortung zwar zwei Seiten derselben Medaille, aber Frauen neigen erfahrungsgemäß dazu, sie voneinander abzuspalten. Verantwortung passt zum weiblichen Rollenbild, vor Macht schrecken sie eher zurück. Bei Männern, denen qua Geschlecht Macht zugesprochen wird, ist es meist andersherum. Dadurch tragen Frauen zwar z. B. häufig die Verantwortung für das Teamklima oder die Kindererziehung, doch die Gestaltungsmacht liegt woanders. Wir brauchen ein Umdenken, denn Macht bedeutet zuvorderst Einflussnahme und positive Gestaltung. Nur wenn Frauen beides übernehmen und die positive Seite von Macht erkennen, ist Chancengleichheit denkbar. 

Wie können hinderliche Glaubenssätze abgebaut werden? 

Es beginnt immer mit Bewusstsein: Wie denken wir und warum? Das sichtbar zu machen, ist wichtig, weil wir Glaubenssätze nur verändern können, wenn wir uns ihrer bewusst sind.  

Zudem hatten Glaubenssätze immer auch mal einen Zweck. Großmütter haben uns z. B. nicht aus bösem Willen dazu angehalten, keine kurzen Röcke anzuziehen. Die gute Absicht macht den Glaubenssatz nicht besser, aber wir können, wenn wir ihn kennen und verstehen, leichter entscheiden, ob wir ihn behalten oder ablegen wollen. 

Freilich kann man Glaubenssätze nicht ablegen wie einen alten Mantel, aber wir können mit ihnen in einen inneren Gerichtssaal gehen. Bei dieser Übung können Sie sich vorstellen, die inneren Stimmen müssten vor Gericht Beweise für ihren Standpunkt vorbringen, ihnen wird nicht mehr unmittelbar gefolgt.  

Können auch Interventionen auf organisationaler Ebene helfen? 

Auf jeden Fall, z. B. durchdachte Vereinbarkeitslösungen: Elternzeit für männliche Führungskräfte normalisieren, Teilzeitführung oder Jobsharing, Lebensarbeitszeitkonten oder Meetings nur vor 13 Uhr – all das sind Varianten, die nicht nur bei Frauen zu stärkenden Glaubenssätzen führen, sondern bei allen Mitarbeitenden. Es gilt, psychologische Sicherheit herzustellen, sodass Frauen über Probleme, Zweifel, Blockaden sprechen können, ohne Nachteile davonzutragen. Auch durch Netzwerke und Mentoring entstehen sichere Räume. 

Darüber hinaus verhindern regelmäßige Potenzialanalysen, dass nur die „Thomasse und Christians“ befördert werden. Sie ermöglichen, frühzeitig auch weibliche Talente zu erkennen.  

Außerdem sollten Unternehmen Führungskräfte darin schulen, Sexismus und Misogynie zu detektieren und zu ahnden. Wenn Unternehmen weibliche Mitarbeitende nicht verlieren wollen, müssen sie auf eine diskriminierungsfreie Kultur hinarbeiten. Das kann nur mit allen zusammen gelingen.  

Was raten Sie Frauen, die sich in einem Teufelskreis aus inneren Glaubenssätzen und strukturellen Hürden gefangen fühlen? 

Neben der inneren geistigen Arbeit sind Gespräche, z. B. im Mentoring, hilfreich. Ist man jedoch bereits an einem Punkt totaler Erschöpfung, dann ist fachliche Unterstützung im Coaching oder in der Psychotherapie ratsam. Fachleute haben einen objektiveren Blick als etwa Partner*innen oder Vorgesetzte, die Teil des Systems sind und immer auch Eigeninteressen haben. 

Haben Sie selbst Erfahrungen mit karrierehinderlichen Glaubenssätzen gemacht? 

Meine Mutter hat mich sehr oft direkt bestärkt. Womöglich, weil sie selbst diese Förderung nicht hatte. Trotzdem kann ich an viele der 18 Glaubenssätze aus dem Buch einen Haken setzen. Ich stamme z. B. nicht aus einem Akademikerhaushalt und habe mich in akademischen Kreisen oft wie Falschgeld gefühlt, weshalb ich lange Zeit mein Netzwerk nicht gut genutzt habe.  

Vielen Dank für das Gespräch!

Zum Weiterlesen: 

Rusch, S. (2025). Women at work. Haufe.

Wir sprachen mit: 

Silke Rusch ist leitende Psychotherapeutin in einer großen Psychiatrie, Supervisorin und Mutter von vier Kindern. Nebenberuflich engagiert sie sich als Speakerin und Botschafterin für das Thema mentale Frauengesundheit.