Strategische Unternehmensentwicklung: Von der Gegenwart zum Future Self
Wie treffen Führungskräfte zukunftssichere Entscheidungen? Erfahren Sie in diesem Artikel, wie das Wissen um das Future-Self-Konzept und Erkenntnisse der aktuellen Hirnforschung Transformationen in Ihrem Unternehmen beschleunigen und die Verbindung zwischen Gegenwart und Zukunft erfolgreich stärken.
Was ist das Future Self und warum ist es wichtig?
Unsere Entscheidungen werden nicht nur von der Gegenwart, sondern auch sehr von Erfahrungen aus der Vergangenheit und von Vorstellungen über die Zukunft beeinflusst. Ein oft unterschätzter Faktor für gute Entscheidungen ist dabei das „Future Self“ – unser Bild von uns selbst in der Zukunft.

Grafik: Monika Müller, FCM Finanz Coaching
Studien zeigen: Je stärker die Verbindung zwischen gegenwärtigem und zukünftigem Ich ist, desto nachhaltiger sind unsere Entscheidungen (Hershfield, 2011). Im Unternehmenskontext bedeutet das: Führungskräfte, die sich mit ihrem zukünftigen Ich und der Unternehmensvision identifizieren, treffen schneller klare Entscheidungen – insbesondere in Transformationsprozessen oder bei langfristigen Investitionen.
Die aktuelle Hirnforschung zeigt uns aber auch: Entscheidungen werden nicht von Fakten der Gegenwart, sondern überwiegend unbewusst von unseren Erfahrungen in der Vergangenheit gesteuert (Feldmann Barrett, 2023). Das heißt, damit Strategie und Pläne genügend Zugkraft für die notwendigen Schritte auslösen, braucht ein Teil der Führungskräfte gezielte Impulse, um eine stabile mental-emotionale Brücke zwischen ihren bisherigen Erfahrungen und ihrem Zukunfts-Ich zu bauen.
So nutzen Sie das Future Self im Unternehmensalltag
Dieses Konzept lässt sich leicht auf Management und Unternehmensführung übertragen. Die zentrale Frage ist: Wie stark identifizieren sich die Entscheider:innen mit ihrem zukünftigen Ich?
Wer noch wenig Bezug zu seinem Future-Ich spürt, wird sich schwertun, eine mutige Entscheidung zu treffen und erste Schritte zu gehen. Für einen ist das Future Self dann wie ein Fremder auf der Straße. Wer sich seinem Futures Self bereits nahe fühlt, wie einem oder einer Freund:in, hat eine hohe Motivation, alles für diese:n Freund:in zu tun, damit dessen bzw. deren Zukunft in diesem Unternehmen lebenswert wird. Um also gute Entscheidungen für das Unternehmen und seine Entwicklung treffen zu können, muss diese Nähe entweder vorhanden sein oder aufgebaut werden. Heutiges und zukünftiges Ich sind keine Klone, Unterschiede dürfen sein, es zählt vor allem die gefühlte Verbindung.
Praktische Übung: Nähe oder Distanz?
Wie stark ist Ihre Verbindung zwischen Current und Future Self?
Zeichnen Sie spontan zwei Kreise:
- Einer symbolisiert Ihr heutiges Ich im Unternehmen,
- der andere Ihr Ich in zehn Jahren.
Wie stark überlappen die Kreise?

Grafik: Hershfield, 2011
Diskutieren Sie im Team, welche Maßnahmen helfen, die Verbindung zu stärken – für Führungskräfte und Mitarbeitende.
Das Future Self im Coaching
Bei strategischen Entscheidungen und Transformationsprozessen wird die Zukunft eines Unternehmens ausführlich diskutiert, jedoch ohne das Future Self explizit mit einzubeziehen. Diese Verbindung wird als selbstverständlich angenommen. Doch Führungskräfte müssen oft zunächst die Frage klären: Sehe ich mich in zehn Jahren noch in diesem Unternehmen?
Dies zu klären ist entscheidend, bevor die Verbindung zum Future Self gestärkt werden kann. Bestehen Zweifel, sollte zuerst die aktuelle Situation reflektiert werden: Bin ich im richtigen Unternehmen?
Entscheidet sich die Führungskraft im Coaching „neu“ für ihr Unternehmen, stärkt sie zugleich die Verbindung mit ihrem Future Self im Unternehmen. Wählt sie den Ausstieg, kann sie das Konzept Future Self für die Suche nach einem passenden neuen Unternehmen nutzen.
Praxisbeispiel aus einem mittelständischen Unternehmen
Ein Unternehmen zögerte jahrelang, wichtige Investitionsentscheidungen zu treffen, obwohl die vom Gründer klar kommunizierte Vision von allen Entscheidungsträgern akzeptiert wurde. Die Lösung kam mit der Future-Self-Übung im Rahmen eines Strategie-Workshops.
Die erste Erkenntnis: Viele Führungskräfte in diesem Team hatten nur wenig Verbindung zu ihrem zukünftigen Ich im Unternehmen. Der Unternehmer nahm sein Future Self mit kräftigen klaren Farben wahr. Für die meisten anderen Entscheider war ihr Future Self jedoch eine blasse Erscheinung in weiter Ferne.
Die Intervention: Das Führungsteam verknüpfte seine langfristige Vision mit klaren Meilensteinen, auch bewusst mit persönlichen Entwicklungszielen der einzelnen Führungskräfte. In einem individuellen Coaching hatte jede Führungskraft die Aufgabe, eine intensive Verbindung zu ihrem Future Self im Kontext der Unternehmensvision zu entwickeln. Hilfreich war, wenn es der Führungskraft gelang, Ähnlichkeiten zwischen sich und dem zukünftigen Ich zu entdecken und eine lebendige, realistische und positive Vorstellung von ihrem Future Self in diesem Unternehmen zu entwickeln. Zurück im Teamworkshop arbeiteten sie in der Rolle ihres Future Self weiter und synchronisierten Schritt für Schritt individuelle und kollektive Visionen.
Das Resultat:
- Mehr Identifikation mit der Vision,
- mutigere Entscheidungen,
- anhaltende Motivation – auch in Krisen.
Einige Führungskräfte nutzen nun regelmäßig digitale Tools wie ChatGPT, um im Dialog mit ihrem Future Self zu bleiben. Dieser Ansatz fördert Reflexion und stärkt die Verbindung zur Unternehmensvision.
Übertrag ins Team:
Führungskräfte, die das Future-Self-Konzept erprobt haben, können diese Reflexion auch in ihre Teams tragen. Dabei hilft das Bewusstsein, dass auch Mitarbeitende oft zweifeln: „Bin ich am richtigen Platz?“ Wenn die Führungskraft zeigt, dass sie für die Klärung dieser Frage offen ist, stärkt ein solcher Austausch das Vertrauen und die Führungsqualität.
Gegenwart und Zukunft: Wie beeinflussen sie unsere Entscheidungsfindung?
Eine aktuelle Studie findet Erstaunliches über die Persönlichkeit von Führungskräften und das Gefühl für Gegenwart und Zukunft heraus. Sie zeigt, dass die individuelle Wahrnehmung der Zeit unsere Entscheidungen stark beeinflusst. Menschen, die die Gegenwart klar von der Zukunft abgrenzen, treffen leichter zukunftsorientiertere Entscheidungen (Hershfield & Maglio, 2020).
Wann endet die Gegenwart, und wann beginnt die Zukunft? Die Antwort auf diese scheinbar einfache Frage hat somit weitreichende Konsequenzen – auch für die erfolgreiche Zusammenarbeit im Führungsteam.
Beispiel:
- Eine Führungskraft sagt: „Die Gegenwart endet mit dem nächsten Atemzug, also jetzt.“
- Eine andere ist überzeugt: „Die Gegenwart endet in zwölf Monaten.“
Diese unterschiedlichen Perspektiven beeinflussen Entscheidungen:
Während es der einen Person leichter fällt, langfristig zu planen, fällt es der anderen Person schwerer, für die Zukunft zu planen und Risiken einzugehen. Da es sich bei dieser Einstellung um ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal handelt, bleibt Führungsteams keine Wahl. Sie müssen sich gezielt damit befassen, diese Unterschiede zu verstehen und Strategien für den Umgang damit zu entwickeln.
Praxis-Tipp für Ihren Workshop:
Starten Sie mit einer Einzelreflexion und stellen Sie die Frage:
Wann endet für Sie die Gegenwart, und wann beginnt die Zukunft?
Visualisieren Sie mit einem Zeitlinien-Modell Ihre individuelle Wahrnehmung von Gegenwart und Zukunft. Bringen Sie die Ergebnisse auf einem Chart zusammen. Diskutieren Sie anschließend im Team, wie diese Perspektiven – unter Berücksichtigung der Forschungsergebnisse – die Teamdynamik und Entscheidungsfindung beeinflussen.
Fazit: Mit dem Future Self zu besseren Entscheidungen
Das Future-Self-Konzept unterstützt Personaler:innen und Führungskräfte dabei, Transformationen strategisch zu gestalten und Investitionen nachhaltig zu planen. Es lässt sich langfristig auch in Führungskräfteentwicklungsprogramme integrieren. So stärken Sie die Verbindung zwischen Gegenwart und einer erfolgreichen Zukunft Ihres Unternehmens.
Literatur
- Ersner-Hershfield, H., Wimmer, G. E., & Knutson, B. (2009). Saving for the future self: Neural measures of future self-continuity predict temporal discounting. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 4(1), 85-92.
- Feldmann Barrett, L. (2023). Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn. Rowohlt Taschenbuch
- Hershfield, H. E. (2011). Future self‐continuity: How conceptions of the future self transform intertemporal choice. Annals of the New York Academy of Sciences, 1235(1), 30-43.
- Hershfield, H. E., & Maglio, S. J. (2020). When does the present end and the future begin?. Journal of Experimental Psychology: General, 149(4), 701.