LGBTIQ+: Auch im Job sein können, wie man ist

Die sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität stellt für Viele ein Thema dar, das nicht an den Arbeitsplatz gehört. Das kann für Personen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, irritierend sein. Deshalb gründete Denise Hottmann, Head of CoE Diversity & Inclusion bei Boehringer Ingelheim, gemeinsam mit anderen LGBTIQ+-Kolleg*innen und Unterstützer*innen das „Regenbogen Netzwerk“. Zusammen mit ihrem Kollegen Marco Sticksel, S2P Process Manager sowie Mitgründer und Mitglied des Netzwerks, spricht sie im Interview darüber, wie das Pharmaunternehmen von diesem Netzwerk profitiert und warum sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sehr wohl an den Arbeitsplatz gehören.

Inwiefern spielen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität im Arbeitskontext eine Rolle und warum sollten sie dort thematisiert werden?

Denise Hottmann: Das ist eine wichtige Frage, die mir in meinem Arbeitsalltag häufig gestellt wird: „Ist das nicht Privatsache?“ Ist es ganz klar nicht. Wir gehen als Individuen, in all unserer Komplexität, all unseren Diversity-Dimensionen zur Arbeit. Es ist extrem wichtig für uns, dass wir so sein können, wie wir sind, dass wir keine Energie darauf verschwenden müssen, irgendwelche Aspekte von uns zu verstecken, damit wir das Beste bei der Arbeit geben können. Es gibt weltweit und auch in Deutschland einen hohen Anteil an Diskriminierungserfahrungen auf der Arbeit. Marco kann hier unabhängig von Diskriminierungserfahrungen berichten, warum LGBTIQ+-Themen im Arbeitsalltag aus persönlicher Sicht und damit für das Unternehmen wichtig sind.

Marco Sticksel: Man kann sich das sehr plastisch vorstellen: Montagmorgen im Büro erzählen alle, was sie am Wochenende gemacht haben. Dann muss ich meinen ganzen Mut zusammennehmen und sagen: „Mein Partner und ich, wir waren im Kino.“ Je länger ich aber damit warte, desto schwieriger und belastender wird es, das Konstrukt, das ich um mich herum aufbaue, zu durchbrechen. Meine Gedanken sind dann so damit beschäftigt, eine Persönlichkeit aufrechtzuerhalten, die gar nicht existiert, dass ich mich nicht mehr mit voller Energie ins Unternehmen einbringen kann. Deshalb ist das ein Thema, das an den Arbeitsplatz gehört.

Denise Hottmann kommt aus dem HR-Bereich und ist Head of CoE Diversity & Inclusion bei Boehringer Ingelheim. (Foto: Stefanie Kösling)

Sie haben das "Regenbogen Netzwerk" bei Boehringer Ingelheim mitgegründet. Was ist das für ein Netzwerk und wie kamen Sie dazu, es ins Leben zu rufen?

Marco Sticksel: Wir sind ein geschützter Raum für alle, die sich bei Themen rund um LGBTIQ+ einbringen wollen oder selbst der Community angehören. Wir sind zwar ein offenes Netzwerk, jeder kennt jeden, aber nach außen hin anonym, falls jemand in der Arbeitswelt nicht geoutet ist. Wir möchten einen Raum bieten, in dem jede Person sein kann, wie sie ist.

Denise Hottmann: Es gab damals schon informelle Netzwerke bei Boehringer Ingelheim, wie z. B. Kulturstammtische, bei denen sich Menschen mit gemeinsamen Interessensgebieten treffen. Bei den Vorbereitungen für den „Diversity-Tag“ 2016 haben wir uns dafür interessiert, warum die LGBTIQ+-Gruppe gar nicht vertreten ist. Ich habe mich dann mit Ansprechpartner*innen aus der „PROUT AT WORK“-Stiftung ausgetauscht, die Experten*innen für dieses Thema sind, weil ich wusste, dass es ein sehr sensibles Thema ist und ich schnell in Fettnäpfchen treten kann.

Ich habe im ersten Schritt ein Treffen an einem externen Ort in Ingelheim organisiert, falls Personen kommen wollen, die nicht geoutet sind und sich auch weiterhin nicht outen möchten. Bei diesem Treffen wusste ich nicht, ob jemand kommt, und dachte, dass ich im Zweifelsfall wieder nach Hause gehe. Und siehe da, es kamen tatsächlich um die 15 Leute, unter anderem Marco. Meine Unsicherheit wurde mir schnell genommen, weil die Leute sehr offen waren und mir großes Vertrauen entgegengebracht wurde. Dieses Treffen hat das Netzwerk gestartet.

Marco Sticksel: Es fing dann recht ungezwungen mit einem Mittagstisch an, um sich auszutauschen und zu netzwerken. Es wurden immer mehr Leute mitgebracht und das Netzwerk wuchs quasi organisch. Wir waren seitdem z. B. bei einem inklusiven Toiletten-Konzept beratend zur Stelle oder geben Hilfestellung bei Fragen, wie man als Führungskraft mit der Situation umgeht, wenn sich Mitarbeitende outen. Wir haben mehrere Aktionen pro Jahr und bekommen sehr viel Zuspruch. Wir waren z. B. mit Boehringer Ingelheim als erste von einer Firma organisierten Fußgruppe beim Mainzer „Christopher Street Day“ (CSD) dabei und haben ein bisschen Geschichte damit geschrieben. Im nächsten Jahr waren wir dann schon 60 Leute mehr und die halbe erweiterte Geschäftsleitung von Deutschland war mit dabei.

Für die Zukunft haben wir ambitionierte Ziele und ich komme ein bisschen ins Schwärmen an dieser Stelle, weil es einfach Spaß macht und wir, außer Denise, das alle ehrenamtlich machen. Ich finde, dafür erreichen wir Erstaunliches.

Denise Hottmann: Wir sprechen mit dem „Regenbogen Netzwerk“ übrigens nicht nur die LGBTIQ+-Gruppe an, sondern wirklich alle, die sich für eine offene Gesellschaft, für Diversity & Inclusion aussprechen wollen. Ich glaube das ist auch unser Erfolgskonzept.

Marco Sticksel ist bei Boehringer Ingelheim im Prozessmanagement tätig. (Foto: Boehringer Ingelheim)

Welche Vorteile haben Unternehmen davon, wenn sie ihre Wertschätzung für LGBTIQ+-Mitarbeitende offen kommunizieren und ausdrücken?

Denise Hottmann: Dann können wir so, wie wir sind, zur Arbeit gehen, als ganzheitliche Personen mit all unseren Aspekten. Dazu gehören unsere geschlechtliche Identität, die sexuelle Orientierung, das Alter, die Ethnizität, Behinderung oder Nicht-Behinderung und vieles mehr. Ich glaube, dass das eine wichtige Voraussetzung für uns ist, um innovativ bleiben zu können. Wenn ich etwas von mir verstecken muss, dann hemmt es das Innovationspotenzial, und ich traue mich weniger, neue Ideen zu äußern. Und natürlich: Stichwort „Arbeitgeber-Attraktivität“. Ich habe von Vielen gehört, dass sie sich vor ihrer Bewerbung informiert haben, wie sich unser Unternehmen zu dem Thema präsentiert und was wir dafür tun. Dadurch haben wir jetzt Talente, die nicht da wären, wenn wir uns nicht so klar positionieren würden. 

Was würden Sie anderen Unternehmen raten, um Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität vorzubeugen? Haben Sie da vielleicht ein paar konkrete Tipps?

Denise Hottmann: Ich glaube, es ist wichtig, zuzuhören und Bedarfe zu erkennen. Nicht nur zu kommunizieren, sondern auch zu handeln. Ein Logo ist schnell in eine Regenbogenflagge umgeändert, aber dann nichts zu tun ist fatal. Ich glaube, es ist gut, ein internes Konzept an Ansprechpersonen zu haben, was bei uns das „Regenbogen Netzwerk“ ist. Wir haben auch eine individuelle Mitarbeitenden-Beratung, die z. B. bei einer Transition begleitet, wenn es um Transidentität geht. Da braucht man Menschen, zu denen man gehen kann.

Ein wichtiger Tipp von mir ist außerdem die Unterstützung durch das Management. Dass wir durch unseren Forschungsleiter unterstützt wurden und aktuell durch unsere Landesleiterin, war und ist für uns extrem relevant. Und ich kann die Stiftung „PROUT AT WORK“ empfehlen, weil auch ich anfangs Unsicherheiten hatte. Da gibt es eine hohe Expertise und Erfahrung, durch die ich viel gelernt habe, beispielsweise wie ich das erste Treffen organisieren kann.

Marco Sticksel: Vielleicht noch zum Abschluss der ganz dringende Appell, Denise hat es schon angesprochen, kein Pink Washing zu betreiben - also nicht nur während des Pride Month im Juni sein Logo bei Social Media in Regenbogenfarben einzufärben. Das geht inzwischen, ehrlich gesagt glücklicherweise, ziemlich nach hinten los, sowohl intern als auch extern bei Firmen. 

Denise Hottmann: Genau, es geht darum zu handeln, sowohl im positiven Sinne, was Projekte angeht, aber auch im negativen Sinne. Wenn es Situationen gibt, in denen sich Mitarbeitende nicht nach unserem Code of Conduct verhalten und Diskriminierung zeigen, dann sind wir als Unternehmen dazu verpflichtet zu handeln. Das ist sehr wichtig, auch als Signal für die Internen. Wir stehen hinter unserem Code of Conduct und tolerieren solches Verhalten nicht.

Das Interview führte Luzia Weber-Schallauer.