„Die Wechseljahre können die Wurzel einer tiefen Transformation sein“
In den Wechseljahren melden Frauen sich häufiger krank, reduzieren ihre Arbeitszeit oder gehen dem Unternehmen ganz verloren. Das liegt einerseits an körperlichen und mentalen Beschwerden, v. a. aber an mangelndem Verständnis und fehlender Flexibilität am Arbeitsplatz. Sonja Hachenberger (SH), Jennifer Chan de Avila (JC) und Tiffany Jacob (TJ) vom Kompetenzzentrum the-change.org erläutern, wie Unternehmen eine offene und psychologisch sichere Kultur etablieren und dadurch Frauen den Raum geben können, auch während der Wechseljahre gesund und produktiv ihrer Arbeit nachzugehen.
Liebe Sonja, Jennifer und Tiffany, wie kamt ihr zu dem Thema „Wechseljahre am Arbeitsplatz“?
SH: Als Soziologin interessiert mich vor allem, wie die Gesellschaft auf die älter werdende Frau schaut und wie wir überholte Rollenbilder verändern können. Da ich selbst während der Wechseljahre merkte, wie wenig Informationen und Verständnis es gibt, habe ich Anfang 2024 das Kompetenzzentrum the-change.org gegründet.
JC: Ich bin Politologin und befasse mich mit Geschlechterbeziehungen, Intersektionalität, Feminismus, Diversity und Inklusion. Mit 36 kam ich frühzeitig in die Wechseljahre, gab meinen damaligen Job auf und bildete mich zur Wechseljahre-Doula weiter. Ich war wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt MenoSupport in Berlin und wurde später Teil von the-change.org.
TJ: Wegen Zyklusschwankungen und hormoneller Dysbalancen habe ich mich privat viel mit dem weiblichen Zyklus befasst. Als zertifizierte Zyklusmentorin will ich seitdem das Thema Wechseljahre im Bereich Psychotherapie, Psychologie und Psychiatrie stärker einbringen und bin bei the-change.org als klinisch-psychologische Expertin dabei.
Warum sollten sich Unternehmen mit den Wechseljahren befassen?
SH: Wechseljahressymptome wie Schlafstörungen, Erschöpfung, Gelenk- und Kopfschmerzen oder depressiven Verstimmungen können die Leistung und Konzentration stark beeinflussen. Weil dafür in Unternehmen das Verständnis fehlt, fallen berufstätige Frauen in den Wechseljahren oft länger aus oder reduzieren ihre Stunden, obwohl sie mitten im Berufsleben stehen.
JC: Unternehmen sind zudem gesetzlich in der Fürsorgepflicht und dürfen Diskriminierung aufgrund des Alters und Geschlechts nicht tolerieren.
Verstärkt es nicht das Vorurteil von der leistungsschwachen Frau, wenn man die Wechseljahre als Lebensphase mit besonderen Bedürfnissen thematisiert?
SH: Die Wechseljahre sind keine Schwäche, Frauen in der Lebensmitte bringen wertvolle Kompetenzen mit: Sie haben viel Lebenserfahrung, sind oft äußerst gut organisiert, halten Beziehungen im Unternehmen aufrecht, lösen Konflikte und stärken Teams. Laut der Umfrage meno@work schätzen Personalverantwortliche auch ihre Erfahrung, Professionalität, Loyalität, Empathie und ihr Engagement.
Trotzdem nimmt die Arbeitswelt auf die Wechseljahre kaum Rücksicht. Während man von einer schwangeren Frau nicht erwartet, dass sie trotz Übelkeit pünktlich am Schreibtisch sitzt, herrscht bei Wechseljahresbeschwerden oft ein großes Schweigen. Viele Frauen melden sich aus Scham nicht einmal krank oder erzählen sogar ihren Partnern nichts von den Symptomen.
JC: Wichtig zu betonen ist aber, dass nicht alle Frauen in den Wechseljahren Beschwerden haben. Außerdem schaffen meist kleine Anpassungen bereits Abhilfe. Dafür müssen wir jedoch über die Wechseljahre sprechen und das Stigma abbauen. Nur was sichtbar gemacht wird, kann verändert werden.
TJ: Zudem haben sogar Fachpersonen die Wechseljahre oft nicht auf dem Schirm und verwechseln Wechseljahresbeschwerden mit Depressionen oder Burnout. Der Zyklus ist im Psychologiestudium und in der Psychotherapie-Weiterbildung nämlich oft kein Thema. Auch im Medizinstudium tauchen die Wechseljahre höchstens marginal auf. Wir brauchen aber ein bio-psycho-soziales Grundverständnis.
Frauen können ihre zyklische Natur nicht einfach ignorieren. Jeder Körper – unabhängig vom Geschlecht – produziert weniger Symptome, wenn wir im Einklang mit unseren natürlichen Bedürfnissen leben und diese ehrlich erspüren. Um das zu normalisieren, benötigen wir eine Arbeitskultur der emotionalen und psychologischen Sicherheit.
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Schlüsselergebnisse der Umfrage meno@work (Grafik: kununu/the-change.org)
Wie können Unternehmen eine solche Kultur fördern?
TJ: Mitarbeitende sollten Themen ansprechen können, ohne dass ihnen Nachteile entstehen. Wenn Führungspersonen eine Kultur der Transparenz und offenen Kommunikation pflegen, ihre Rolle reflektieren und sich in psychologischer Sicherheit schulen, entsteht eine produktive Arbeitsumgebung mit Raum für individuelle Bedürfnisse.
SH: Natürlich müssen Führungskräfte Frauen nicht ständig fragen: „Bist du jetzt in den Wechseljahren?“ Aber nach dem bloßen Befinden wird zu selten gefragt, aus Angst vor der Antwort. Dabei wollen Bedürfnisse in erster Linie gehört und erst in zweiter Linie erfüllt werden.
JC: Trotzdem sollten Unternehmen auf die Informationen reagieren, die ihnen anvertraut werden. Wenn jemand nämlich Bedürfnisse teilt und nichts passiert, verstärkt sich das Gefühl, unsichtbar und unwichtig zu sein. Es gilt, zuzuhören und eine Transformation zu wagen. Viele Frauen hinterfragen in den Wechseljahren ihr Leben, um die verbleibende Lebenszeit bewusst zu gestalten. Genauso könnten Unternehmen überprüfen: Was funktioniert in unserer Arbeitsweise und -kultur nicht und wie ändern wir das? Die Wechseljahre können die Wurzel einer tiefen Transformation mit Verbesserungen auf individueller, organisationaler und betriebswirtschaftlicher Ebene sein.
SH: Zudem müssen maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen nicht kompliziert sein. Z. B. helfen kollaborative Methoden sehr gut bei der schnellen Sondierung von Maßnahmen.
Könnt ihr das an einem Beispiel erklären?
SH: Unternehmen können die Wechseljahre niedrigschwellig bei Gesundheitstagen, Netzwerkveranstaltungen oder am Weltmenopausentag thematisieren. Des Weiteren haben wir bei the-change.org das Konzept change@work entwickelt, das Elemente des Design Thinking integriert und Personalverantwortliche, Führungskräfte und betroffene Mitarbeiterinnen an einen Tisch holt. Ziel ist neben der besseren Versorgung der Arbeitnehmerinnenbedürfnisse, die Produktivität des Unternehmens zu erhalten. Nach einem kurzen Input über Wechseljahre werden die zentralen Herausforderungen für das Unternehmen analysiert. Danach werden branchenspezifisch Lösungen entworfen, die dann pilotiert und evaluiert werden.
Was genau brauchen Frauen, um in den Wechseljahren produktiv arbeiten zu können?
SH: Vor allem Verständnis und Flexibilität, um die Arbeit an ihre körperlichen und psychischen Bedürfnisse anzupassen. Gleichzeitig ist der Zugang zu gezielten Gesundheitsangeboten entscheidend sowie ein offener Dialog im Unternehmen.
Um besser zu verstehen, welche Maßnahmen in welchen beruflichen Branchen sinnvoll sind, setzen wir aktuell das Forschungsprojekt „Wechseljahre im Arbeitsleben – Förderung von Dialog und einer lebensphasenorientierten Personalstrategie“ auf. Mit der Akademie für Frauen des Heinrich Pesch Hauses und der Universität Magdeburg führen wir Gespräche mit betroffenen Frauen und Führungskräften. In Workshops entwickelte Lösungsansätze testen wir direkt in den Unternehmen. So wollen wir einerseits branchenspezifische Best Practices als auch Maßnahmen, die branchenunabhängig funktionieren, identifizieren.
Warum scheinen Bedürfnisse von Frauen immer eine „Sonderbehandlung“ zu erfordern?
SH: Arbeitsumgebungen sind idealtypisch auf Männer ausgerichtet, schon die Raumtemperatur ist für Frauen durchschnittlich zu kühl. Wichtig ist: Es geht nicht darum, Bedürfnisse von Frauen zu priorisieren, sondern darum zu verstehen, was bei Frauen in den Wechseljahren passiert. Das Ziel sollte eine Arbeitswelt sein, die alle Menschen in ihrer Lebenssituation gleichwertig berücksichtigt. Dabei helfen Workshops, Schulungen oder Gespräche zur Aufklärung über geschlechtsspezifische Bedürfnisse, eine Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, z. B. durch Job-Sharing-Modelle, Ruheräume oder Gleitzeit, sowie die Einbindung betroffener Frauen in Entscheidungsprozesse.
JC: Die Wechseljahre sind das intersektionale Thema par excellence: In unserer kapitalistischen Gesellschaft wird Älterwerden bestraft. Wenn Frauen alt werden, haben sie es doppelt schwer, denn nach patriarchalen Idealen gehen dem als defizitär geltenden weiblichen Körper in der Menopause Fruchtbarkeit, Jugend und Schönheit verloren.
Neben dem Geschlecht sind sozioökonomische Faktoren entscheidend: Habe ich Zeit, mich zu Wechseljahren und Selbstfürsorge zu belesen? Habe ich Zugang zu guten Quellen? Welche Arbeit übe ich aus?
Doch nicht nur die Wechseljahre führen zu Benachteiligung. Auch Männer mit Gesundheitsproblemen oder alleinerziehende Väter fallen aus dem Raster. Wenn wir aber die Arbeitswelt so transformieren, dass sie mehr auf die Bedürfnisse in den Wechseljahren eingeht, dann verbessern wir die Arbeitswelt automatisch auch für alle anderen, deren Bedürfnisse nicht abgebildet werden. Dafür müssen wir die mentale Gesundheit in Verbindung mit Geschlechtergleichheit sehen und die Männer mit ins Boot holen. Dann können wir Maßnahmen entwickeln, die zu einem inklusiven und besseren Unternehmen führen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wir sprachen mit:
Sonja Hachenberger ist Gründerin von the-change.org, Prozessbegleiterin und Redakteurin. Sie begleitet seit über 20 Jahren Menschen in Veränderungsprozessen. Mit the-change.org hat sie ein Kompetenzzentrum geschaffen, das die Wechseljahre als entscheidenden „Change-Prozess“ im Leben einer Frau ganzheitlich betrachtet. Mit ihrem soziologischen Hintergrund und als erfahrene Kommunikationsexpertin treibt sie das Thema in Gesellschaft und Wirtschaft voran und zeigt, wie ein bewusster Umgang mit dieser Lebensphase Mitarbeiterinnen stärkt und Unternehmen nachhaltig profitieren lässt. Als Speakerin inspiriert sie Arbeitgebende, wie eine gelungene lebensphasenorientierte Personalführung aussehen kann. Ergänzend entwickelt sie mit ihrem interdisziplinären Team evidenzbasierte Lösungen, die im Unternehmensalltag integriert und umgesetzt werden können.
©Dorothee Elfring
Dr. Jennifer Chan de Avila ist promovierte Politikwissenschaftlerin, und zertifizierte Menopause-Doula. Als Expertin von the-change.org hat sie die Umfrage meno@work wissenschaftlich geleitet. Davor forschte sie zu diesem Thema im MenoSupport-Projekt (HTW Berlin) und hat mit ihrem Buch „Wechseljahre am Arbeitsplatz“ (Transcript, 2025) zusammen mit Prof. Sabine Nitsche ein Handlungskonzept für innovatives Gesundheitsmanagement entwickelt. Als Expertin für Deutschland ist sie in der internationalen Arbeitsgruppe aktiv, die die ISO-45010-Normvorhaben zu Menstruation, Menstruationsgesundheit und Wechseljahren entwickelt. Heute unterstützt sie Einzelpersonen und Unternehmen dabei, die Wechseljahre als transformative Chance zu gestalten. Mehr unter: www.lamenodoula.com
©Enrique Zepeda
Tiffany Jacob ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin und kommt aus der Schweiz. Sie arbeitet dort in einer stationären psychiatrischen Klinik und hat mit ihrem Unternehmen MIND.YOUR.CYCLE ein Angebot für Interessierte, Betroffene und Therapierende geschaffen, das für mehr Einklang des eigenen Lebens mit dem Zyklus sorgen soll. Mit dieser Expertise ist sie auch Teil von the-change.org.
©Sophia Grabner Fotografie
Über the-change.org
Zu the-change.org gehören 24 Expertinnen, die medizinische, psychologische, soziale und betriebliche Perspektiven verbinden. Ihr Ziel ist es, die Wechseljahre aus der Tabuzone zu holen und den gesellschaftlichen Dialog über das Thema zu fördern. Mithilfe von Umfragen und Studien identifiziert das gemeinwohlorientierte Unternehmen Handlungsfelder sowie Wissenslücken und möchte durch evidenzbasierte Maßnahmen die Lebensqualität und Sichtbarkeit von Frauen verbessern. the-change.org arbeitet eng mit Frauen, Unternehmen und der Öffentlichkeit zusammen und unterstützt Unternehmen mit fundiertem Wissen, innovativen Lernformaten und praxisnaher Beratung dabei, das Thema Wechseljahre offen und fundiert anzugehen. © the-change.org
Zum Weiterlesen:
- the-change.org. (2024). meno@work. https://the-change.org/portfolio/menowork/
- HWR Berlin. (2024). MenoSupport: Wechseljahresbeschwerden am Arbeitsplatz.
- [Werbung] Chan de Avila, J., & Nitsche, S. (2025). Wechseljahre am Arbeitsplatz – Handlungskonzept für ein innovatives betriebliches Gesundheitsmanagement. transcript.
- [Werbung] Stein, M. (2024). Weise Frauen – Warum unsere Gesellschaft mehr weibliches Wissen braucht. GOLDMANN.
Hinweis auf Forschungsprojekt
Wie lassen sich Wechseljahre gezielt in eine lebensphasenorientierte Personalstrategie integrieren? Das aktuelle Forschungsprojekt von the-change.org, der Universität Magdeburg und der Akademie für Frauen des Heinrich-Pesch-Hauses untersucht, wie branchenspezifische Anforderungen und Herausforderungen in nachhaltige und wirksame Interventionen münden können.
Die WPA wird weiterhin über das Projekt berichten, sodass Sie von neuen Erkenntnissen direkt erfahren. Haben Sie Interesse an einer Teilnahme am Projekt? Dann schreiben Sie eine E-Mail an forschung@the-change.org.