Emotionale Intelligenz ist genauso wichtig wie die allgemeine
Ein Modell zur emotionalen Intelligenz
Licht ins EI-Testdunkel bringt eine Metaanalyse von Dana Joseph und Daniel Newman von der University of Illinois – erschienen in einer Ausgabe des Journal of Applied Psychology. Sie werteten darin über 100 Einzelstudien aus den letzten Jahren aus und testeten gleichzeitig ihr neues EI-Verlaufsmodell. Danach tragen folgende sieben Faktoren zur EI bei:
- Zuerst kommt (1) die Emotionswahrnehmung, dann (2) das Emotionsverständnis, schließlich kann – und zwar erst nach dem die Gefühle verstanden wurden – (3) die bewusste Emotionssteuerung erfolgen.
- Die Fähigkeit Emotionen zu steuern beeinflusst unmittelbar (4) die Arbeitsleistung. Warum? Emotionssteuerung führt zu positiven Gefühlen, die wiederum unser Verhaltensrepertoire erweitern, uns flexibler handeln lassen und uns aufmerksamer machen. Dadurch können wir besser mit anderen Menschen umgehen und uns selbst besser motivieren. Beides verbessert die Arbeitsleistung.
- Die genaue Wahrnehmung der Gefühle ist abhängig (5) von der Gewissenhaftigkeit einer Person.
- Das Verständnis über Gefühle wird (6) von der allgemeinen Intelligenz geprägt.
- Und die Steuerung der Gefühle klappt besonders gut, wenn die Person (7) über emotionale Stabilität verfügt.
Emotionale Intelligenz: Was ist das?
Zur Frage, was emotionale Intelligenz überhaupt ist, gibt es zwei Auffassungen:
EI als Fähigkeit: Hierbei ist die EI das klar umrissene Vermögen, Gefühle zu erkennen und zu beeinflussen. Dieses kann im Leistungstest (Wissens-, Problemlösetests etc.) oder im Selbstbericht erfasst werden.
EI als Mischbegriff: Hier wird EI als Mischung aus Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften, Motivation und Gefühlen angesehen. Die EI wird dabei im Selbstbericht festgestellt (z.B. „Ich achte oft darauf, was andere Menschen gerade fühlen“), wobei nicht klar wird, was genau gemessen wird – die Motivation oder Eigenschaften?
In der Metaanalyse untersuchten die Autoren die Beziehungen der sieben oben genannten EI-Faktoren untereinander. Daneben wurde die Validität überprüft: Bilden Fähigkeits- und Mischbegriff die gleichen EI-Anteile ab? Schließlich nahmen die Forscher Geschlechtsunterschiede unter die Lupe, da Frauen bei EI-Tests bislang besser abschnitten als Männer.
Ergebnisse zum Verlaufsmodell
Die Beziehungen (5-7) zeigten sich wie erwartet: Gewissenhaftigkeit bestimmt die Emotionswahrnehmung, emotionale Stabilität beeinflusst die Emotionssteuerung, und die allgemeine Intelligenz sagt das Emotionsverständnis voraus.
Auch (1-3) wurde klar: Das Verständnis von Gefühlen ist notwendig, damit man – ausgehend von der Emotionswahrnehmung – seine Gefühle gut steuern kann. Das Verständnis ist also der Mediator zwischen Wahrnehmung und Steuerung.
Die Arbeitsleistung (4) wird allerdings nur wenig davon beeinflusst, wie gut man seine Emotionen steuern kann. Eher wird die Arbeitsleistung direkt von der Gewissenhaftigkeit bestimmt.
Emotionale Arbeit
Dieses unerwartete Ergebnis bezüglich Arbeitsleistung veranlasste die Autoren getrennte Analysen durchzuführen. Zum einen wurden die Berufe mit viel sogenannter „emotionaler Arbeit“, zum anderen jene mit wenig ausgewertet. Die Annahme: Nur in Jobs mit emotionaler Arbeit, bei der die Mitarbeiter häufig positive Gefühle zeigen und auch beim Kunden auslösen sollen (z.B. Verkäufer), ist die Emotionssteuerung leistungsrelevant.
Genau das zeigte sich. Bei Tätigkeiten mit viel emotionaler Arbeit steigert das Vermögen Emotionen steuern zu können die Arbeitsleistung. Wenn im Arbeitsalltag wenig emotionale Arbeit (z.B. in technischen Berufen) notwendig ist, trägt die Fertigkeit Emotionen steuern zu können nur wenig zur Arbeitsleistung bei. Schlimmer noch: Zu viel Emotionsregulierung kann hier sogar zu schlechteren Arbeitsergebnissen führen.
Validität und Geschlechtsunterschiede
Die Validitätsprüfung erbrachte, das Fähigkeits- und Mischkonzept unterschiedliche Komponenten der EI erfassen. Leistungstest und Selbstbericht hängen dabei nur wenig zusammen. Mit anderen Worten: Die Annahmen über eigene emotionale Fertigkeiten stimmt nur wenig mit den wirklichen Fähigkeiten überein. Erstaunlicherweise zeigte sich aber, dass lediglich das unklare Mischkonzept im Selbstbericht – und nicht das Fähigkeitskonzept – die Vorhersage der Arbeitsleistung (neben Intelligenz- und Persönlichkeitstests) nennenswert steigert.
Geschlechtsunterschiede zeigten sich nur in Leistungstest, in denen Frauen erwartungsgemäß besser als Männer waren. Im Selbstbericht gab es kaum Unterschiede.
Praxistipps
Ausgehend von den Ergebnissen geben die Autoren folgende Praxistipps für den Einsatz von EI-Skalen bei der Personalauswahl:
- Die eingesetzte EI-Skala sorgfältig auswählen und darauf achten, ob der Test die EI als Fähigkeit oder Mischkonzept erfasst.
- Sehr vorsichtig sein, wenn EI-Mischskalen (Fähigkeit, Persönlichkeit, Motivation) verwendet werden sollen. Diese verbessern zwar offensichtlich die Vorhersage der Arbeitsleistung, aber es ist nicht klar warum.
- Die eingesetzte EI-Skala von der Art der Tätigkeit abhängig machen. Nur für Jobs, die viel emotionale Arbeit verlangen (z.B. Verkäufer, Call-Center-Mitarbeiter), ist die EI aussagekräftig.
- EI-Skalen haben insgesamt gesehen einen geringeren Zusatznutzen bei der Personalauswahl als häufig erwartet.
- Gruppendifferenzen beachten: Frauen schneiden in EI-Tests besser ab als Männer. Wenn die EI als Auswahlkriterium dient, könnten Männer benachteiligt werden (Adverse Impact).
Um zur Ausgangsbehauptung von Goleman zurückzukommen: Ist emotionale Intelligenz im Job wirklich doppelt so wichtig wie allgemeine geistige Fähigkeiten? Immerhin kann die EI als Mischkonzept bis zu 14,9 Prozent der Varianz der Arbeitsleistung aufklären. Im Leistungstest erfasst, ist sie aber gegenüber Intelligenztests nur für 0,7 zusätzliche Prozent des Erfolgs im Job verantwortlich. Die allgemeine Intelligenz bestimmt also mindestens in eben solchem Maß die Leistung. Und meistens übertreffen allgemeine geistige Fähigkeiten die EI als Vorhersagewert für die Arbeitsleistung um ein Vielfaches.
Literatur
Joseph, D. L. & Newman, D. A. (2010). Emotional intelligence: An integrative meta-analysis and cascading model. (Abstract) Journal of Applied Psychology, 95, 54-78.