Resilienz: Prozess oder Eigenschaft?

Nach der Frage, wer für resiliente Mitarbeitende verantwortlich ist, geht es nun um die Resilienz selbst: Ist sie eine Eigenschaft? Oder ein Prozess? Antworten gibt Resilienz-Experte Dr. Denis Mourlane.

Es gibt zahlreiche Definitionen des Begriffs Resilienz. Prof. Dr. Ann Masten von der University of Minnesota ist eine der weltweit renommiertesten Resilienzforscher:innen. Sie definiert Resilienz als „das Vermögen eines dynamischen Systems, sich erfolgreich an ‚Störungen‘ anzupassen, die seine Funktion, Lebensfähigkeit oder Entwicklung bedrohen.“ Diese Definition ist deswegen sehr hilfreich, weil sie es uns ermöglicht, den Begriff Resilienz auf eine Vielzahl von Bereichen zu übertragen. So sind nicht nur wir Menschen dynamische Systeme, sondern auch Teams, Wälder, Städte, Gesellschaften und noch viele mehr.

Entsprechend dieser Definition stellen sich Systeme oder Menschen, die für Systeme verantwortlich sind (wie beispielsweise der Förster für seinen Wald), basierend auf der wachsenden Popularität des Begriffs immer häufiger die Frage, wie resilient sie nun eigentlich sind und ob man Resilienz messen kann. Entsprechend tun dies auch Einzelpersonen. Hier ist in den vergangenen Jahren eine rege Diskussion darüber entstanden, ob Resilienz überhaupt eine Eigenschaft oder nicht vielmehr ein Prozess ist. Was ist damit gemeint?

Resilienz als Eigenschaft zu sehen bedeutet, dass man die Resilienz eines Systems anhand spezieller Faktoren bestimmen kann. Verfügt das System in ausreichendem Maße über diese Faktoren, wird es auch mit einer größeren Wahrscheinlichkeit in der Lage sein, mit den oben genannten Störungen umzugehen.

Resilienz als Prozess zu sehen, folgt einer anderen Logik. Hier wird Resilienz als ein Ergebnis gesehen, bei dem ein System erst einmal „erschüttert“ wird und man Resilienz daran erkennen kann, ob das System in der Lage war, in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren oder vielleicht sogar an der Erschütterung zu wachsen. Damit einhergehend richtet die prozessbezogene Definition ihr Augenmerk auch darauf, welche Strategien im Anschluss an eine solche „Erschütterung“ sinnvoll sind und ob diese Strategien angewendet werden. So wissen wir beim Menschen zum Beispiel, dass in vielen Situationen,

  • die Fähigkeit etwas Positives und Sinnvolles an der Situation zu sehen oder das Geschehene in Relation zu etwas Schlimmeren, das hätte passieren können, zu setzen (PAS = Positive Appraisal Style),
  • die Suche nach sozialer Unterstützung oder
  • die Fähigkeit, sich trotz der Widrigkeiten etwas Gutes zu tun (Hedonistic Lifestyle),

stark die Erholung von der erlebten Störung und somit eine resiliente Reaktion unterstützen.

Meine Antwort auf die Frage, ob man Resilienz als einen Prozess oder eine Eigenschaft sehen sollte? Um ein umfassendes Verständnis von Resilienz zu bekommen, sollte man sie aus beiden Blickwinkeln betrachten. Einmal als das Ergebnis eines erfolgreichen Anpassungsprozesses, das durch die Anwendung spezifischer Strategien erreicht wurde, aber auch als Eigenschaft, bei der man sich genauer anschaut, was denn nun dazu führt, dass es einem Menschen überhaupt gelingt, die „richtigen“ Strategien anzuwenden. Denn diese Frage bleibt, wenn man Resilienz „nur“ als Prozess sieht, erst einmal unbeantwortet.

Die sieben Faktoren der Resilienz

Dr. Andrew Shatté und seine Kollegin Dr. Karen Reivich sind genau dieser Frage im Rahmen ihrer langjährigen Forschungstätigkeit im Team von Prof. Dr. Martin Seligman an der University of Pennsylvania nachgegangen. Die Ergebnisse wurden schon Anfang des Jahrtausends zum ersten Mal in ihrem bemerkenswerten Buch „The Resilience Factor“ veröffentlicht (2002). Sie konnten insgesamt sieben Faktoren identifizieren:

  1. Die Emotionssteuerung, die es einem Menschen ermöglicht, aus negativen emotionalen Zuständen, wie beispielsweise Ärger, in emotional positivere und funktionalere Zustände, wie beispielsweise Gelassenheit, zurückzukehren.
  2. Die Impulskontrolle, die es einer Person ermöglicht, ihr Verhalten zielgerichtet zu steuern, um Herausforderungen zu meistern, und die entsprechend auch als „Disziplin“ bezeichnet werden kann.
  3. Die Kausalanalyse, die es einem Menschen ermöglicht, die Gründe für herausfordernde Situationen treffend zu analysieren und somit, intuitiv oder analytisch, „kluge“ Wege der Problemlösung zu finden.
  4. Der realistische Optimismus, der ein Individuum dazu befähigt, Problemlösungen mit der notwendigen Zuversicht anzugehen.
  5. Die Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die es einem Menschen ermöglicht, die Opferrolle zu verlassen, um selbst aktiv herausfordernde Situationen zu meistern.
  6. Die Empathie, die menschliche Seite von Resilienz, die dazu führt, dass wir schon vor dem Auftreten von „Störungen“, stabile Netzwerke aufbauen, damit wir uns in schwierigen Situationen nicht allein wiederfinden.
  7. Die Zielorientierung/das Selbstvertrauen, das Menschen in die Lage versetzt, auch neue Wege der Problemlösung zu gehen, ohne sich zu leicht von dem eingeschlagenen Weg abbringen zu lassen.

 

Resilience-Factor-Inventory (RFI)

Diese sieben Faktoren werden mit dem von Reivich und Shatté 1997 in den USA entwickelten und von uns in Deutschland verwendeten Resilience-Factor-Inventory (RFI) gemessen. Wir konnten im Rahmen diverser Studien zeigen, dass sie Menschen tatsächlich dazu befähigen, Störungen im Sinne eines erfolgreichen Resilienzprozesses zu bewältigen. Nur wer ein gewisses Maß an Optimismus hat, wird überhaupt versuchen, einer Situation auch etwas Positives abzugewinnen. Nur wer über ausreichend Empathie verfügt, ist in der Lage sich stabile und unterstützende Netzwerke zu bauen und auf diese, wenn notwendig, zuzugreifen. Nur wer über genügend Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Disziplin verfügt, wird aktiv an einer Problemlösung arbeiten und dann, wie weiter oben erwähnt, auch Dinge tun, die ihm oder ihr in einer schwierigen Lebensphase guttun. Die Resilienzfaktoren werden den Menschen also dabei unterstützen, prozessseitig sinnvolle Strategien anzuwenden und sich somit von einer „Störung“ zu erholen.

Natürlich ist eine „gute“ Ausprägung auf den einzelnen Resilienzfaktoren niemals eine Garantie dafür, dass ein Mensch jegliche Störung, die ihm widerfährt, erfolgreich bewältigt. Dazu sind die Herausforderungen, denen ein Mensch begegnen kann, viel zu zahlreich und auch individuell verschieden. Für den einen Menschen sind es Drucksituationen, wie beispielsweise bei einer öffentlichen Rede, für den anderen ist es das trödelnde Kind, für wiederum einen anderen ist es der verspätete Zug. Nahezu unendlich ist die Anzahl der Situationen, die ein Mensch als Störung erleben kann. Geht man all diese Situationen aber mithilfe der oben genannten Faktoren an, so erhöht man deutlich die Wahrscheinlichkeit, die richtigen „Resilienzstrategien“ anzuwenden und die Störung im Sinne eines erfolgreichen „Resilienzprozesses“ zu bewältigen und sogar daran zu wachsen.

 

Literatur

Reivich, K., Shatté, A. (2002). The Resilience Factor: 7 Keys to Finding Your Inner Strength and Overcoming Life‘s Hurdles. New York: Broadway Books.

Ein Forschungsbericht zum RFI mit einer Liste der wichtigsten Studien, kann kostenfrei unter rfi@mourlane.com angefordert werden.

Zum Weiterlesen

[Werbung] Mourlane, D. (2021). Resilienz. Die unentdeckte Fähigkeit der wirklich Erfolgreichen. Göttingen: BusinessVillage.

Banner mit Hinweis zur Printausgabe 1/2023, in der ein weiterer Artikel des Autors mit dem Titel "Mehr Motivation durch Emotional Leading" zu finden ist. Zum Bestellen auf das Banner klicken, es führt zum Onlineshop.

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