So ein Theater: Simulationsbasierte Lehre in der Wirtschaftspsychologie

Simulationsbasierte Lehre stellt in Deutschland einen gängigen Bestandteil der universitären Medizinausbildung dar. In der Wirtschaftspsychologie ist ihr Einsatz jedoch noch ein Novum. Welchen Nutzen sie Wirtschaftspsychologie-Studierenden bietet, erläutern Prof. Dr. Jan C. Pries und Theaterpädagogin Lea N. Schreiber an einem konkreten Beispiel.

Sie rutscht auf ihrem halbhohen Stuhl etwas nervös hin und her und schaut noch ein letztes Mal auf den Zettel mit ihren Aufzeichnungen, den sie sich auf dem etwas zu groß anmutenden Konferenztisch zurechtgelegt hat. Nur noch wenige Minuten, bis das Vorstellungsgespräch beginnt. Ein letzter Blick auf den Lebenslauf von Mario Wolf, der sich auf die freie Stelle als Recruiter beworben hat. Und dann verschwindet sie, um kurz darauf den Raum zusammen mit dem Kandidaten wieder zu betreten.

Dieses Szenario beobachten ihre Kommiliton:innen auf einer großen Leinwand über eine Live-Übertragung. Sie sitzen im Hörsaal des Hochschultrakts nebenan. Auch sie sind vorbereitet mit Feedbackbogen und Stift, um sich gleich Notizen zu machen.

Studierende blicken auf eine Leinwand, auf der die Gesprächssimulation zu sehen ist.

Live-Übertragung der Gesprächssituation in den Hörsaal nebenan (Foto: Akka Olthoff)

Wäre dies eine Theaterinszenierung, so wäre das der Moment ehe im Publikum das Licht ausgeht, der Vorhang sich öffnet und auf der Bühne die Scheinwerfer langsam das erste Szenario erleuchten lassen. Die Zuschauenden wissen vielleicht um den Inhalt des Stücks, doch die Inszenierung ist neu und wird zum ersten Mal vor den Augen der Zuschauenden gezeigt: Es ist Premiere.

Allerdings spielt sich die oben beschriebene Situation in den Räumen der Hochschule Emden/Leer ab und ermöglicht Studierenden, ihr in der Theorie erlerntes Wissen anzuwenden und Handlungen auszuprobieren, während sich das Theater eher auf die Schaffung von Kunst und Unterhaltung konzentriert. Doch die angespannte, hochkonzentrierte Atmosphäre ist genauso spürbar wie vor einer Premiere. Es ist der Tag der Simulation.

Inszenierung der „realen Arbeitswelt“

Eine Simulation besteht aus drei Teilen:

  1. aus der Vermittlung der theoretischen und methodischen wirtschaftspsychologischen Grundlagen,
  2. aus dem Szenario, welches die „reale Arbeitswelt“ inszeniert, und
  3. aus einem reflektierenden Nachgespräch, das direkt auf das Szenario folgt.

Im Bachelorstudiengang Wirtschaftspsychologie in Emden ist das simulationsbasierte Lehr- und Lernkonzept ein neuer Bestandteil für die Studierenden. Jan C. Pries, Professor für Personal-, Organisations- und Arbeitspsychologie, der das Projekt gemeinsam mit Theaterpädagogin Lea N. Schreiber durchführt, erklärt:

„Als Professor an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften ist es mir ein Anliegen, didaktische Methoden einzusetzen, die als Brücke zwischen Theorie und praktischem Handeln dienen. Bei einem Besuch im Studienhospital der Universität Münster bin ich in Kontakt mit simulationsbasierter Lehre gekommen. Ich war beeindruckt davon, dass die Studierenden Gespräche führen können, die in ihrer beruflichen Praxis von Relevanz sein werden.“

In diesen regelmäßig abgehaltenen Simulationseinheiten in der Medizinausbildung treffen Studierende auf Patient:innen mit entsprechenden Krankheitsbildern, die von Schauspielenden dargestellt werden, und interagieren mit ihnen in ihrer zukünftigen Rolle als Ärzt:innen. Dieses Vorgehen inspirierte Jan C. Pries und Lea N. Schreiber bei der Szenario-Entwicklung für die angehenden Wirtschaftspsycholog:innen.

Gesprächsführung ist für viele Wirtschaftspsycholog:innen ein wesentlicher Teil ihres beruflichen Alltags. Bei der Anwendung wirtschaftspsychologischer Methoden und Theorien in realen Situationen ist es beispielsweise notwendig, Feedbackgespräche und Krankenrückkehrgespräche zu führen, aber auch Gesprächspartner: innen zu überzeugen und für Veränderungen zu begeistern. Die simulationsbasierte Lehre schafft einen Rahmen, in dem die Studierenden lernen, ihre Kompetenz in der beruflichen Gesprächsführung auszubauen und in schwierigen Gesprächssituationen den Überblick zu behalten.

In der oben skizzierten Simulation mit dem Titel: „Personalauswahlgespräch / Multimodales Interview“ lernen die Studierenden einen wichtigen Teil eines Recruitingprozesses kennen. In diesem Szenario führt die Studentin Valerija Martynenko als Recruiterin ein 60-minütiges Gespräch mit dem Bewerber und diagnostiziert dabei, ob sich Mario Wolf für die vakante Stelle eignet. Dabei erprobt sie mit dem multimodalen Interview eine etablierte Methode der Wirtschaftspsychologie.

Die Rolle von Mario Wolf übernimmt der Schauspieler Simon Zigah, der normalerweise im Ensemble des Stadttheaters in Bremen spielt. Zur Vorbereitung erhält er einen Lebenslauf, eine Rollenbeschreibung von Mario Wolf und das nötige Fachwissen für ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch. „Bei der Beschäftigung mit Marios Beruf als Recruiter musste ich mir eine völlig neue Sprache aneignen und war vor der Simulation mindestens so aufgeregt wie damals bei meinem Vorsprechen im Theater“, so Simon. Ohne festgelegten Text improvisiert er und reagiert realitätsnah auf das Verhalten seines Gegenübers. „Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mich wirklich auf eine freie Stelle als Junior Recruiter bewerben könnte und gute Chancen hätte den Job zu bekommen.“ Er macht eine Pause und sagt dann mit einem dicken Grinsen: „Allerdings würde ich danach sofort auffliegen.“

Valerija Martynenko beschreibt ihre Erfahrung so: „Die Simulationssituation war neu für mich. Bereits vor Beginn des Szenarios hat sich die Situation ungewöhnlich angefühlt, da ich zuvor nie in diesen Räumen der Hochschule war. Die fremde Umgebung hat definitiv mein Erlebnis beeinflusst und das Gefühl „real“ gemacht.  Der andere Faktor war der mir zu dem Zeitpunkt unbekannte Bewerber. Das Verhalten des Schauspielers hat mein Empfinden geprägt und mir das Gefühl gegeben, dass die Simulation eine reale Situation ist.“

Schauspieler und Studierende sitzen sich in der Gesprächssimulation an einem Konferenztisch gegenüber und reden miteinander.

Simulation eines Bewerbungsgesprächs mit Schauspieler und Studentin (Foto: Akka Olthoff)

Nachgespräch und Reflektion

Zurück im Vorlesungssaal wird das Nachgespräch vorbereitet. Die Kommiliton:innen, die das Szenario über die Leinwand verfolgt haben, schieben alle Tische zur Seite und setzen sich in einem Stuhlkreis zusammen. Sie warten auf die beiden Akteur:innen. Nun steigt die Anspannung noch einmal an, denn jetzt geht es darum, das Szenario zu reflektieren und dabei bestärkendes und kritisches Feedback von den Kommiliton:innen zu erhalten.

Doch zunächst äußert sich die Studierende Valerija Martynenko über das soeben Erlebte, danach schildert Schauspieler Simon Zigah, wie er das Bewerbungsgespräch und die Methode des multimodalen Interviews empfunden hat. Erst dann teilen die Kommiliton:innen ihre Notizen und Eindrücke aus der Perspektive der Beobachter:in ehe abschließend ein fachlicher Austausch mit dem Professor folgt.

Das Nachgespräch zielt darauf ab, den individuellen Lernprozess der Studierenden zu unterstützen. Sie lernen ihre Gesprächsführung kritisch zu betrachten und gleichzeitig Feedback von anderen zu nutzen.

Die beiden Kommiliton:innen Annabelle Südmersen und Julian Dirksmeier, die das Szenario auf der Leinwand beobachtet haben, sind beeindruckt vom konstruktiven Feedback untereinander und wünschen sich solche Simulationsanwendungen häufiger in der Lehre. „Durch eine Simulation kann die Angst vor kritischen und komplizierten Gesprächen genommen werden und sie gibt eine gewisse Sicherheit. Außerdem ermöglicht sie Einblicke, die aus Lehrbüchern nicht hervorgehen“, sagt Annabelle. Julian ergänzt: „Eine solche Übung bietet eine deutlich höhere Toleranz für Fehler, die in der Praxis in der Form nicht möglich ist.“

Fazit

Simulationsbasierte Lehre stellt in Deutschland einen gängigen Bestandteil der universitären Medizinausbildung dar. In der Wirtschaftspsychologie ist der Einsatz dieser handlungsorientierten Lehrmethoden noch ein Novum. Neben dem Personalauswahlgespräch haben Jan C. Pries und Lea N. Schreiber darum fünf weitere Szenarien zu wirtschaftspsychologisch relevanten Gesprächsanlässen entwickelt, die die Studierenden im Verlauf ihres Studiums an der Hochschule Emden/Leer durchlaufen.

Jan C. Pries resümiert: „Die simulationsbasierte Lehre stößt das Fenster zur Arbeitswelt ein Stück auf. Sie ermöglicht es den Studierenden, sich in der Rolle als Wirtschaftspsycholog:in auszuprobieren und ihre Gesprächsführungskompetenz zu entwickeln. Bisher wurden diese Lernerfahrungen erst in Praktika und im Berufseinstieg gemacht. Die vor der Simulation vermittelten wirtschaftspsychologischen Theorien und Methoden finden nun nicht mehr nur in Lehrbüchern statt. Stattdessen werden sie in der Simulation konkret, lebendig und anschaulich.“

Wie im Theater wird mit einem kräftigen Applaus die Simulationseinheit beendet. Erleichtert und mit einer neuen, bereichernden Erfahrung verlassen die Studierenden sowie Simon Zigah, Jan C. Pries und Lea N. Schreiber den Campus und freuen sich auf die nächste Simulation im kommenden Semester.

 

Literatur

Lukasczik, M., Eckel, J., Wagner, A., Sendig, L., Wolf, H.-D. & Vogel, H. (2022). Einsatz von Simulationspersonen in der Lehre und Prüfung psychotherapeutischer Kompetenzen. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 50, 197-208. https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000643

Ortwein, H., Fröhmel, A., Burger, W. (2006). Einsatz von Simulationspatienten als Lehr-, Lern-und Prüfungsform. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 56(1), 23-29. https://doi.org/10.1055/s-2005-867058

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