Wenn Teams überlastet sind: Wege aus dem „Vicious Cycle“

Kündigung oder Renteneintritt – es gibt viele Gründe, warum Mitarbeitende aus Unternehmen ausscheiden. Die Stellen nachzubesetzen, wird immer schwieriger. Das verbleibende Team kann in einen sogenannten „Vicious Cycle“ geraten. Mit Personalberaterin Miriam Katzenberger sprechen wir darüber, was das genau bedeutet und wie Führungskräfte für Entlastung und neue Perspektiven sorgen können.

Miriam, was bedeutet „Vicious Cycle“ im Unternehmenskontext?

Der „Vicious Cycle“ ist im Grunde kein offizieller Begriff, sondern einer, den wir für uns in der Personalberatung geprägt haben. Damit drücken wir aus, was passiert, wenn in Teams die Mitarbeitenden weniger werden, die Stellen aufgrund des Fachkräftemangels nicht nachbesetzt werden können und die Arbeit an den verbliebenen Teammitgliedern hängenbleibt. Die wiederum auf Dauer überlastet sind, ebenfalls kündigen oder krankwerden, so dass noch mehr Druck auf den anderen Teamkolleg:innen lastet. Wenn das einmal angelaufen ist, dann gerät man in eine Schleife. Die Bedingungen innerhalb des Teams werden immer schwieriger und es wird wahnsinnig schwer, diesen Mitarbeiterschwund zu stoppen.

Wie wirkt sich so ein „Vicious Cycle“ auf die Führungskräfte aus?

Auch für sie ist diese Situation natürlich belastend. Sie versuchen ebenfalls, Aufgaben aufzufangen, und haben damit wenig bis gar keine Kapazitäten mehr, um nachzurekrutieren. Und selbst wenn man es noch schafft zu rekrutieren, hat man kapazitätsbedingt oft ein Problem im Onboarding. Und neue Mitarbeitende, die kein gutes Onboarding erfahren, fühlen sich oft nicht gut aufgehoben. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen die Probezeit überstehen, und zwar in beide Richtungen, schon mal niedriger. Oder auch, wenn ich nicht richtig eingebunden werde ins Team, ins Unternehmen, dann ist natürlich auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich mich schneller abwerben lasse.

Was gibt es für Maßnahmen, um diese Schleife vielleicht doch zu durchbrechen?

Aus meiner Sicht gibt es zwei Arten von Maßnahmen. Zum einen die vorbeugenden Maßnahmen, die ich meinen Kunden auch sehr dringend ans Herz lege. Das passiert im besten Fall, bevor wir ins Spiel kommen. Da gilt es, ein nachhaltiges Nachfolgekonzept zu entwickeln. Das Thema Berentung spielt beispielsweise überall eine Rolle und wird in den nächsten Jahren noch viel stärker kommen. Hier lässt sich noch relativ gut planen. Das sollte man nutzen und entweder im Team einen entsprechenden Nachfolger oder eine Nachfolgerin heranziehen – was auch gleich noch den positiven Nebeneffekt hätte, dass Mitarbeitende sich dadurch wertgeschätzt fühlen, eine Entwicklungsperspektive zu haben.

Oder man kann jemanden einstellen, der in zwei bis drei Jahren die Nachfolge antritt, so dass noch Zeit ist, um Wissen weiterzugeben. Denn auch der Wissensverlust, wenn langjährige Mitarbeitende ausscheiden, schadet einem Team bzw. Unternehmen und kann zu einer angespannten Situation innerhalb eines Teams führen, was die Gefahr einer Mitarbeiterabwanderung erhöht.

Kannst du noch etwas mehr zur Bedeutung einer Entwicklungsperspektive sagen?

Es ist wie gesagt eine enorme Wertschätzung, wenn man Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, sich weiterzuentwickeln. Damit schaffe ich Mitarbeiterbindung. Diese schafft man übrigens auch, indem man Menschen sehr gezielt ausbildet. Wir merken zurzeit insbesondere in der IT, wie wichtig das ist. Für diese Ausbildung gibt es viele Möglichkeiten – egal, ob als Werkstudierende, durch eine klassische Ausbildung oder ein duales Studium. Dass man Menschen sehr früh in ein Unternehmen einbezieht, dadurch Vertrauen und Bindung schafft, ist essenziell, um dann auch langfristig mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Was kann man tun, wenn der „Vicious Cycle“ bereits eingetreten ist?

So hart es in dieser Situation ist und so unrealistisch es erscheint, ist es meiner Erfahrung nach wichtig, erstmal eine Pause zu machen. Auch um ein bisschen Ruhe reinzubringen, ein bisschen Abstand, das ist auch ein wichtiges Thema für Führungskräfte. Man wird zu sehr aufgefressen vom operativen Tagesgeschäft und hat eigentlich gar keinen Blick mehr für seine Mitarbeitenden. Man kann sie im schlimmsten Fall nicht mehr richtig gut führen, man hat keine Zeit mehr, sie weiterzuentwickeln. Man sieht sie damit nicht mehr richtig. Und man hat auch keine Kapazitäten mehr, neue Mitarbeitende zu gewinnen.

Denn für die Mitarbeitergewinnung braucht man Zeit. Selbst wenn es noch auf dem klassischen Weg funktioniert, dass ich eine Position ausschreibe und Menschen sich daraufhin im Unternehmen bewerben, muss ich mir Zeit nehmen für die Stellenausschreibung und das Bewerbungsgespräch. Aber damit ist es oft gar nicht mehr getan, sondern es braucht mehr. Entweder eine entsprechende Kampagne, die gefahren wird, oder auch eine Direct Search und proaktive Ansprachen. Auch dafür muss ich mir Gedanken machen: Wen suche ich für mein Team, wie kann das aussehen? Und das braucht viel Zeit und Kapazitäten und die sind einfach sehr oft nicht mehr gegeben. Darum ist es wichtig, einen Schritt zurückzugehen und eine höhere Flugebene einzunehmen, um sich zunächst einen Überblick zu verschaffen.

Poträtaufnahme von Miriam Katzenberger

Im Gespräch mit Miriam Katzenberger (Foto: Helen Nicolai BusinessPortraits)

Wie kann ich als Führungskraft mein Team dabei mitnehmen?

Man muss seine Teammitglieder unbedingt einbeziehen und mit ihnen in dem Moment sprechen, in dem man in den Vicious Cycle läuft. Erläutern, was da gerade passiert, und dass das eine Situation ist, die man erstmal überbrücken muss. Welche Ideen gibt es dafür vielleicht schon? Das Ganze irgendwie laufen zu lassen, ist eine schlechte Idee.

Die meisten Mitarbeitenden sind bereit, so eine Zeit mit zu überbrücken, wenn es einen Plan gibt. Wenn es Überlegungen und Ansteuerungen gibt, um die Situation zu verändern. Stillschweigend zu erwarten und zu hoffen, dass keiner etwas merkt, funktioniert nicht. Da braucht es eine klare Kommunikation und auch Wertschätzung dafür, dass die Beschäftigten zum einen jetzt etwas überbrücken und zum anderen vielleicht auch schon langjährig im Unternehmen sind. Neben wertschätzenden Worten bedeutet das letztlich auch eine finanzielle Kompensation. Manche sagen, das wäre zu leicht, doch das stimmt nicht. Denn natürlich wollen wir für unsere (Mehr-)Arbeit auch entlohnt werden.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass durch den Fachkräftemangel bei Einstellungen zum Teil massive Gehälter gefordert werden, was ich gar nicht per se bewerten will. Aber natürlich ist es dann schwierig, wenn ich langjährige Mitarbeitende darüber vergesse, denn das sind Menschen, die dem Unternehmen über Jahre Loyalität entgegengebracht haben. Das Thema Gehalt muss man im Unternehmen proaktiv angehen und nicht nach dem Motto handeln: „Wenn niemand fragt, dann passt das schon irgendwie“.

Kommen wir nochmal zu der Pause zurück. Wie kann man sie konkret ermöglichen, wenn „die Hüte brennt“?

Es kann helfen, gezielt Aufgaben auszulagern, im Zweifel auch an externe Dienstleister, um ein bisschen Ruhe und Stabilität ins Team zu bringen. Einmal für die Führungskraft, um dann andere Prozesse wie das Recruiting anstoßen zu können. Genauso aber auch für die anderen Teammitglieder, denn es schafft auch für sie Entlastung.

Gleichzeitig ist auch die Frage, gehören alle Aufgaben, die im Team erledigt werden, auch in dieses Team? Was sind die Kernkompetenzen, was macht in meinem Team wirklich Sinn? Und was ist da vielleicht auch über die Jahre aus einem anderen Team oder einer anderen Abteilung reingerutscht?  So was passiert ja auch gerne in Unternehmen. Dann muss man sich innerhalb des Unternehmens abstimmen, mehr in die Breite schauen. Vielleicht lassen sich dadurch auch Synergien schaffen. Umso größer Unternehmen werden, umso weniger schaut man in der Regel nochmal ins andere Team, in die andere Abteilung. Auch das ein wichtiger Punkt. Letztendlich kämpft man nicht allein, sondern das eigene Team stabil zu halten und zu unterstützen, ist Thema für die meisten Führungskräfte. Hier sollte man sich innerhalb des Unternehmens austauschen und schauen, wo man sich vielleicht unterstützen kann. Manche Dinge braucht es vielleicht auch gar nicht, auch da muss man schauen: Kann man da ein bisschen abspecken? Um sich dadurch wieder ein bisschen Luft zu verschaffen.

Wie geht es dann weiter?

Wenn man sich diese Luft verschafft hat, kann man sich z. B. dem Recruiting widmen und sich bei Bedarf auch hier externe Unterstützung suchen. Da kämen beispielsweise wir Personalberater:innen ins Spiel. Ich denke, dass Mitarbeitergewinnung heutzutage kaum noch möglich ist, ohne proaktiv auf Kandidatinnen und Kandidaten zuzugehen. Das kann der Direct Search sein, das können aber auch Kampagnen sein, um eine gewisse Aufmerksamkeit für das Unternehmen als Arbeitgeber zu schaffen.

Gerade bei einem Team, das von einem Vicious Cycle betroffen ist, braucht es auch die externe Begleitung einer Kandidatin oder eines Kandidaten. Auch sehr bewusst mit der Ehrlichkeit, dass es im Team aktuell eine Überlastung gibt, weshalb man eben sehr bewusst nach neuen Mitarbeitenden sucht. Aber auch der Info: Was hat das Team sich vielleicht schon überlegt? Was hat sich die Führungskraft bereits überlegt, um Abhilfe zu schaffen? Eine Umstrukturierung vielleicht, auch innerhalb des Teams, eine Aufgabenumverteilung, externe Dienstleister, dass das gerade anläuft und man sich dann zusätzlich neue Kapazitäten schafft mit neuen Mitarbeitenden. Außerdem: Wie ist die Vision, wie es zukünftig aussehen soll? Es ist sehr wichtig, da transparent zu sein, sonst schafft man Erwartungen, die man nicht erfüllen kann. Dann ist die neue Person schnell an einem Punkt, an dem sie sagt: „Hm, das funktioniert nicht“ und dann ist man wieder an der Ausgangsposition.

Als Personalberater:innen und Recruiter:innen legen wir sehr viel Wert darauf, dass wir die Fachbereiche und Führungskräfte im betreffenden Unternehmen sehr schnell in diesen Bewerbungsprozess mit einbeziehen, und bestehen auch darauf, dass sie die Zeit investieren, um Kandidat:innen in mindestens einem Vor-Ort-Gespräch, aber besser noch zwei oder drei Gesprächen kennenzulernen. Da braucht man manchmal auch diesen Anschub von außen, sonst geht auch das im Tagesgeschäft wieder unter. Nur dann kann tatsächlich ein Kennenlernen stattfinden, das die Grundlage für eine im besten Fall langjährige Zusammenarbeit ist. Nur wenn beide Seiten die Chance haben, sich wirklich gut kennenzulernen, entsteht daraus auch ein langfristiges Match. Einen schnellen Fix kriegt man in der Regel schnell hin, aber wenn das neue Arbeitsverhältnis schon in der Probezeit oder innerhalb des ersten Jahres auseinanderbricht, dann hat man da keine Abhilfe geschaffen.

Danke für diesen anschaulichen Einblick in den Umgang mit dem Vicious Cycle, Miriam!

 

Wir sprachen mit:

Miriam Katzenberger setzt als geschäftsführende Gesellschafterin der Personalberatung Artume Recruiting ihre eigene Vision von einem engen gemeinschaftlichen Austausch im Findungsprozess der Kandidat:innen um. Ein besonderes Augenmerk liegt für sie dabei neben der fachlichen Fähigkeit auf dem menschlichen Match. Als ausgebildete Mediatorin mit Fokus auf Organisationskultur in Familienunternehmen begleitet sie Kund:innen sowie Kandidat:innen eng während des Recruiting-Prozesses und darüber hinaus. So ermöglicht sie echte Begegnungen, um Menschen langfristig zu verbinden. [LinkedIn-Profil // Website]

(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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Kommende Woche erscheint der 2. Teil unseres Interviews mit Miriam, in dem wir über das Thema Fachkräftegewinnung sprechen. Abonnieren Sie unseren Newsletter oder folgen Sie uns auf LinkedIn, um den 2. Teil nicht zu verpassen!