„Es bringt niemandem etwas, wenn man irgendwann ausgebrannt ist“

In einer (Arbeits-)Welt, die sich gefühlt immer schneller dreht, sind Auszeiten wichtiger denn je. Wie er gelernt hat, sie ernst zu nehmen, und warum man als Führungskraft Auszeiten – von der Pause bis zur Elternzeit – auch bei seinen Mitarbeitenden fördern sollte, erläutert Nicolas Brackmann, Director Group Sales & Key Account Management der Randstad Gruppe Deutschland, im Interview.

Nicolas, wie viele Stunden arbeitest du pro Woche?

Ich schätze, ich komme auf um die fünfzig Stunden. Wobei das für mich auch ein fließender Übergang ist. Dadurch, dass meine Frau und ich beide Vollzeit in leitenden Vertriebsfunktionen tätig sind und wir drei Kinder haben, ist das ineinander verwoben. Wenn ich zum Beispiel die Kinder irgendwo hinfahre, dann telefoniere ich dabei häufig, das ist dann im Grunde auch Arbeitszeit. Oder wenn ich nachmittags beim Fußballspiel zugesehen habe, dann arbeite ich abends noch, wenn die Kinder im Bett sind.

Es hat Vor- und Nachteile, zu jedem Zeitpunkt arbeiten zu können, doch wir wollen uns heute einem anderen Thema widmen: Den Auszeiten. Wie schaffst du dir Auszeiten?

Für mich sind bewusst geplante Auszeiten in einer klassischen Arbeitswoche überschaubar. Das sind maximal kleine Inseln, die man versucht sich zu schaffen. Größere Auszeiten sind durch die Schulferien vordefiniert und langfristig geplant. Und dann gibt es kleine Highlights, wo man mal sagt: „Komm, wir fahren mal für ein Wochenende irgendwo hin“, oder man nutzt einen Brückentag.

Ich weiß beispielsweise jetzt schon, dass ich nächstes Jahr Weihnachten wieder zwei Wochen mit meiner Familie in die Berge fahre und ich weiß auch, dass ich im Sommer wieder in Schweden sein werde. Das sind feste Punkte, die ich brauche, Urlaube fernab von jeglichem Trubel, einfach um runterzukommen. Und dazu gibt es diese kleinen Oasen und Hideaways, die man zwischendurch braucht.

Wann hast du gemerkt, dass Auszeiten für dich wichtig sind? Ich denke zum Beispiel an Kolleg:innen aus früheren Arbeitsverhältnissen, die vom morgendlichen Ein- bis zum abendlichen Ausschecken am Arbeitsplatz saßen, am PC gegessen und gedacht haben, sie müssten das so machen, damit sie ihre Aufgaben bewältigen können.

Das war für mich eigentlich auch immer so. Ich bin da mit einem großen Bündel an Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein ausgestattet und deswegen gab es für mich keinen Anfang und kein Ende. Richtig bewusst wurde mir das während der Coronazeit. Ich hatte im Februar 2020 einen neuen Job angefangen, fünf Wochen später kam der Lockdown. Das war ein Zeitpunkt, zu dem ich noch neu war und mich dementsprechend auch beweisen wollte beziehungsweise musste. Und natürlich war ich auch in der damaligen Vertriebsleitungsposition angetreten, um etwas zu bewegen. Doch das mit komplett veränderten Vorzeichen und mit drei kleinen Kindern zu Hause ohne Betreuung. Ich bin dann an einen Punkt der Erschöpfung gekommen, an dem ich gemerkt habe: „Okay, das geht in der Form gar nicht“.

Doch ich habe versucht, diese Grenze immer weiter zu verschieben, natürlich rächt sich das irgendwann. Mir hat der Körper auch deutlich gezeigt, in dem Tempo kannst du das nicht weitermachen. Deswegen ist das Thema Auszeiten auch erst seit zwei, drei Jahren für mich präsent. Eine Konsequenz ist, dass ich mir im Urlaub, wo ich früher jeden Tag mindestens zweimal aufs Handy und nach E-Mails geschaut habe, jetzt sage, dass ich die nächsten drei Tage definitiv nicht draufschaue.

Du hast eben auch von den kleinen Inseln gesprochen, die du dir im Alltag schaffst. Wie kann ich mir das genau vorstellen?

Dadurch, dass unser Leben sehr auf das Thema Familie und Job ausgerichtet ist, sind diese Inseln ebenfalls darauf ausgerichtet, die Familie mit einzubinden. Beispielsweise gehen wir mit den Kindern, auch jetzt im Winter, einmal die Woche in die Tennishalle. Und im Sommer kommen sie mit auf den Platz, wo wir gemeinsam spielen. Es ist ein sehr aktives Miteinander, denn wenn ich die freie Zeit, die ich noch habe, „nur“ für mich nutzen würde, dann würde die Familie viel zu kurz kommen. Und das darf nicht sein.

Gibt es einen Effekt, der auch für andere sichtbar ist, wenn du aus so einer Auszeit zurück zur Arbeit kommst?

Ich habe tatsächlich vor kurzem einen schönen Spiegel vorgehalten bekommen, als ich frisch aus dem Weihnachtsurlaub mit einem unserer Geschäftsführer telefoniert habe und er sagte: „Nicolas, man hört dir das wirklich an, dass du deutlich ruhiger und entspannter bist.“ Diese Tage nach Weihnachten sind gut, um wirklich ein bisschen Pause zu machen. Ich nutze sie deswegen zum Kalibrieren und Reflektieren, aber auch zum Luftholen und um meine Batterien aufzuladen.

Es gibt beispielsweise ein paar Themen im Job, die ich gedanklich mitgenommen hatte. Und dann geht man zwischen den Jahren spazieren und hat mal die Ruhe, diese Gedanken zu bewegen und sich bewegen zu lassen. Du bist dann auch nicht in diesem konstanten Druck, dass du schnell zu einer Entscheidung kommen musst, sondern du kannst sagen: „Das Thema hat jetzt Zeit und das darf auch mal ein paar Tage arbeiten. Denk mal 10 Minuten drüber nach oder am nächsten Tag nur 5 Minuten, dadurch entsteht ein Bild.” Und die Ruhe für dieses Bild, die hast du im Alltag nicht.

Ich habe aber auch Auszeiten zwischen einzelnen Jobs schon für Coachings genutzt, um eine Standortbestimmung zu machen: „Was will ich? Wo stehe ich? Was treibt mich an? Was für ein Umfeld brauche ich eigentlich, um gut zu performen?“ Denn im Alltag ist man häufig so in dieser Maschine drin, dass man diese Zeit nicht hat. Alle paar Jahre finde ich so eine Standortbestimmung wichtig. Eine solche Auszeit zwischen Jobs kann man außerdem auch für gezielte Weiterbildungen nutzen.

Würdest du sagen, dass man so gesehen Auszeiten auch als Sprungbrett nutzen kann?

Einerseits ja. Andererseits habe ich diese Auszeiten nie als klassisches Sprungbrett gesehen, also dass ich gesagt hätte: „Jetzt mach‘ ich den nächsten großen Sprung.“ Sondern eher, um die eben genannten Fragen zu beantworten: „Was für ein Umfeld brauche ich? Was ist mir wichtig im Job?“ So dass man nicht nur von Job zu Job zu Job hetzt, sondern bewusst schauen kann, wo die Reise hingehen soll. Und das muss nicht immer automatisch ein Sprung sein, so als würde es automatisch immer nach oben gehen. Sondern vielleicht ist die Antwort auch: „Ich will jetzt bewusst eine Zeit lang etwas anderes in den Vordergrund stellen.“

Ich habe das auch im negativen Fall schon selbst erlebt, damals bei unserem ersten Kind. Als ich meinem damaligen Geschäftsführer gesagt habe: „Ich würde gerne einen Monat Elternzeit machen“, war die Reaktion: „Nicolas, das kannst du nicht machen. Das geht nicht wegen deiner Karriere und so weiter und so fort.“ Ich sollte als Führungskraft entwickelt werden und habe von ihm nach meiner Bitte eine schlechte Bewertung erhalten. Tatsächlich hat mich das aber darin bestärkt, die Elternzeit definitiv zu nehmen.

Porträtaufnahme von Nicolas Brackmann.

Im Gespräch mit Nicolas Brackmann (Foto: Birgitta Petershagen)

Das erinnert mich an mein Interview mit Nadine Quosdorf, die die Initiative #vereinbarkeitjetzt gegründet hat. Inzwischen bist du selbst Führungskraft, wie förderst du Auszeiten bei deinen Mitarbeitenden?

Ich schaffe das bei meinen Mitarbeitern gefühlt deutlich besser als bei mir selbst. Aus meinen eigenen Negativerfahrungen wie der eben geschilderten habe ich beispielsweise sehr viel gelernt. Generell ist das Thema „Vereinbarkeit, Familie, Beruf“ oder auch die Frage „Wie schafft man es, auch mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen?“ etwas, das mich sehr stark umtreibt.

Schließlich habe ich das auch bei meiner Frau mitbekommen, die auch auf einem Führungskräfte-Track war und dann, als wir das nächste Kind erwarteten, von diesem Track runtergenommen wurde. Wie kurzsichtig von solchen Unternehmen. Denn die Frau kommt doch wieder, das war auch klar kommuniziert. Doch da herrscht oft noch dieses kurzfristige Denken: „Nee, da vergeude ich jetzt einen Platz für ein Jahr.“

Aus solchen Erlebnissen nehme ich viel mit. Wenn ich als Führungskraft jemanden darin bestärke und unterstütze, die Elternzeit zu nehmen, erschafft das eine positive Bindung und ein Umfeld, in das man hinterher gern zurückkehrt. Jeder kennt doch das Motto: „Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es auch heraus.“ Das ist hier genauso.

Auch abgesehen von der Elternzeit fördere ich Auszeiten bei meinen Mitarbeitenden. Denn erstens bringt es keinem etwas, wenn man irgendwann keine Kraft mehr hat oder völlig ausgebrannt ist. Und auf der anderen Seite weiß jeder, wie schwer es ist, auch mal Nein zu sagen oder die Pause-Taste zu drücken. Gerade dadurch, dass sich die Arbeitswelt gefühlt immer schneller dreht, ist es umso schwieriger, Pause zu drücken. Aber genau deswegen ist es umso wichtiger, diese Momente bewusst zu schaffen. Und sei es durch ein: „Ich gehe zwei Wochen im Wald wandern und bin fernab von allem“, denn der alltägliche Stresspegel muss sich ab und zu auch wieder senken.

Tauschst du dich auch mit anderen Führungskräften aus, um sie zum Beispiel zu ermutigen, selbst Auszeiten zu nehmen oder sie in deren Teams zu fördern?

Das ist ganz unterschiedlich, denn es ist auch sehr stark von der Lebensphase abhängig, in der man sich gerade befindet. Ich finde, es gibt da kein klassisches Patentrezept. Ich würde mir auch nie anmaßen zu sagen: „So muss man das machen oder so sollte man das machen“. Sondern ich würde in einem Gespräch eher Fragen zum Thema Auszeiten stellen. Natürlich gibt es ein paar sehr enge Freunde, mit denen ich mich intensiver darüber austausche, und die auch selbst in Führungspositionen arbeiten. Wir besprechen zum Beispiel, wie stark man seinem Team zeigen sollte, wenn man selbst gerade Richtung eines roten Bereiches geht. Wie offen kommuniziert man das? Denn auch das kann andere bestärken, nochmal in sich reinzuhorchen.

Grundsätzlich finde ich einen offenen und transparenten Umgang enorm wichtig und nicht dieses: „Als Führungskraft muss ich immer die Aura versprühen und so und so leistungsfähig sein.“ Denn Hochs und Tiefs gehören dazu und genauso, wie ich dafür verantwortlich bin, meine Teams zu befähigen, einen super Job machen zu können, merke ich, dass sie mich ebenfalls befähigen. Dass meine Mitarbeitenden auch merken, dass ich Pausen brauche, und dass sie mich aktiv und auf Augenhöhe darauf ansprechen können: „Geh noch mal raus aus dem Call, 10 Minuten und puste einmal alles durch und dann komm wieder.“ Das würdest du nicht in einem Umfeld sagen, wo du nicht weißt, dass es wertgeschätzt wird und akzeptiert ist.

Dieses klassische alte Bild von „oben – unten“ will ich nicht. Wir haben alle unsere Rollen in einem Unternehmen und diese unterschiedlichen Rollen haben unterschiedliche Anforderungen, unterschiedliche Zielrichtungen. Und eine meiner Zielrichtungen ist, mein Team bestmöglich zu unterstützen, zu fördern und zu entwickeln. Und das kann ich nur tun, wenn ich die Ruhe und die Kraft dafür habe.

Danach noch einen besseren Job machen und noch besser für sein Team da sein können: Das könnte eine gute Motivation für Führungskräfte sein, die sich Auszeiten noch nicht zugestehen.

Und wie gesagt, es gibt viele verschiedene Phasen im Leben, in denen man auch etwas anderes braucht. Wenn ich zehn Jahre zurückschaue, dann war für mich wichtig: „Vollgas, weiter und vor Energie strotzen.“ Und jetzt, zehn Jahre später mit vielen Nächten mit nur wenig Schlaf aufgrund der Kinder und dazu mit mehr Verantwortung, da sage ich mir: „Was bringt es denn, wenn ich mich so verausgabe, dass ich vor die Wand fahre?“ Dafür ist auch das Verantwortungsgefühl der Familie, den Kindern, aber auch der Firma gegenüber viel zu groß, dass ich das noch machen kann.

Es gibt ja manchmal diese Situation: Man ist gerade in einer Sackgasse, will in seinem Leben etwas komplett ändern. Und nimmt sich dafür eine Auszeit. Das hat auch ein Vetter von mir gemacht, der einen Top-Management-Job in Asien hatte und dann sagte: „Ich nehme nicht das Flugzeug zurück nach Europa“, als er seinen Job beendet hat, sondern er nahm das Segelboot und war zwei Jahre unterwegs. Er hat sich einmal komplett kalibriert. Doch er war auch an einem deutlich anderen Punkt in seinem Leben als ich es beispielsweise gerade bin. Deswegen ist immer auch die Frage: „In welcher Lebensphase befinde ich mich gerade?“

Wenn ich als Führungskraft also jemanden habe, der 25 und ungebunden ist und der Karriere machen und die Nächte durcharbeiten möchte, dann würde ich der Person nicht ständig mit Auszeiten in den Ohren liegen, aber natürlich schon auf das Arbeitsschutzgesetz achten. Doch wenn ich jemanden mit kleinen Kindern im Team habe, dann würde ich ihn bzw. sie darin bestärken.

Ganz genau. Und es gibt auch andere Situationen, wenn man sich zum Beispiel um seine eigenen Eltern kümmern muss. Je nachdem wo du gerade bist im Leben, brauchst du einen anderen Fokus oder solltest die Möglichkeit haben, einen anderen Fokus zu legen.

Vielen Dank für das Gespräch, Nicolas!

 

Wir sprachen mit:

Nicolas Brackmann kam im Mai 2022 als Director Group Sales und Key Account Management zur Randstad Gruppe Deutschland. Er ist u. a. Experte für die Herausforderungen und Trends des HR-Markts. Vor allem der Fachkräftemangel und Lösungen hierfür sind einer seiner Schwerpunkte.

Bevor er in die Randstad Gruppe Deutschland gekommen ist, war er einige Jahre bei der Lufthansa Gruppe in verschiedenen Vertriebspositionen angestellt. Und zuletzt Vertriebsleiter bei der Hofmann Menü-Manufaktur. [LinkedIn-Profil]

(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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