Das Ende der Alphatier-CEOs? Weshalb menschliche Führung die stärkere ist
Menschlichkeit, Empathie, Partizipation? Diese Begriffe wurden lange Zeit nicht mit der Führung von Unternehmen assoziiert und manch eine:r hat auch schon brüllende Vorgesetzte erlebt. Dass ein menschlicher Führungsstil jedoch nicht mit einem Verlust an Autorität und Stärke gleichzusetzen ist – und stattdessen zu gesünderen Arbeitsverhältnissen und weniger Fluktuation beitragen kann, erläutert Coach Julius Bachmann im Interview.
Was verstehen Sie unter einem menschlichen Führungsstil?
Menschliche Führung fußt auf Empathie und Kommunikation. Führungskräfte sollten spüren und verstehen, was in ihrem Gegenüber vorgeht, und entsprechend kommunizieren können, indem sie aktiv zuhören, Wertschätzung ausdrücken, teilhaben lassen sowie Feedback geben und annehmen. Da der auf ihnen lastende Druck immens ist, können Führungskräfte jedoch nicht immer hinreichend auf andere eingehen und begegnen selbst ihren Familien mit weniger Empathie. Das verhindert jedoch, miteinander und ohne viel Stress zu gemeinsamen Lösungen zu gelangen.
Welche Vorteile hat ein menschlicher Führungsstil?
Ein menschlicher Führungsstil ist hilfreich, um durch Empathie und Kommunikation das Vertrauen im Team auch in stressigen Zeiten beizubehalten. Der Zeitdruck vieler meiner Kund:innen ist groß: Viele werden gerade Eltern oder sind es bereits und müssen irgendwie die Familie, eigene Bedürfnisse und das eigene Unternehmen unter einen Hut bringen. Aus Reflex kürzt man bei Stress zuerst die Zeit und Ressourcen für sich selbst. Doch woher soll man in einer stressigen Situation die Energie für Empathie und Kommunikation nehmen, wenn man nicht mehr ausreichend schläft, sich ungesund ernährt oder wenig Sport treibt und sich selbst gegenüber weniger empathisch ist? Menschliche Führung hält deshalb dazu an, klar an das Team zu kommunizieren, wo man emotional, physisch und mental steht. Das schafft Transparenz und Verbindlichkeit und fordert Mitarbeitende implizit auf, ebenfalls auf ihr Wohlbefinden achtzugeben.
Weitere Vorteile bietet menschliche Führung bei Konflikten im Unternehmen. Beispielsweise wirkt Streit zwischen Co-Führungskräften lähmend, weil die Konfliktbeteiligten auf Zusammenarbeit angewiesen sind oder eben getrennte Wege gehen müssten. So eine Trennung ist allerdings unglaublich aufwendig. Hilfreicher wäre es, miteinander zu reden und den Standpunkt und die Bedürfnisse der anderen Person wirklich verstehen zu wollen.
Gibt es ein Bedürfnis nach mehr Menschlichkeit in Unternehmen?
Auf jeden Fall. Menschlichkeit heißt doch, dass wir uns näher sein wollen. Die Frage nach der Vereinbarkeit der harten Realität der Firma mit dem Bedürfnis, authentisch und menschlich zu arbeiten, ist existentiell. Ich musste erkennen, dass nicht alle Realitäten zusammengebracht werden können: Vor anderthalb Jahren wurde ich Vater, ein Jahr zuvor hatte ich eine Firma gegründet. Irgendwann war klar, dass meine Zeit und Energie nicht ausreichen, um sowohl eine Coachingpraxis als auch eine Firma zu führen als auch ein solcher Vater und Partner zu sein, wie ich es sein möchte. Seit ich die Firma abgegeben habe, kann ich in meinen Rollen als Coach und Familienmensch freier atmen und planmäßig Feierabend machen. Angesichts der Verwischung von Grenzen zwischen Beruflichem und Privaten muss man sich eine eigene Realität gestalten, in der man authentisch agieren kann.
Wie verändert sich die Arbeit durch einen menschlichen Führungsstil?
Meine Kund:innen sind Führungskräfte von eigens gegründeten Unternehmen. Zumindest in den Anfangsjahren ändern sich ihre Aufgaben etwa alle sechs Monate grundlegend, typischerweise in S-Kurven: Der Druck steigt und sie müssen sich auf eine neue Situation einstellen, dann flacht der Druck wieder ab und sie können etwa sechs Monate so unterwegs sein, bis sich ihre Aufgaben an der nächsten Schwelle wieder ändern und sie bisherige Tätigkeiten delegieren müssen. Um sinnvolle Aufgabenaufteilungen zu finden, lasse ich meine Kund:innen ihre Mitarbeitenden mitbringen, weil es nicht darum geht, einfach einen Teil des eigenen Workloads auf andere Schreibtische zu schieben. Es braucht Verständnis und Empathie auf allen Seiten, um gemeinsame Lösungen zu finden.
Auch bei der Definition von Unternehmenszielen verändert ein menschlicher Führungsstil die Abläufe. Die meisten Mitarbeitenden wollen nicht bloß von oben herab vorgeschriebene Ziele verfolgen. Sondern sie erwarten, von der Führungskraft abgeholt und menschlich behandelt zu werden, um teilhaben zu können. Indem die Führungskraft Informationen zur Realität des Unternehmens gibt, statt ihre Entscheidungen ohne Rücksprache durchzusetzen, steckt sie einen Rahmen ab, an dem sich Mitarbeitende orientieren und in dem sie ihre Eigenwirksamkeit spüren können.
Das veranschaulicht das sogenannte W-Modell: Erst kommt die Führungskraft mit einem Entwurf der Ziele zum Team hin, das Team füttert Ideen und Reaktionen zurück. Dann versucht die Führungsperson, ihre Perspektive mit jener der Angestellten zu vereinen. Wenn das finale Ziel steht, leitet jede Person für sich individuelle Ziele ab, um zur Erreichung des übergeordneten Unternehmensziels beitragen zu können. Deshalb die W-Form: Oben, unten, oben, unten.
Durch einen menschlichen Führungsstil verändert sich also ebenfalls die Mitarbeitendenrolle. Alle müssen sich hundertprozentig über ihre Ansichten klar sein, denn sonst kommt es schnell zu Konflikten, und die Arbeit derer, die keine Position beziehen, würde nur in die Richtung derjenigen fließen, die Position bezogen haben.
Welche Herausforderungen gehen mit einem menschlichen Führungsstil einher?
Sie können sich bei schwierigen Entscheidungen nicht mehr hinter der Führungsrolle verstecken. Wenn z. B. Stellen gestrichen werden, müssen Sie sagen können: „Leute, es tut mir richtig weh, aber ich bin mit meinem Latein am Ende.“ Als authentische, nahbare Führungskraft sind Sie unmittelbar am Geschehen dran und müssen durch den Schmerz hindurch, anstatt sich hinter der Aussage „Das ist halt mein Job, das muss so sein“ zu verstecken.
Unangenehme Emotionen verschwinden ohnehin nicht, wenn Sie sie wegschieben, sondern provozieren eher Ausgleichs- bzw. Übersprungshandlungen in anderen Lebensbereichen. Diese emotionale Bereitschaft auch für unangenehme Gespräche bedeutet, dass man nicht als Führungskraft agiert, deren Wort Gesetz ist, sondern die Scheuklappen abnimmt, sich die eigene Verletzlichkeit eingesteht und in den offenen Austausch mit anderen geht.
Gilt das auch in Krisenzeiten?
Ja. Für viele Unternehmen läuft es wirtschaftlich derzeit schlechter als erhofft. Aber auch dann ist man nicht nur irgendein:e Sprecher:in des Vorstands und verkündet aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtlage die Entlassung von zigtausend Mitarbeitenden. Es gilt, sich selbst und die Mitarbeitenden stets wirklich als Menschen zu betrachten, die durch Krisen und Unternehmensentscheidungen persönlich beeinflusst werden.
Es ist vertrackt, einen für alle gangbaren Weg zu finden, v. a. angesichts des geringeren ökonomischen Spielraums. Durch die Vielzahl an Perspektiven, die offen ausgetauscht werden, wächst der Gestaltungsspielraum auf einmal sehr und man kreiert gemeinsam eine gangbare Lösung.
Kann man Menschlichkeit in der Führung messen?
Wenn Führungskräfte gesund auftreten, dann multipliziert sich das im ganzen Unternehmen. Ansonsten schlägt sich ein menschlicher Führungsstil in einer geringen Personalfluktuation nieder, da Angestellte länger bleiben, wenn sie sich menschlich – mit empathischer Kommunikation – behandelt fühlen. Tatsächlich melden mir Mitarbeitende zurück, dass seit dem Coaching ihrer Vorgesetzten die Entspannung im gesamten Unternehmen zugenommen habe, auch bei Mitarbeitenden, die nicht direkt mit der Führungsperson zu tun haben. Die Ausläufer des positiven Einflusses der Führungskraft breiten sich also in der Organisation weiter aus.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wir sprachen mit:
Julius Bachmann arbeitet als Coach mit Führungskräften aus ganz Europa. In der Vergangenheit hat er u. a. als Investor, Finanzdirektor und Start-up-Manager umfassende Einblicke in die Unternehmenswelt erhalten und nutzt diese in seiner gegenwärtigen Coachingpraxis, um Führung menschlicher werden zu lassen. Ansonsten ist er Mitgründer der Firma „Journey“, als Berater der EU-Kommission tätig und als Songwriter, Gitarrist und Blogger aktiv.