Employer Branding im Zeitalter von „Big Quit“ und Fachkräftemangel

Arbeitsökonominnen und -ökonomen, Statistikämter und Unternehmen kennen und nutzen den Ausdruck „Big Quit“ – und empfinden das dahinterstehende Phänomen zunehmend als Bedrohung. Man könnte es als „das große Kündigen“ übersetzen. Mit gezieltem Employer Branding lässt sich dieser Entwicklung jedoch entgegenwirken.

Eine von forsa im Auftrag von onlyfy by XING durchgeführte Langzeitstudie belegt den wachsenden Trend zum Jobwechsel: 37 Prozent der Befragten sind offen für einen Arbeitsplatzwechsel, was den zweithöchsten Wert seit 2012 darstellt (onlyfy by Xing, 2023). Darüber hinaus zeigen Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass in Deutschland im ersten Quartal 2023 insgesamt etwa 1,75 Millionen Arbeitskräfte fehlen (IAB, 2023). „Unsere Herausforderung wird künftig nicht mehr Arbeitslosigkeit sein, sondern Arbeiterlosigkeit“, fasst Sebastian Dettmers, CEO von StepStone, die Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammen (Dettmers, 2022). Eine ähnliche Einschätzung teilt auch der ehemalige Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, in seinem Gastkommentar für die WirtschaftsWoche. Er stellt fest, dass sich der Arbeitsmarkt in Deutschland zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt habe (Scheele, 2022).

Unternehmen müssen daher verstärkt darüber nachdenken, wie sie den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Bewerberinnen und Bewerbern gerecht werden können, um sich im Wettbewerb um qualifiziertes Personal von anderen Unternehmen abzuheben (Scheele, 2022). Eine wichtige Möglichkeit hierzu bietet z. B. ein von Grund auf veränderter Führungsstil, der die Beschäftigten stärker mitnimmt und hierarchische Führungsansprüche durch ein „humble leadership“ ersetzt (von der Oelsnitz, 2022).

Was tun?

Sie fragen sich nun vielleicht, wie Ihr Unternehmen angemessen auf diese Entwicklungen reagieren kann – und wie es insbesondere gelingen kann, die Bindung und Loyalität der bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern langfristig zu stärken, um so auch möglichen Abwerbeversuchen entgegenzuwirken. Unsere Empfehlung lautet: Setzen Sie auf bedarfsgerechte Maßnahmen im Bereich des internen Employer Brandings.

Besonders während der Corona-Krise wurde deutlich, dass Employer Branding weit über bloßes (Personal-)Marketing hinausgeht. Eine von uns durchgeführte qualitative Interviewstudie mit Expertinnen und Experten aus dem Bereich Employer Branding (N=12) ergab, dass in der Corona-Zeit insbesondere die Führungskräfte der Unternehmen als personifizierte Markenbotschafter eine wesentliche Rolle spielten (von der Oelsnitz et al., 2023). Führungskräfte sind nicht nur das entscheidende Bindeglied zwischen der Unternehmensführung und den Beschäftigten, sondern prägen durch ihren Führungsstil, ihre persönlichen Ansichten und ihre unmittelbaren Handlungen auch maßgeblich die Unternehmenskultur (Schein, 1995) – und somit letztendlich auch die Arbeitgeberattraktivität.

Um die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an das Unternehmen aufrechtzuerhalten oder weiter auszubauen, sind unserer Einschätzung nach zwei zentrale „Attraktionsfaktoren“ von Bedeutung: Vertrauen und Individualität.

(1) Vertrauen

Vertrauen ist nicht nur ein grundlegender und unverzichtbarer Bestandteil zeitgemäßer Personalführung, sondern jeder menschlichen Beziehung. Und seit der Corona-Pandemie wichtiger denn je. Der Führungsexperte Reinhard K. Sprenger bringt es in hier leicht abgewandelter Form auf den Punkt: Wer ohne Vertrauen führt, geht im Betrieb eigentlich nur spazieren (Sprenger, 2010).

In Bezug auf internes Employer Branding heißt das konkret: Mitarbeitende müssen im Arbeitsalltag spüren, dass man ihnen, wenn sie beispielsweise remote von zu Hause aus arbeiten, vertraut, man ihre Anliegen ernst nimmt und auf ihre Bedürfnisse eingeht. Genau das macht heute ein attraktives Arbeitgeberimage aus. Führungskräfte sollten signalisieren, dass sie jederzeit als Ansprechpartner/-innen zur Verfügung stehen und ein echtes Interesse an den Sorgen und Nöten ihrer Beschäftigten haben. Kurzum: Echtes Leadership ist gefragt – was die zentrale Bedeutung der persönlichen Haltung bzw. des Charakters einer Führungskraft unterstreicht (von der Oelsnitz, 2022).

Darüber hinaus sollten Führungskräfte durch eine auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgerichtete Arbeitszuweisung nicht nur für einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag sorgen, sondern auch sicherstellen, dass Talente sich entfalten und wachsen können. Dies führt uns zum zweiten Attraktionsfaktor: der Anerkennung der Individualität der Beschäftigten sowie damit einhergehenden, flexiblen Anpassungen der organisationalen Arbeitsaufgaben an deren Bedürfnisse und Qualifikation.

(2) Individualität

Die Bedeutung individueller Freiheitsgrade am Arbeitsplatz hat nicht erst seit der Corona-Pandemie zugenommen und spielt eine entscheidende Rolle im Wettbewerb um Talente. Niemand mag es, fremdbestimmt zu sein. Immer mehr Beschäftigte fordern flache Hierarchien, die Möglichkeit, ihren Arbeitsort frei zu wählen oder über ihre Zeit weitgehend autonom zu verfügen. Sie möchten zudem Aufgaben übernehmen, die ihren individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen entsprechen.

Vor diesem Hintergrund ist es für Unternehmen ratsam (wenn nicht sogar zwingend notwendig), sich konstruktiv mit den individuellen Bedürfnissen, Werten und Lebensphasen aller Beschäftigten auseinanderzusetzen. Und dabei eben nicht, wie häufig zu vernehmen, stereotypen Behauptungen über bestimmte Generationen blind zu folgen und darauf basierend „gießkannenartig“ Maßnahmen anzusetzen. Unternehmen sollten stattdessen besonderes Augenmerk auf die individuellen Eigenschaften und Vorstellungen von (aktuellen oder zukünftigen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern legen, die zum Unternehmenserfolg beitragen. Dies erscheint erfolgversprechender als pauschalisierten vermeintlichen Erwartungen einer bestimmten Generation unkritisch zu folgen (Schmidt et al., 2020).

In diesem Zusammenhang erscheint uns vor allem der Ansatz einer sogenannten idiosynkratischen, d. h. unmittelbar personenbezogenen Stellenbildung hilfreich. Die idiosynkratische Stellenbildung rückt konsequent die subjektive Potenzial- und Mitarbeiterorientierung innerhalb des Jobdesigns in den Vordergrund. Diese Denkweise ist weniger an den vorhandenen Arbeitsaufgaben oder Strukturen, sondern vielmehr an den individuell-vielfältigen Qualifikationsprofilen der Beschäftigten orientiert. Das bedeutet konkret: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden rekrutiert und erst danach werden die Aufgaben und Durchführungsaktivitäten für diese passend definiert oder feinjustiert (Holtbrügge, 2022). So richtet man das Stellenprofil nach den Stärken und Möglichkeiten der Beschäftigten aus, was eine optimale Einbindung des vorhandenen Potentials bedeutet. Dieser Ansatz entspräche dem derzeit populären Konzept der sogenannten Holokratie (Robertson, 2016).

Fazit

Der zukünftige Verlauf der Weltwirtschaft und der Wettbewerb der Unternehmen um Marktanteile, Gewinne und Talente sind unsicher. Eine Tatsache bleibt jedoch unbestreitbar: Die nächste Krise wird kommen. In diesem Zusammenhang gewinnt das Thema Employer Branding an Relevanz. Konkret bedeutet das: Unternehmen, die bereits vor einer Krise ein positives Image als attraktive Arbeitgeber bei ihren derzeitigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch bei neuen Arbeitskräften aufgebaut haben, werden nach einer Krise mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller und müheloser zur Normalität zurückkehren. Ein starkes Employer Branding ermöglicht es Unternehmen, in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und Turbulenzen das Vertrauen und die Loyalität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken. Durch eine klare und attraktive Arbeitgebermarke werden die Beschäftigten dazu motiviert, sich auch in schwierigen Zeiten für das Unternehmen einzusetzen und ihr volles Potenzial einzusetzen.

Literaturliste zum Download

---

Ihnen hat der Beitrag gefallen und Sie möchten keinen weiteren verpassen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter oder folgen Sie uns auf LinkedIn!