Raum und Licht als Ressourcen verstehen
Die Arbeitsplatzausstattung hat einen großen Einfluss nicht nur auf Gesundheit und Wohlbefinden sondern auch auf die Arbeitsleistung. Wir haben mit Professorin Anna Steidle über die Zusammenhänge von Licht und Raum als Ressourcen gesprochen.
Wenn wir über die optimale Ausstattung von Arbeitsplätzen bzw. -Räumen reden, von Atmosphären, die man angepasst an die im jeweiligen Raum zu leistende Arbeit gestalten will, widmen wir uns dann einem Luxusproblem, das am Ende schon allein aus finanziellen Gründen nur große Konzerne angehen können?
Keineswegs. Mit dem Thema befassen sich Wissenschaft und Praxis seit Jahrzehnten. Anfangs ging es vor allem darum, Arbeitsplätze zu schaffen, die z. B. frei von Schadstoffen sind und in denen der Lärm einen bestimmten Wert nicht übersteigt. Dieser physikalische Komfort ist in Deutschland sehr gut geregelt. Inzwischen wissen wir aber viel mehr darüber, welche Faktoren die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Arbeitsleistung noch positiv beeinflussen können. Das ist zum einen der funktionale Komfort. Anders gesagt: Erfüllt der Raum die Anforderungen, die die dort zu lösende Aufgabe an Beschäftigte stellt? Sorgt er dafür, deren Aktivitäten zu unterstützen? Das kann neben anderen Umgebungsfaktoren u.a. durch das Licht geschehen. Und wir wissen inzwischen auch, wie wichtig der Blick auf das Individuum ist, seine persönlichen Bedürfnisse wie Privatheit, Wärme, Stille und ein Gefühl von Geborgenheit. Wir sprechen da von psychologischem Komfort.
Ein Thema – nicht nur für große Konzerne
Diese drei Arten von Komfort lassen sich mit verschiedenen Mitteln erreichen; längst nicht alle sind so teuer, dass nur große Konzerne ihre Arbeitsräume entsprechend ausstatten können. Das Bewusstsein für die Bedeutung von funktionalem und psychologischem Komfort ist dort allerdings stärker ausgeprägt. Fachkräfte aus vielen Berufsgruppen sind knapp; wer Interessenten nichts bieten kann außer einem angemessenen Gehalt, wird sie heutzutage nicht mehr gewinnen können. Das kann teuer werden für ein Unternehmen, teurer als eine Investition in Räume, die gezielt an Aufgaben angepasst sind und eine Atmosphäre verströmen, in der sich Wohlbefinden einstellt und Lust am Arbeiten statt Ermüdung. Viele Firmen denken jetzt darüber nach, ihre Arbeitsumgebung neu oder anders zu gestalten. Es wird aus meiner Sicht ähnlich wie bei anderen Themen ablaufen, die schrittweise durch das Management zuerst der großen und später der mittleren und kleinen Unternehmen aufgegriffen worden sind, und heute fast selbstverständlich dazugehören.
Sind solche Umbauten oder Veränderungen in der Ausstattung am besten bei Neubauten möglich?
Natürlich ist manches in einem Neubau leichter zu realisieren. Aber damit es gut gelingt, die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden zu stärken, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu fördern, erfordert es keinen Neubau. Auch beim Neubau und bei Umzügen kann man viel falsch machen, besonders, wenn man die Mitarbeitenden nicht einbezieht. Klimatisierte Räume sind ein Beispiel dafür. Manche Bauverantwortliche sehen darin einen Fortschritt, aber viele Mitarbeitende erleben sie als Kontrollverlust. Sie öffnen dann Türen, um die Temperatur zu beeinflussen und torpedieren so das ganze Konzept. Andere Unternehmen lassen eine komplexe Lichtsteuerung einbauen, schulen die Mitarbeitenden aber nicht in deren Handhabung. Der gewünschte Effekt, das Licht jeweils den anstehenden Arbeitsaufgaben anzupassen und so leistungssteigernd zu wirken und Ermüdungserscheinungen zu reduzieren, tritt nicht ein. Stattdessen können Frust und Stress entstehen, weil eine Standardeinstellung bestehen bleibt, die für die/den Techniker:in beim Einbau der Lichtsteuerung vielleicht optimal war, für die/den Designer:in am Schreibtisch aber unangenehm ist. Das ist so, als würde man Angestellte an einen neuen Computer setzen, deren Anwendungsmöglichkeiten sie nicht kennen und demzufolge auch nicht optimal nutzen.
Kleine Veränderungen können viel bewirken
Neubau ist auch deshalb in vielen Fällen nicht erforderlich, weil in manchen Unternehmen statt einer völlig neuen Ausstattung zunächst mal höhenverstellbare Stühle und Tische gebraucht werden oder die Ausrichtung der Technik so verändert werden muss, dass Blendungen reduziert werden. Was ich damit sagen will: Es lassen sich in so gut wie jedem Büro Dinge verbessern und damit Effekte für Leistung und Wohlbefinden erreichen.
Sie haben das Licht im Raum als einen wichtigen Faktor erwähnt. Gehört das eher zu dem psychologischen oder dem funktionalen Komfort?
Es gehört zu beiden. Bei einer Qualitätsprüfung muss es deutlich heller sein als bei anderen Aufgaben. Für Nachtarbeit eignet sich blau angereichertes Licht gut. - Licht und Raum sind die immateriellen Ressourcen der Architektur. Zusammen mit der Inneneinrichtung determinieren sie, welche Atmosphäre im Raum herrscht. Aus psychologischer Sicht ist das so etwas wie eine Affordanz - ein Angebot einer bestimmten emotionalen Qualität.
Eine informelle, gemütliche Atmosphäre lädt ein sich zu entspannen, die soziale Kontrolle runterzulassen und sich anderen zu öffnen Jeder Raum signalisiert über seine Atmosphäre, wie ich mich in ihm verhalten kann od. soll. Bis zu einem gewissen Grad ist das bei jedem unterschiedlich, aber wir alle haben kulturelle Prägung erfahren und gelernt, was mit bestimmten Raumsituationen und Beleuchtungen verbunden ist. Das können Verhaltensweisen, Geschehnisse oder Anforderungen sein. Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Bibliothek; die Leser:innen sind in ihre Lektüre vertieft; es ist ganz still. Automatisch vermeiden auch Sie jeden Lärm und zucken peinlich berührt zusammen, wenn ihr Handy klingelt. Ähnlich wie die Bibliothek signalisieren auch andere Räume uns, was in ihnen gut machbar ist und was weniger.
Wie haben Sie die Wirkung von Licht im Raum auf Arbeitskräfte ermittelt, um daraus Empfehlungen für Arbeitsräume bzw. Arbeitsplätze geben zu können?
Wir haben dazu sechs Studien durchgeführt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Für eine unserer Untersuchungen wurde die Raum-Atmosphäre extrem manipuliert. Die Proband:innen mussten in diesem Raum verschiedene Arbeiten am Computer ausführen. Dabei haben wir für Kleingruppen die Beleuchtung in drei Stufen von Helligkeit auf der Tischoberfläche variiert: 1500 Lux, 150 Lux und 500 Lux (wie es vorgeschrieben ist). Es gab Logik-Test-Aufgaben und unterschiedliche Kreativitätstests. Einer dieser Kreativitätstests bestand darin, einen Alien zu zeichnen. Es wurde ausgewertet, wie ungewöhnlich das Ergebnis war. Als Indikator für die Kreativität galt, wie stark sich die verschiedenen Probanden von der Norm lösten. Bei gedimmtem Licht waren die Teilnehmenden besser in der Kreativitätsaufgabe; die Atmosphäre machte sie offenbar freier. Die Logikaufgabe lösten sie dagegen bei hellem Licht besser.
In beiden Fällen handelte es sich um direktes Licht. Dieses signalisiert im Normalfall: Jetzt muss ich aufpassen, ich werde beobachtet. Bei indirektem Licht trat die geschilderte Wirkung auf die Lösung der unterschiedlichen Aufgaben nicht ein; es gab keinen Zusammenhang zwischen Beleuchtung und Leistung. Den Grund dafür sehen wir darin, dass sich die Atmosphäre nicht verändert, wenn man das indirekte Licht dimmt. Der Raum wurde deshalb bei gedimmtem Licht nicht als zwangloser wahrgenommen.
Dimmen kann kreatives Denken und Kooperationsbereitschaft steigern
Andere Studien sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Das Dimmen einer direkten künstlichen Lichtquelle kann eine informellere, befreiende Atmosphäre schaffen, die nicht nur kreatives Denken, sondern auch impulsives Handeln und Kooperationsbereitschaft begünstigt. Warmes gedimmtes Licht fördert - so wurde nachgewiesen – positive soziale Interaktion. Es geht also nicht nur um die Sehanforderungen, sondern auch um die emotionalen und sozialen Anforderungen einer Arbeitsaufgabe.
Verlangt das in allen Arbeitsräumen die Möglichkeit zur Regulation des Lichts?
Nicht zwingend, solange auch ein Ortswechsel an einen anderen Arbeitsplatz möglich ist, um dort entweder kreativer oder konzentrierter sein zu können. Solche Ortswechsel sind auch aus anderen Gründen sinnvoll, wenn man z. B. an den Geräuschpegel in einem Großraumbüro denkt. Für bestimmte Aufgaben sollte immer ein Einzelzimmer zur Verfügung stehen.
Sie haben eingangs erwähnt, dass es wichtig ist, bei der Schaffung oder Verbesserung des funktionalen und psychologischen Komforts die Beschäftigten einzubeziehen. Setzt es nicht umfangreiche Kenntnisse voraus, um seine Wünsche zielführend und präzise zu formulieren?
Tatsächlich machen sich Beschäftigte oft wenig Gedanken darüber, was ihnen gut tut, was an ihrem Arbeitsplatz vielleicht geändert oder auch nur umgestellt werden sollte, welche Temperatur optimal wäre. Viele legen mit ihrer Arbeit los, als wäre die Raumatmosphäre egal; im ungünstigsten Fall sinkt ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft und es kommt zu Ermüdungserscheinungen.
Wen sehen Sie dann in der Verantwortung?
Die Planer:innen, die ich kennengelernt habe, traten oft mit klaren Vorstellungen von dem, was sie wie erreichen wollten, an. Mitarbeitende waren sehr unterschiedlich gut darin, zu beschreiben, worauf sie besonderen Wert legen. Die Beteiligung der Betroffenen ist aber trotzdem wichtig. Deshalb muss die Bedarfsaufnahme unter ihnen professionalisiert werden.
Das bedeutet?
Leute mitnehmen, sie nach ihren Bedürfnissen fragen, ihre Antworten fachlich korrekt „übersetzen“ und daraus Maßnahmen ableiten. Neben der Befragung können von Seiten des Managements auch Vorschläge unterbreitet und zur Diskussion gestellt werden. Ideal wäre es, durch vorhandene Räume zu gehen, zu erleben wie sie wirken und was daran gut ist oder verändert werden sollte.
Im Prinzip müsste man jeden Umzug oder Neubau wie einen Change-Prozess behandeln. Alle Entscheidungen sollten nach dem Prinzip eines evidenzbasierten Managements gefällt werden. Dazu braucht es die Nutzung verschiedener Informationsquellen, die beste verfügbare wissenschaftliche Evidenz, aber auch das Wissen von Praktiker:innen.
Braucht es auch die Einbeziehung von Psycholog:innen?
Nicht zwingend, solange man ihre Forschungsergebnisse kennt und nutzt. Vor allem braucht man jemanden, der in der Lage ist, einen Change-Prozess zu managen. Zusätzliche Expertise lässt sich beschaffen, aber das Management muss man beherrschen.
Jetzt haben wir viel über Arbeitsplätze in Unternehmen gesprochen. In der Pandemie haben viele Menschen im Homeoffice gearbeitet. In vielen Fällen erwägen sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende dies über die Pandemie hinaus fortzusetzen. Welche Ihrer wichtigen Erkenntnisse ließen sich dann überhaupt noch umsetzen?
Das Arbeiten außerhalb des klassischen Büroarbeitsplatzes bringt u.a. Herausforderungen in ergonomischer Hinsicht mit sich. Es werden hohe Anforderungen an die Gestaltungskompetenzen der Beschäftigten gestellt. Platzverhältnisse sind im Homeoffice meist begrenzt und schwierig zu verändern. Bei dauerhaften Homeoffice-Arbeitsplätzen wäre der Arbeitgebende verpflichtet, diesen mit allem Notwendigen – vom ergonomischen Stuhl bis zum Computer samt angemessenem Bildschirm auszustatten.
Das Gespräch führte Christa Schaffmann.
*)Anna Steidle ist Professorin für Verwaltungsmanagement, insbesondere Personalmanagement und Führung an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.