KI im HR-Life-Cycle: Chancen und Herausforderungen
Die Kombination von KI-basierten Tools und Personalarbeit bietet vielversprechende Möglichkeiten im HR-Life-Cycle, enthält aber auch Risiken. Wie Sie mit den Chancen und Herausforderungen von KI im Personalbereich umgehen können, erläutert Prof. Dr. Matthias Ziegler. Zusätzlich stellt er Eigenentwicklungen vor, die aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik der Humboldt-Universität zu Berlin, der The-ROC-Institute GmbH und ondojo hervorgingen.
Personaler:innen gehen vielfältigen Aufgaben nach, da sie in die verschiedenen Phasen des HR-Managements eingebunden sind. Dabei reicht das Spektrum von strategischen bis zu operativen Tätigkeiten. Operative Aufgaben wie Auswahlinterviews oder individuelle Entwicklungsgespräche beanspruchen einen Großteil der Arbeitszeit und begrenzen die Kapazität für strategische Überlegungen und Angebote.
In diesem Kontext begegnen HR-Profis vermehrt KI-basierten Tools, die versprechen, Aufgaben zu automatisieren oder deutlich zu beschleunigen. Im Folgenden erläutere ich, was KI in diesem Zusammenhang bedeutet, beleuchte die Schwierigkeiten bei der Entscheidung für KI und stelle Ihnen eigene Entwicklungen vor.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz bezieht sich in der Regel auf Algorithmen, auch Lerner genannt, die Muster in einer Vielzahl von Informationen (Features) erkennen können. Hier unterscheiden wir zwischen supervidierten und unsupervidierten Lernern:
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Unsupervidierte Lerner suchen in Informationen nach Mustern, um diese entsprechend zu gruppieren. Sie kommen beispielsweise zum Einsatz, wenn Sie Bewerber:innendaten analysieren und Bewerbercluster finden möchten.
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Supervidierte Lerner suchen zwar ebenfalls nach Mustern, allerdings mit dem Ziel, vorgegebene Kriterien vorherzusagen. Beispielsweise, um von Bewerbungsschreiben auf die Persönlichkeit zu schließen. Produkte, die auf supervidiertem Lernen basieren, sind in der Praxis geläufiger.
Herausforderungen und Gefahren von KI im HR-Bereich
Bevor KI-basierte Tools im HR-Bereich eingesetzt werden, sollten mindestens zwei wichtige Fragen geklärt werden:
- Transparenz und Interpretierbarkeit: Die Arbeitsweise der KI-Algorithmen muss transparent und interpretierbar sein. Normen wie DIN 33430, ISO 10667 und ISO 30405:2023 legen Qualitätsstandards für die Eignungsdiagnostik, einschließlich KI-basierter Tools, fest. Beispielsweise erfordern eignungsdiagnostische Prozesse eine Anforderungsanalyse, deren Ergebnis beschreibt, welche Eignungsmerkmale erfolgreiche Stelleninhaber:innen mitbringen müssen. Für KI-basierte Tools sollte also nachvollziehbar sein, wie die verwendeten Features mit den identifizierten Anforderungen zusammenhängen. Diese Transparenz können Sie durch Methoden des interpretierbaren Maschinenlernens erreichen (Fokkema et al., 2022), die Ihnen zeigen, wie Features mit den Kriterien, die Sie den supervidierten Lernern vorgeben, zusammenhängen.
- Qualitätsstandards: HR-Tools, insbesondere im Assessmentbereich, müssen objektiv, reliabel und valide sein. Die Genauigkeit (Accuracy), mit der ein Algorithmus ein Kriterium schätzen kann, fällt nicht in diese Kategorie und kann Belege für diese Gütekriterien nicht ersetzen. Außerdem ist wichtig zu klären, anhand welcher Kriterien, also beispielsweise anhand welches Persönlichkeitsfragebogens, der Algorithmus trainiert wurde. Wurde ein Algorithmus beispielsweise anhand eines Fragebogens trainiert, den man selbst nie im HR-Bereich einsetzen würde, dann stellt dieser Algorithmus keine Alternative dar.
Insgesamt bieten KI-basierte Tools im HR-Bereich vielversprechende Möglichkeiten. Es ist jedoch entscheidend, die genannten Herausforderungen und Qualitätsstandards im Blick zu behalten, um sicherzustellen, dass sie effektiv und ethisch eingesetzt werden.
KI und HR: Innovative Lösungen für den HR-Life-Cycle
Im Folgenden stelle ich Ihnen beispielhaft einige KI-basierte Tools vor, die aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik der Humboldt-Universität zu Berlin, der The-ROC-Institute GmbH und ondojo hervorgingen. Ziel war jeweils, Herausforderungen im HR-Life-Cycle zu meistern. Lösungen sollen nahtlos in tradierte Personalarbeit integriert und leicht implementierbar sein, wobei hohe Qualitätsstandards gewahrt werden.
Anforderungsanalyse und unsupervidierter Lerner
Gängige Normen fordern eine evidenzbasierte Anforderungsanalyse als Ausgangspunkt eignungsdiagnostischer Prozesse, doch dies kann zeitaufwändig und unflexibel sein. Daher haben wir einen unsupervidierten Lerner entwickelt, der auf Daten des O*net ©, eine Datenbank mit Anforderungsprofilen von ca. 1000 Berufen, zugreift.
Als Ergebnis liegt ein Modell vor, das Kompetenzprofile für ca. 1000 Berufe bereit hält, die auf empirischen Einschätzungen und Expertenkonsens basieren und sich mithilfe eines Schlüssels auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen lassen. Diese Profile können nach Unternehmensbedarf auf zu besetzende Stellen angepasst und beispielsweise durch Tests und Interviews messbar gemacht werden.
Fragebögen und Interviews mit KI
Für die Messung der in diesen Profilen enthaltenen beruflichen Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften wurden Fragebögen (G8T, B5N und VIPI zur Erfassung beruflicher Kompetenzen, Persönlichkeit und Interessen, siehe www.therocinstitute.com) und Interviews entwickelt, die auf international etablierten Persönlichkeitstheorien (Great 8, Big 5 und Hollands RIASEC Modell) basieren und aufgrund des Antwortformats als verfälschungssicher gelten (Ziegler et al., 2019).
Dank der verwendeten Algorithmen können wir aus den Antworten Kennwerte ableiten und diese zwischen Personen und verschiedenen Anforderungsniveaus vergleichen. So ist es möglich, evidenzbasiert Anforderungs- und Sollprofile zu erstellen und messbar zu machen. Die Ergebnisse können dann in der Personalauswahl und -entwicklung verwendet werden.
Die Macht der KI in der Personalentwicklung: Die ondojo-App
Mit dem Ziel einer flächendeckenden und individuellen Personalentwicklung wurde ondojo von der Firma BANDAO entwickelt. Die App bietet niedrigschwellig Zugang zum Kompetenz- und Wissensaufbau und ermöglicht es Mitarbeitenden, eigenständig und selbstverantwortlich ihre Entwicklung zu steuern.
Basierend auf den verfälschungssicheren Tools der weiter oben bereits erwähnten The-ROC-Institute GmbH erfolgt ein Kompetenz-Assessment, auf das eine individuelle Lernreise folgt. Transformatives Lernen in der App fördert eine bessere Behaltensleistung, verkürzte Schulungszeiten und steigert die Produktivität. Die interaktiven Sessions, basierend auf den neuesten neurodidaktischen Methoden, regen die Selbstreflexion an und bieten eine geführte Umsetzung des Gelernten in der Praxis. Dies ermöglicht personalisierte Handlungsempfehlungen und Aufgaben. Zudem versorgt eine algorithmenbasierte KI Nutzer:innen mit passgenauen Inspirationen und Anleitungen.
Während die ROC-Tools zur Profilerstellung sowie die Fragebögen tausendfach erprobt sind, stellt die App eine innovative Möglichkeit dar, Analyse und Skill-Aufbau zu kombinieren. Daher suchen The ROC und ondojo Partnerschaften, um weitere Evidenz für die erfolgreiche Integration von KI und fundierter Personalarbeit zu sammeln. Bei Interesse folgen Sie bitte diesem Link oder schreiben Sie an info@therocinstitute.com.
Fazit
Die Kombination von KI-basierten Tools und bewährter Personalarbeit eröffnet vielversprechende Möglichkeiten im HR-Life-Cycle. Allerdings birgt die unreflektierte Nutzung von KI-basierten Tools auch Risiken (siehe auch Goretzko & Israel, 2021). Bei den Risiken steht an erster Stelle die oft noch hohe Intransparenz der Algorithmen, die mit einer anforderungsbasierten Diagnostik nicht vereinbar ist. Zusammen mit den oft fehlenden Nachweisen zur Objektivität, Reliabilität und Validität kann so schnell eine Diagnostik im Blindflug entstehen.
Die vorgestellten Eigenentwicklungen bieten evidenzbasierte Anforderungsprofile, verfälschungssicheres Assessment, effiziente Personalentwicklung und individuelles, transformierendes Lernen. Diese innovativen Ansätze versprechen nicht nur eine verbesserte Personalarbeit, sondern auch eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit. Diese spannenden Tools und Apps einmal auszuprobieren, kann sich für Ihr Unternehmen somit lohnen.