Achtsamkeit als Stresspuffer

Achtsamkeit: den Moment ohne Bewertung wahrnehmen

Ein Trend unserer Zeit, in der fast jeder seine tägliche Zerstreuung in der Hosentasche trägt (Smartphone), ist eine achtsame Gegenkultur. Einer der Vorreiter war Jon Kabat-Zinn, der in den 1980er Jahren an der University of Massachusetts ein achtwöchiges Achtsamkeitstraining entwickelte, um damit die Heilung bei körperlichen Erkrankungen zu unterstützen.

Seitdem schießen Achtsamkeitspraxen wie Pilze aus dem Boden und nicht wenige behaupten, dass diese Art der Aufmerksamkeit ein ganzes Leben verändern kann. Aber wissenschaftliche Belege für diese Behauptung sind rar, vor allem was das Arbeitsleben angeht. Ein Forscherinnenteam der Universität Maastricht um Ute Hülsheger hat daher untersucht, wie sich Achtsamkeit in schwierigen Berufen mit viel Kundenkontakt auswirkt. Die Ergebnisse sind in einer Ausgabe des Journal of Applied Psychology abgedruckt.

Zunächst die Frage: Was ist Achtsamkeit überhaupt? Die Forscherinnen definieren sie als eine Form der bewussten Wahrnehmung, bei der man sich auf die Dinge konzentriert, die jetzt gerade geschehen, und diese nicht bewertet. Die beiden Merkmale von Achtsamkeit sind also: 

  1. Gedanken, Gefühle und das, was um einen herum geschieht, im Hier und Jetzt wahrnehmen, und
  2. all dies objektiv beobachten, ohne positive oder negative Bewertung

Erste Studie: „natürliche“ Achtsamkeit

Die Psychologinnen führten zwei Tagebuchstudien durch. In der ersten Studie ging es darum, welche Auswirkungen „natürliche“ Achtsamkeit hatte, also eine, die nicht antrainiert ist. Dazu gaben sie 219 Krankenschwestern, Lehrern, Personalmanagern, Verkäufern und Sozialarbeitern ein Tagebuch an die Hand. In diesem notierten diese fünf Tage lang und zweimal pro Tag ihre Achtsamkeit in zwei unterschiedlichen Formen (S. 314):

  • als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal (z.B. die Aussage: „Normalerweise gehe ich schnell dorthin, wohin ich möchte, ohne groß darauf zu achten, was ich auf dem Weg erlebe.“, die für wenig Achtsamkeit stand)
  • als veränderlichen Zustand (z.B. die Aussage: „Heute fand ich es schwierig, mich auf das zu konzentrieren, was in der Gegenwart geschieht.“, die ebenfalls für weniger Achtsamkeit stand)

Außerdem wurde erfasst, ob sich die Befragten emotional erschöpft fühlten und mit ihrem Beruf zufrieden waren. Schließlich sollten die Teilnehmer noch angeben, ob sie Surface Acting machten. Das ist eine Form der Gefühlssteuerung, bei der negative Gefühle unterdrückt und positive gezeigt werden. 

Auf der Oberfläche eines Lächelns wird Freude vorgetäuscht, die gar nicht empfunden wird. Diese oberflächliche Emotionsarbeit führt über längere Zeit zur Erschöpfung. Sie müsste bei achtsamer Wahrnehmung seltener werden, weil man dann seinen Ärger auch mal stehen lassen kann, ohne ihn gleich reflexartig zu überspielen.

Zweite Studie: trainierte Achtsamkeit

In der zweiten Studie erhielten 64 Teilnehmer ein Selbsttraining zur Achtsamkeit. Wieder waren es Angestellte, die in Berufen mit viel Kundenkontakt tätig waren. Sie bekamen ein Trainingsbuch und eine Trainings-CD und sollten damit zwei Wochen lang selbstständig eine achtsame Haltung einüben. Jeden Tag mussten sie in ein Tagebuch schreiben, wie oft sie übten, wie sie sich fühlten und ob sie mit ihrem Job zufrieden waren. Das Achtsamkeitstraining enthielt folgende Übungen:

  • Rosinen-Übung. Hier sollte eine kleine Rosine ganz bewusst wahrgenommen werden. Zuerst wurde die Oberfläche ertastet, dann an ihr gerochen, und schließlich ließ man sie ganz langsam auf der Zunge zergehen.
  • Body Scan. Dabei setzte man sich in einen ruhigen Raum oder legte sich hin. Dann wurde nach und nach in jeden Körperteil gespürt, angefangen von den Zehen, über den Fuß, das Bein, den Rumpf, Finger und Arme, Schulter bis hin zum Kopf. Zwischendurch sollte man bewusst seinen Atem wahrnehmen.
  • Drei-Minuten-Atemraum. Diese Übung bestand aus drei Schritten. Zuerst wurden alle Gedanken, Gefühl und Körperempfindungen wahrgenommen, die gerade vorherrschten. Dann achtete man auf den Atem, wie er durch die Nase strömte oder die Bauchdecke hob. Schließlich nahm man wieder den ganzen Körper wahr. Das Ganze dauerte nur drei Minuten.
  • Achtsame Routinehandlungen. Hier sollte man sich eine alltägliche Routinehandlung aussuchen – z.B. duschen, zur Arbeit fahren oder Kaffee trinken – und diese mit ganzer Aufmerksamkeit wahrnehmen.
  • Liebende-Güte-Meditation. Bei dieser Übung ging es darum, ein warmes, liebevolles Gefühl zu kultivieren. Zunächst versuchte man, sich selbst mit ganzer Liebe zu betrachten. Dann stellte man sich vor, wie man andere Menschen liebevoll sehen könnte, ja sogar schwierige Personen, mit denen man nicht gerne zu tun hatte..

Je achtsamer, desto zufriedener und kraftvoller

In den beiden Studien zeigte sich, dass die Teilnehmer mit ihrem Job umso zufriedener und weniger ausgelaugt waren, je achtsamer ihre Wahrnehmung war. Im Einzelnen:

Achtsamkeit beugte emotionaler Erschöpfung vor. Sowohl Achtsamkeit als Persönlichkeitsmerkmal als auch von Tag zu Tag schwankende Achtsamkeit führte dazu, dass man von den Mühen des Alltags weniger entkräftet war.

Achtsamkeit machte zufriedener. Achtsame Personen waren mit ihrem Beruf zufriedener als solche, die sich nicht auf den gegenwärtigen Moment einlassen konnten.

Das Achtsamkeitstraining war erfolgreich. Nach dem Training fühlten sich die Lehrer, Verkäufer und Sozialarbeiter weniger gestresst und waren zufriedener. Durch diese Intervention ließ sich auch sagen, dass Achtsamkeit ursächlich für bessere Gefühle war.

Surface Acting nahm eine Schlüsselposition ein. Ein weniger oberflächliches Gefühlsleben erklärte den Effekt, den Achtsamkeit auf Erschöpfung und Zufriedenheit hatte. Offensichtlich wurde durch eine achtsame Haltung ein reflexartiges, aufgesetztes Lächeln außer Kraft gesetzt, das zu noch mehr Verspannung führte. Durch die objektive Wahrnehmung des empfundenen Ärgers und der Wut konnte man besser damit umgehen.

Ein paar Minuten Achtsamkeit helfen

Die Autorinnen schlussfolgern (S. 321): „Die Ergebnisse zeigen, dass Achtsamkeit ein ertragreicher Weg ist, um mit einem emotional fordernden Beruf besser umgehen zu können.“

Achtsamkeit ist also nicht nur in Wellness-Oasen hilfreich, sondern auch am Schreibtisch oder bei Meetings. Die Studien legen auch nahe, dass nur ein paar Minuten Achtsamkeit pro Tag ausreichen, um sich einen Puffer gegen Arbeitsstress zuzulegen.

Literatur

Ute R. Hülsheger, Hugo J. E. M. Alberts, Alina Feinholdt, and Jonas W. B. Lang (Maastricht University). (2013). Benefits of Mindfulness at Work: The Role of Mindfulness in Emotion Regulation, Emotional Exhaustion, and Job Satisfaction [Abstract]. Journal of Applied Psychology, 98 (2), 310–325.