Psychisch gesünder dank Rente
Das Renteneintrittsalter wurde in den vergangenen Jahren europaweit angehoben. Wie wirkt sich das auf Arbeitnehmende und deren Gesundheit aus? Dr. Ingo Kolodziej, externer Lehrbeauftragter an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf, hat gemeinsam mit Dr. Pilar García-Gómez von der Erasmus University Rotterdam untersucht, welchen Effekt die Rente auf die psychische Gesundheit hat.
Manche Menschen sehen sich danach, in Rente zu gehen. Andere möchten so lange wie möglich arbeiten. Als Arbeitnehmende:r identifiziert man sich mit dieser Rolle, sie gibt eine Struktur im Alltag und man pflegt soziale Kontakte. Durch den Renteneintritt können sich dieses gewohnte Umfeld und die damit verbundenen sozialen Interaktionen schlagartig verändern. Sind Rentner:innen psychisch gesünder als Berufstätige? Bisherige Studien zum Verhältnis der Rente zur psychischen Gesundheit liefern keine eindeutigen Ergebnisse. Einige sagen, dass der Renteneintritt einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit hat, andere finden einen negativen Effekt oder gar keinen. Dr. Ingo Kolodziej und Dr. Pilar García-Gómez haben die psychische Gesundheit in ihrer Studie anhand von depressiven Symptomen untersucht.
Renteneintritt wirkt im Durchschnitt positiv auf die psychische Gesundheit
Dazu haben die Wissenschaftler:innen insgesamt vier Untersuchungswellen der multidisziplinären, länderübergreifenden Studie SHARE herangezogen und hinsichtlich ihrer Fragestellung analysiert. Die Stichprobe besteht aus 61.414 Beobachtungen für 37.333 Personen.
Ihre Analyse zeigt: Der Renteneintritt wirkt im Durchschnitt positiv auf die psychische Gesundheit. Rentner:innen weisen tendenziell eine bessere psychische Gesundheit auf als Nicht-Rentner:innen. Dieser Effekt ist jedoch nicht gleich verteilt: Besonders positiv ist die Auswirkung des Renteneintritts für Menschen, die gefährdet sind, an einer Depression zu erkranken. Frauen profitieren mehr von der Rentenzeit als Männer. Darüber hinaus ist die schützende Wirkung für Arbeitnehmende, die überwiegend körperlicher Arbeit nachgehen, stärker als für Büroangestellte. Für letztere zeigt sich der positive Effekt nur dann, wenn sie bereits einen schlechten psychischen Gesundheitszustand aufweisen. Soziale Kontakte und auch soziale Unterstützung durch Ehepartner oder Kinder können sehr wichtig für die psychische Gesundheit der älteren Bevölkerung sein. Es konnte jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen Verheirateten und Unverheirateten festgestellt werden. Kinderlose profitieren nur dann weniger von der Rente, wenn sie über einen guten psychischen Gesundheitszustand verfügen.
Weiterer Forschungsbedarf
„Die Ergebnisse haben gezeigt, dass der psychische Gesundheitszustand selbst, also das Vorliegen von einer gewissen Anzahl an Kriterien, die auf eine Depression hindeuten, eine große Rolle spielt in der Frage, welchen Einfluss der Renteneintritt hat“, erläutert Kolodziej die Untersuchung. „Laut unserer Recherche war dies die erste Studie, die sich auf diese heterogenen Effekte konzentriert. Hier besteht noch Forschungsbedarf, insbesondere was die langfristigen Entwicklungen und den Vergleich von gefährdeten Untergruppen mit psychisch gesünderen Gruppen angeht. Vor dem Hintergrund, dass aktuell Rentenreformen diskutiert werden, sollte die Wirkung eines Aufschubs des Renteneintritts noch weiter erforscht werden“, fordert der Gesundheitsökonom.
Literatur