Wirksame Projektarbeit: Gibt es eine „agile“ Persönlichkeit?
Viele Projektteams arbeiten in der heutigen Arbeitswelt agil – aber woran liegt es, dass nicht jedes Team Erfolg in der Implementierung agiler Projektarbeit (wie z. B. Scrum) hat? Die Forschung konnte ausgewählte Persönlichkeitsmerkmale identifizieren, die die Passung mit agiler Projektarbeit beeinflussen.
Der Begriff „agil“ wurde vor über 20 Jahren in der IT-Branche von einer Gruppe Softwarentwickler:innen erstmalig eingeführt. Seitdem hat sich der Einfluss der agilen Projektarbeit auch auf andere Geschäftsbereiche ausgeweitet. Im aktuellen New-Work-Barometer 2022 bestätigten fast 60 Prozent von insgesamt 581 deutschsprachigen Unternehmensvertreter:innen, dass agile Projektarbeit in ihrem Unternehmen eingesetzt wird (Schermuly & Meifert, 2022).
Aber worin genau liegt der Unterschied zu traditionellen Ansätzen? Diese drei Kriterien zeichnen agile Projektarbeit aus einer wissenschaftlichen Perspektive aus (Koch & Schermuly, 2021):
- Teams arbeiten autonom und dürfen sich in hohem Maß selbst organisieren und Entscheidungen treffen.
- Es wird ein Fokus auf Gleichberechtigung gesetzt: Die Teammitglieder begegnen sich auf Augenhöhe.
- Zum Projektstart gibt es keine starren Ziele, die befolgt werden. Das Team arbeitet iterativ und definiert Zwischenziele flexibel während der Zusammenarbeit.
Damit unterscheidet sich agile Projektarbeit konzeptuell von traditionellen Ansätzen. Deswegen ist ein Umstieg in Projektteams nicht immer einfach: Zum einen müssen Teammitglieder sich auf neue Methoden einlassen, zum anderen ist ein ganzheitlicher Wertewandel gefordert.
Agile Projektarbeit passt nicht zu allen Mitarbeitenden
Nach dem Person-Organization-Fit (Passung) suchen Menschen sich ein Arbeitsumfeld aus, zu dem sie besonders gut passen. Beispielsweise finden introvertierte Menschen sich seltener in Positionen wieder, die viel Kundenkontakt voraussetzen. Neugierige und sprunghafte Menschen dagegen entscheiden sich eher für abwechslungsreiche Berufe mit sich stetig wandelnden, weniger kalkulierbaren Anforderungen. Das lässt sich auch auf die entsprechenden Arbeitsweisen übertragen.
Aber was heißt das für die agile Projektarbeit genau? Agile Projektteams müssen in der Lage sein, eigenverantwortlich und autonom zusammenzuarbeiten sowie anpassungsfähig und flexibel zu reagieren. Intuitiv ist klar, dass das nicht zu jede:m passt. Welche Persönlichkeitsmerkmale besonders förderlich für die agile Projektarbeit sind, konnte durch aktuelle Forschung identifiziert werden:
In einer explorativen Studie zu dem Big-5-Persönlichkeitsmodell zeigte sich, dass die Persönlichkeitsmerkmale „Extraversion“ und „Offenheit für neue Erfahrungen“ mit der Präferenz für agile Projektarbeit korrelierten (Bishop & Deokar, 2014). Demnach sind gesprächige und aktive (extravertierte), aber auch experimentierfreudige und neugierige (für Erfahrungen offene) Personen besonders empfänglich für agile Methoden.
Koch und Schermuly (2021) untersuchten dagegen sogenannte „Sensation Seeker“: Das sind Personen mit dem Bedürfnis nach abwechslungsreichen, neuen und komplexen Eindrücken. Sie fanden heraus, dass solche Sensation Seeker agile Organisationen deutlich attraktiver wahrnahmen als andere.
Darüber hinaus konnten in einer direkten Gegenüberstellung von agiler Projektarbeit und traditionellen Ansätzen, mit über 120 Expert:innen, unterschiedliche Kompetenzen und Anforderungen ausgearbeitet werden: Zu den am häufigsten genannten agilen Kompetenzen zählten Eigenverantwortung, Lernbereitschaft und Flexibilität, die bei der traditionellen Zusammenarbeit nicht einmal in den Top 10 gelandet sind (Schermuly et al., 2019).
Basierend auf dem Input der Expert:innen konnten Kompetenzprofile für agile vs. traditionelle Projektarbeit angefertigt werden. Die direkte Gegenüberstellung spiegelt die unterschiedlichen Anforderungen an Projektmitarbeitende wider.
Damit agile Projektarbeit gut funktioniert, sollten Teammitglieder auch passende Wertvorstellungen haben. Die Forschung konnte hierzu das agile Mindset definieren (Eilers et al., 2022), das aus vier positiven Haltungen bezüglich der Lernbereitschaft, dem kollaborativen Austausch, der empowerten Selbstführung und der Mitgestaltung durch Kund:innen besteht.
Zusammenfassend zeigt sich, dass die Persönlichkeitsforschung im Bereich agiler Projektarbeit zwar (noch?) keinen Prototypen für eine agilen Persönlichkeit präsentiert, aber wichtige Erkenntnisse für die Praxis der Personalauswahl und Personalentwicklung liefert.
Agile Persönlichkeiten in Teams zusammenbringen
Viele Unternehmen setzen agile Methoden in Projektteams in der Hoffnung ein, dass es ein Wundermittel zu besserer Performance ist. Was Unternehmen aus der Persönlichkeitsforschung mitnehmen sollten: einige Menschen sind mehr geeignet und offener für agile Methoden, andere dagegen weniger (siehe hierzu Das agile Mindset von Führungskräften als Erfolgsfaktor für agile Transformation).
Wie kann diese Umsetzung durch Führungskräfte oder HR in der Praxis aussehen?
- Bei der Umstellung auf agile Projektarbeit sollte neben einer klaren methodischen Umsetzung auch der Wandel zu agilen Werten und Kompetenzen berücksichtigt werden (z. B. über Kompetenzanalysen oder Anforderungsprofile): Welche (agilen) Kompetenzen besitzen Teammitglieder bereits und wie bedeutend sind sie für die agile Zusammenarbeit? Ist ein agiles Mindset vorhanden?
- Bereits bei der Auswahl der Bewerber:innen und vor der Teamzusammenstellung sollte auf die Persönlichkeitsmerkmale Extraversion und Offenheit für neue Erfahrungen geachtet werden. Die Persönlichkeitsforschung bietet reliable Fragebögen für den Einsatz in der Personalauswahl wie den NEO-FFI (Borkenau & Ostendorf, 2008).
- Führungskräfte sollten bei ihren Mitarbeitenden ein Bewusstsein schaffen für verschiedene Persönlichkeiten und Kompetenzen: Was passt zu den Mitarbeitenden und dem Team?
Gleichzeitig sollte aber berücksichtigt werden, dass die Persönlichkeit von Menschen zeitlich stabil ist und nicht antrainiert werden kann – umso wichtiger (und wertvoller!) ist es deshalb, begünstigende Persönlichkeitsmerkmale in Mitarbeitenden und Bewerber:innen frühzeitig zu identifizieren und die Entwicklung agiler Kompetenzen zu fördern (siehe hierzu auch Warum Sie die Stärken Ihrer Mitarbeitenden stärken sollten).
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