Erfolgsfaktor Planbarkeit: Motiviert und gesund trotz Mehrarbeit
Die Anforderungen an die Mitarbeitenden von Betrieben steigen zuweilen plötzlich und unerwartet – zum Beispiel, wenn
- unverhofft neue Aufträge hereinkommen und zeitnah abgearbeitet werden müssen oder
- bei der Alltagsarbeit unvorhergesehene Probleme auftreten oder
- viele Mitarbeitende zeitgleich krank oder in Urlaub sind oder
- vakante Stellen aufgrund des Fachkräftemangels länger als gedacht unbesetzt bleiben.
Ziel: Die Mehrarbeit erträglich gestalten
In diesen Situationen kommt in der Regel auf die Mitarbeitenden für einen gewissen Zeitraum Mehrarbeit zu. Das heißt, sie müssen entweder in ihrer regulären Arbeitszeit mehr leisten oder Überstunden bzw. sogar Sonderschichten machen.
Für Arbeitgebende stellt sich oft die Frage: Wie kann ich die Mehrarbeit so gestalten, dass
- meine Mitarbeitenden diese nicht als Zumutung oder gar Schikane empfinden und
- sie leistungsfähig und -bereit bleiben, obwohl die Mehrarbeit für sie eine Mehrbelastung ist?
Mitarbeitende möchten planbare Arbeit
Eine im Fachjournal „Personnel Psychology“ veröffentlichte Studie von Fu et al. (2024) kommt zu dem Schluss: Wie die Mitarbeitenden auf Mehrarbeit reagieren, hängt stark davon ab, wie vorhersehbar diese für sie ist.
In besagter Studie wurden die Auswirkungen von erwarteten und unerwarteten Mehrbelastungen bei der Arbeit u. a. auf das Wohlbefinden von Angestellten verglichen. Die Ergebnisse zeigen: Eine hohe Diskrepanz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Belastung löst bei den Mitarbeitenden Stress und Sorgen aus – zum Beispiel, weil sie sich dann fragen:
- Schaffe ich das in der mir zur Verfügung stehenden Zeit? Hilft mir im Bedarfsfall jemand?
- Muss ich aufgrund der Mehrarbeit meine Tages-, Wochen- oder gar Lebensplanung über den Haufen werfen und zum Beispiel Überstunden leisten?
- Ist dies eine Ausnahmesituation oder wird dies künftig zur Regel?
Unerwartete Mehrarbeit verursacht Stress
Anders formuliert: Eine unerwartete Mehrarbeit beeinträchtigt das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Selbstbestimmung und deren Wunsch, alles unter Kontrolle bzw. im Griff zu haben, erheblich – und zwar negativ. Sie geht zudem außer mit einer physischen meist auch mit einer emotionalen Mehrbelastung einher. Und diese führt, sofern die Situation anhält, nicht selten dazu, dass die Mitarbeitenden sich mit der Zeit immer erschöpfter fühlen und teilweise sogar „ausbrennen“.
Eine Situation, die zum Beispiel viele Mitarbeitende von Krankenhäusern und Pflegeheimen kennen. Sie wissen aufgrund des akuten Fachkräftemangels bei ihren Arbeitgebern bei Dienstschluss oft schon: „Kaum bin ich zu Hause, erfolgt ein Anruf, ob ich noch eine Zusatzschicht übernehmen oder am nächsten Tag früher kommen kann, weil ….“. Eine Arbeitssituation, die Mitarbeitende auf Dauer zermürbt und nicht selten dazu führt, dass sie irgendwann ihre Stelle oder gar ihren Beruf wechseln.
Mitarbeitende frühzeitig informieren
Die Studie von Fu et al. (2024) bestätigt, was viele Arbeitgeber bzw. Führungskräfte aus der Praxis wissen: Die Mitarbeitenden sind in der Regel bereit, im Bedarfsfall Mehrarbeit zu leisten – zumindest solange sie sich mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber identifizieren. Wichtig ist aber, dass ihr Leben und ihre Arbeit für sie weitgehend planbar bleibt und die Mehrarbeit sie nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft. Also zum Beispiel nicht fünf Minuten vor Feierabend, denn dann gibt es für den restlichen Tag meist schon andere Pläne – und sei es nur die Einkäufe zu erledigen und für die Liebsten zu kochen. Dasselbe gilt für das Wochenende.
Das Gespräch mit Mitarbeitenden suchen
Deshalb sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden so früh wie möglich über eine (eventuelle) Mehrarbeit informieren. Das ist meist möglich: Denn wie viele Mitarbeitende wann in Urlaub sind und vertreten werden müssen, ist Arbeitgebern stets bekannt. Ebenso erfahren Führungskräfte in der Regel nicht erst am Freitagnachmittag, dass am Montagmorgen eine wichtige Sitzung ansteht, für die noch eine Präsentation zu erstellen ist. Ebenso wissen sie, dass das Besetzen einer vakanten Stelle in der aktuellen Arbeitsmarktsituation meist länger als ein, zwei Wochen dauert.
Also hätten sie meist auch ausreichend Zeit, um mit ihren Mitarbeitenden so früh über anstehende bzw. sich abzeichnende Belastungsspitzen zu sprechen, dass
- diese sich emotional auf die Mehrarbeit einstellen können und
- ihr sonstiges Leben so organisieren können, dass keine Folgeprobleme für sie entstehen.
Ein weiterer Vorteil eines frühen Thematisierens ist: Dann können im Bedarfsfall im gemeinsamen Gespräch noch Alternativlösungen entworfen werden bzw. Unterstützungsmaßnahmen für Mitarbeitende organisiert werden, um deren Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit zu bewahren.
Mitarbeitende sind nicht nur Arbeitnehmende
Generell sollten Unternehmen die Bedeutung verbindlicher (Arbeits-)Zeitpläne für das Gros ihrer Mitarbeitenden nicht unterschätzen und über deren Gestaltung auch das Gespräch mit ihnen suchen. Denn für alle Mitarbeitenden gilt: Sie sind nicht nur Arbeitnehmende, sondern haben noch viele weitere „Hüte“ auf dem Kopf. Sie sind zum Beispiel auch
- Lebenspartner oder Singles auf Partnersuche,
- Eltern von Kindern oder Kinder pflegebedürftiger Eltern,
- Vereinsmitglieder oder ehrenamtlich tätig,
- stolze Haus-, Garten- oder Hundebesitzer,
- begeisterte Konzert- und Kinobesucher oder Kirch- oder Flohmarktgänger
- und, und, und…
All diese Rollen wollen oder müssen sie in ihrem Alltag unter einen Hut bringen. Entsprechend wichtig ist eine frühzeitige Information über eventuelle Belastungsspitzen, damit die Mitarbeitenden
- allen aus ihren verschiedenen Rollen resultierenden Anforderungen gerecht werden können und
- ihr Leben so planen und austarieren können, dass sie sich (noch) wohl in ihrer Haut fühlen.
Dies können sie nur, wenn sie wissen,
- wann muss ich arbeiten und wann nicht,
- an welchen Tagen bin ich nach der Arbeit so fertig, dass ich dieses oder jenes nicht mehr tun kann.
Die Mitarbeitenden auch als Menschen ernstnehmen
Deshalb sind Arbeitszeitpläne, die bestmöglich eingehalten werden, auch ein Signal an die Mitarbeitenden, dass sie als Mensch wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Und dies ist wiederum eine Voraussetzung dafür, dass sie sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren und auch bereit sind, dessen Bedürfnisse bei ihrer Lebensplanung und -gestaltung zu berücksichtigen.
Deshalb sollten Führungskräfte, wenn eine potenzielle Mehrbelastung der Mitarbeitenden vorhersehbar ist, diese stets vorwarnen. Sie sollten diese zudem fragen, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen die Mehrarbeit mit ihren sonstigen Aufgaben und Interessen vereinbar ist. Denn dies stärkt das individuelle Gefühl von Kontrolle und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden. Zudem sollten sie ihnen, soweit möglich,
- eine Mitsprachemöglichkeit bei der Arbeitsplanung und
- (bei Bedarf) eine gezielte Unterstützung in Stressphasen
gewähren, denn: Nur wenn die Zusammenarbeit auf einem wechselseitigen Geben und Nehmen basiert, sind die Mitarbeitenden – zumindest auf Dauer – auch bereit, für ihren Arbeitgeber (bzw. ihr Team) ihr „Bestes“ zu geben; selbst, wenn dies partiell ihren persönlichen Interessen zuwiderläuft.
Die geleistete Mehrarbeit nicht als selbstverständlich erachten
Zuletzt noch ein Tipp: Es ist nicht selbstverständlich, dass Mitarbeitende Mehrarbeit bzw. Überstunden leisten ! Also sollten Sie sich bei Ihren Mitarbeitenden auch für die von ihnen geleistete Mehrarbeit bedanken – selbst wenn sie hierfür bezahlt werden oder einen Freizeitausgleich erhalten, denn: Auch Flexibilität ist in der modernen Arbeitswelt ein wertvolles Gut.
Literatur
Fu, S., Lee, Y. E., Yoon, S., Dimotakis, N., Koopman, J., & Tepper, B. J. (2024). “I Didn't See That Coming!” A daily investigation of the effects of as‐expected and un‐expected workload levels. Personnel Psychology.