Followership - Wie Mitarbeitende Führung prägen

Leadership und Followership sind zwei Seiten einer Medaille. Anders, als Führungstheorien vermuten lassen, geht es bei Führung nicht nur um die Leitungsperson, sondern auch und vor allem um die Mitarbeitenden. Wie können Sie Erkenntnisse zu Followership stärker einbeziehen?

Wenn von Führung gesprochen wird, entstehen oft innere Bilder, die Führungskräfte als Protagonist:innen auf einer Bühne darstellen. Sie stehen im Rampenlicht, während die Mitarbeitenden tendenziell nur mit einer Nebenrolle im Hintergrund vertreten sind. In der Praxis spielen jedoch die Mitarbeitenden ebenfalls eine Hauptrolle. Ohne ihre Leistung und ihr Engagement kann Führung nicht erfolgreich sein.

Ältere Forschung prägt das Bild von heute 

Aber woher kommt dieses innere Bild? Die Forschung des vergangenen Jahrhunderts war geprägt davon, Eigenschaften und Verhaltensweisen erfolgreicher Führungskräfte zu identifizieren. Diese Ansätze halten sich hartnäckig in der Praxis (Haslam et al., 2024). Viele ältere Forschungsarbeiten setzen Führungsstile mit Erfolgsmaßen in Verbindung und schlussfolgern daraus, dass bestimmte Verhaltensweisen besonders erfolgversprechend seien.  

Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass nicht das tatsächliche Führungsverhalten erfasst wird, sondern lediglich die Wahrnehmung davon. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn neuere Studien zeigen, dass Mitarbeitende ein und dasselbe Verhalten unterschiedlich bewerten und es verschiedenen Führungsstilen zuschreiben (Fischer et al., 2024).

Keine Führung ohne Mitarbeitende 

Der Gegenentwurf zu den traditionellen Führungsmodellen bleibt in der Praxis oft noch unberücksichtigt. „Keine Führung ohne Mitarbeitende” – so lautet die einfache und dennoch wichtige Botschaft einer Überblicksarbeit von Uhl-Bien et al. (2014). Das Schlagwort „Followership“ betont den Einfluss von Mitarbeitenden und nimmt eine grundlegend andere Betrachtungsperspektive ein: Nicht mehr nur die Führungskraft übt Einfluss aus, sondern auch die Mitarbeitenden. Ihr Rollenverständnis, ihre Einstellung und ihr Verhalten sind entscheidende Faktoren, die den Erfolg oder Misserfolg von Führung maßgeblich mit beeinflussen. Dieses Konzept rückt die Bedeutung der Mitarbeitenden in den Fokus und zeigt, dass erfolgreiche Führung ein kooperativer Prozess ist.

Rollenverständnisse von Mitarbeitenden 

Mitarbeitende haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was ideale und typische Mitarbeitende ausmacht, welche Verantwortlichkeiten und Aufgaben sie übernehmen sollten und welche nicht. Diese sogenannten impliziten Theorien, die auch als Mindsets verstanden werden können, spiegeln sich in ihren Rollenverständnissen wider. Carstens et al. (2018) unterscheiden zwei Dimensionen: 

  • Mitarbeitende mit einem hoch ausgeprägten passiven Rollenverständnis sehen die Verantwortung für Führung, das Einholen von Informationen, die Entwicklung von Ideen und das Setzen von Zielen ausschließlich bei den Führungskräften.  
  • Demgegenüber steht eine zweite Dimension, die von Eigeninitiative geprägt ist. Mitarbeitende mit einem hoch ausgeprägten co-produktiven Rollenverständnis betrachten sich selbst als integraler Bestandteil eines gelungenen Führungsprozesses. Sie sehen ihre Rolle darin, die Führungskraft aktiv zu unterstützen, um gemeinsam organisationale Ziele zu erreichen.  

Die Einstellungen hinter diesen Rollenverständnissen sind nicht direkt beobachtbar. Sie stehen jedoch mit selbstberichtetem Verhalten in einem Zusammenhang. Ein passives Rollenverständnis geht häufig mit verstärkter Delegation von Aufgaben an die Führungskraft sowie geringerem Einbringen von Ideen und Verbesserungsvorschlägen einher. Bei einem co-produktiven Rollenverständnis zeigt sich der umgekehrte Zusammenhang: Mitarbeitende mit dieser Einstellung tendieren dazu, Aufgaben eigenständig zu übernehmen und aktiv Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen.    

Aktives Engagement und kritisches Verhalten 

Auf Verhaltensebene lassen sich zwei zentrale Verhaltensfacetten von Followership (Kelly 1992; Ribbat et al., 2021) unterscheiden: 

  • Aktives Engagement umfasst eine aktive Beteiligung im Führungsprozess und das eigenständige Ergreifen von Initiative.  
  • Unabhängiges, kritisches Denken umfasst das Bilden einer eigenen Meinung und die Äußerung konstruktiver Kritik gegenüber Führungskräften, anstatt lediglich Anweisungen zu befolgen. 

Die Dimensionen erklären Unterschiede in der Arbeitszufriedenheit und Bindung zur Organisation. Allerdings fallen die Zusammenhänge zu beiden Kriterien nur beim aktiven Engagement positiv aus. Im Gegensatz dazu weist unabhängiges, kritisches Denken sogar kleine negative Zusammenhänge mit der Bindung an die Organisation auf. Die Zusammenhänge sind allerdings sehr klein (Ribbat et al., 2021).

Ideologische Fallstricke vermeiden 

Rollenverständnisse sind in der Praxis relevant. Dass Mitarbeitende nicht grundsätzlich faul sind, hat sich etabliert. Allerdings besteht die Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen und anzunehmen, dass alle Mitarbeitenden ein proaktives Rollenverständnis haben oder anstreben sollten. Diese Tendenz findet sich bei vielen Initiativen rund um New Work. Solche Betrachtungen können jedoch schnell ideologisch werden, da sie aus einer normativen Idealvorstellung heraus Unterschiede im Arbeitsalltag ignorieren.  

Um diesen ideologischen Fallstricken zu entgehen, ist es wichtig, die verschiedenen Ausprägungen von Rollenverständnissen zu reflektieren und deren jeweilige Funktion im Arbeitskontext zu verstehen. Anstatt alle Mitarbeitenden nach einem Idealbild zu formen, sollten Sie anerkennen, dass unterschiedliche Rollenverständnisse unterschiedlich zum Erfolg einer Organisation beitragen können.

Differenzierter Blick auf Themen in Teams 

In der Praxis kann es ferner hilfreich sein, differenzierter auf Rollenverständnisse zu schauen. Da ein aktives und proaktives Rollenverständnis mit Anstrengung verbunden ist, ist es plausibel anzunehmen, dass nicht alle Mitarbeitenden bei allen Themen gleichermaßen aktiv sind. Eine Frage, die Sie sich als Führungskraft daher stellen können, ist: Bei welchen Themen besteht ein passives, bei welchen Themen ein co-produktives Rollenverständnis? 

Schließlich kann es sinnvoll sein, das Rollenverständnis zu verändern und ein co-konstruktives Rollenverständnis aufzubauen. Zur Führungskräfteentwicklung gehören dann nicht nur Führungskräfte, sondern und vor allem auch Mitarbeitende. Schließlich geht es auch um Rahmenbedingungen, die ein proaktives Rollenverständnis fördern, z. B. durch eine entsprechende Arbeitsgestaltung. 

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