Frauen brauchen Vorbilder – Unternehmen auch

Frauen sind in den Vorstandsetagen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, mit weitreichenden Folgen für Motivation, Karriereambition und die Bindung weiblicher Talente. Obendrein bleibt wertvolles Potenzial ungenutzt. Welche Rolle spielen psychologischen Prozesse, warum sind Vorbilder entscheidend und wie können Unternehmen gezielt weibliche Führung fördern?

Ob jemand einen Karriereweg mit Führungsverantwortung anstrebt, hängt nicht nur von fachlicher Kompetenz oder reiner Motivation ab. Role Models – also Vorbilder – spielen hierbei eine ebenso entscheidende Rolle. Sie zeigen, dass Karrierewege realisierbar sind und wirken als Orientierungspunkte für junge Talente. Ohne eine Antwort auf die Frage: „Wer ist schon da, wo ich hinwill?“, bleibt jungen Frauen oft nur eine abstrakte Idee einer Karriere. Aber kein greifbares Bild davon, wie diese aussehen könnte.

Die Dimension dieses Problems zeigt sich darin, dass nur 18% der Vorstandsposten in deutschen Großunternehmen im Jahr 2025 von Frauen besetzt sind (AllBright Stiftung, 2025). Für viele weibliche Nachwuchskräfte heißt das: „Menschen wie mich gibt es da oben nicht.“

Wenn Vorbilder fehlen: Psychologische Hintergründe

Mehrere psychologische Prozesse erklären, warum fehlende Vorbilder Karrieren hemmen:

  • Selbstwirksamkeit:
    Bandura (1997) beschreibt Selbstwirksamkeit als den Glauben an die eigene Fähigkeit, Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Fehlt es an weiblichen Vorbildern, kann dies dazu führen, dass Frauen ihre eigenen Fähigkeiten und Chancen unterschätzen. Diese geringere Selbstwirksamkeit kann die Wahrscheinlichkeit verringern, sich auf höhere Karrierestufen zu bewerben. 
  • Karriereambitionen:
    Fehlende Identifikationsmöglichkeiten reduzieren die Motivation. Studien zeigen, dass Frauen ihre Karriereziele niedriger ansetzen, wenn sie kaum weibliche Vorbilder auf höheren Ebenen haben (Diehl & Dzubinski, 2016).
  • Stereotypendruck:
    Eagly und Karau (2002) zeigen in ihrer role congruity theory, dass Frauen in Führungspositionen oft widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt sind: Sie sollen sowohl durchsetzungsstark (führungsstereotyp) als auch „weiblich“ wirken (geschlechterstereotyp), wobei Abweichungen in beide Richtungen oft negativ bewertet werden. Rudman und Phelan (2008) belegen, dass diese Stereotype zu erhöhter externer Kritik, Stress und Selbstzweifeln führen können. In der Praxis kann dieser dauerhafte Druck dazu beitragen, dass Frauen ihre Führungsambitionen zurückstellen oder sich aus exponierten Rollen zurückziehen
  • Psychologische Sicherheit:
    In männerdominierten Führungsetagen fühlen sich Frauen seltener sicher, ihre Ideen einzubringen oder Kritik zu äußern (Edmondson, 2019). Das erschwert die Entwicklung von Innovationskraft und Zugehörigkeit.

Warum das auch für Unternehmen teuer wird

Wenn ambitionierte Frauen ihre Ziele zurückschrauben oder ganz aussteigen, verlieren Unternehmen nicht nur einzelne Fachkräfte. Sie verlieren Innovationskraft und Glaubwürdigkeit in Sachen Employer Branding. Es ist also nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein klarer Wettbewerbsnachteil. Analysen (McKinsey & Company, 2023) zeigen:

  • Teams mit höherem Frauenanteil treffen ausgewogenere Entscheidungen,
  • entwickeln kreativere Lösungen
  • und sind wirtschaftlich erfolgreicher

Was Unternehmen tun können

Die gute Nachricht: Unternehmen können aktiv gegensteuern. Dabei ist es wichtig, dass Maßnahmen nicht nur theoretisch existieren, sondern sichtbar gelebt werden.

  1. Vorbilder sichtbar machen
    Latu et al. (2018) zeigen, dass sichtbare weibliche Führungskräfte als Vorbilder wirken und Frauen in ihrer Karriereentwicklung sowie bei der Übernahme von Führungsaufgaben stärken. Vor diesem Hintergrund kann die Sichtbarkeit weiblicher Führungskräfte gezielt gefördert werden, um inspirierende Vorbilder zu schaffen. Dazu zählen etwa Storytelling über Führungskräfte-Porträts im Intranet, auf Karriereseiten oder in Townhalls, aber auch Panels und interne Veranstaltungen, bei denen Frauen in Führungsrollen als Speakerinnen auftreten. Ebenso wichtig ist allerdings die Alltagssichtbarkeit: Nicht nur die obersten Spitzenpositionen sollten gezeigt werden, sondern auch Beispiele aus der mittleren Führungsebene, was Nähe und greifbare Orientierung vermittelt.
  2. Mentoring und Sponsoring Programme aufbauen
    Mentoring hilft dabei, Wissen weiterzugeben und in neue Rollen hineinzuwachsen. Sponsoring geht noch einen Schritt weiter: Eine erfahrene Führungskraft setzt sich aktiv für die Karriere einer jüngeren Fachkraft ein, indem sie Chancen eröffnet und Sichtbarkeit schafft. Studien zeigen, dass Frauen besonders von Sponsoring profitieren, weil es hilft, Barrieren abzubauen, und den beruflichen Aufstieg erleichtert (Hewlett, 2013).
  3. Inklusive Unternehmenskultur fördern
    Ein zentraler Hebel für mehr Chancengleichheit liegt darin, psychologische Sicherheit bewusst zu stärken. Studien zeigen, dass psychologische Sicherheit Teams ermöglicht, die Vorteile von Diversität zu nutzen, offene Gespräche zu führen und Barrieren durch unbewusste Vorurteile abzubauen (Bresman & Edmondson, 2022). Eine offene Feedbackkultur, Fehlerfreundlichkeit und die Wertschätzung von Vielfalt sind hierbei die wichtigste Grundlage. Ergänzend können Bias-Trainings für Führungskräfte helfen, unbewusste Vorannahmen und Stereotype sichtbar zu machen. Ebenso wichtig ist Flexibilität in Arbeitsmodellen, damit Karriere auch in unterschiedlichen Lebenssituationen realistisch und mit diesen gut vereinbar bleibt.  
  4. Netzwerke unterstützen
    Unternehmensinterne Frauennetzwerke oder sogenannte Employee Resource Groups (ERGs) bieten nicht nur Raum für Austausch, sondern auch Sichtbarkeit und Empowerment. Damit sie ihre volle Wirkung entfalten können, braucht es jedoch klare Unterstützung: Budget, Ressourcen und das Signal des Top-Managements, dass diese Netzwerke ausdrücklich erwünscht sind und gefördert werden. Wenn die Verankerung und Anerkennung durch die Organisation gegeben ist, können auch externe Verbünde einen wertvollen Rückhalt schaffen.

Was Frauen selbst tun können

Mitarbeiterinnen können auch selbst strategisch aktiv werden, indem sie ihre Erfolge sichtbar machen, z.B. durch klare Kommunikation oder indem sie sich proaktiv an wichtigen Projekten beteiligen. Ebenso wertvoll ist es, Netzwerke aufzubauen und zu nutzen, sowohl intern als auch extern, um Rückhalt und Inspiration zu gewinnen. Hilfreich sind außerdem Mentor*innen oder Sparringspartner*innen, die Feedback geben und den Blick von außen schärfen. Schließlich ist es wichtig, Karriereziele klar zu formulieren. Sowohl für sich selbst, als auch im Dialog mit Vorgesetzten, um Orientierung und Handlungsfähigkeit zu stärken.

Praxis-Tipps für den Arbeitsalltag

Damit Maßnahmen nicht nur theoretisch bleiben, sollten Personaler*innen und Führungskräfte folgende Aspekte beachten:

  • Meetings bewusst gestalten: Achten Sie darauf, wer wie oft spricht und wer überhört oder unterbrochen wird.
  • Auditieren der Talentprogramme: Sind Frauen hier gleich vertreten oder dominieren Männer?
  • Role Models sichtbar machen: Nutzen Sie interne Kommunikationskanäle, um weibliche Führungskräfte vorzustellen und Erfahrungen zu teilen.
  • Potenzial fördern: Fragen Sie sich regelmäßig, welche Frauen in Ihrem Umfeld mehr Verantwortung übernehmen könnten. Ermutigen Sie diese aktiv, sich auf höhere Positionen zu bewerben. Frauen bewerben sich nachweislich seltener ohne 100%-Erfüllung der Kriterien – direkte Ansprache wirkt, wie der Gender Insights Report zeigt (LinkedIn, 2019).

Fazit

Fehlende weibliche Vorbilder in Führungsebenen gefährden Talente und Innovationskraft von Unternehmen. Karrierehindernisse entstehen oft durch unbewusste psychologische Mechanismen wie geringe Selbstwirksamkeit, stereotype Zuschreibungen und fehlende psychologische Sicherheit. Durch gezielte Sichtbarkeit, Mentoring und eine inklusive Kultur können Unternehmen Frauen fördern und Talente langfristig binden. So profitieren beide Seiten: Unternehmen gewinnen an Diversität und Innovationskraft, während Mitarbeiterinnen neue Perspektiven und mehr Selbstvertrauen erlangen.

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