Sicherheit macht selbstbestimmt – wann psychologische Sicherheit Empowerment fördert

Psychologische Sicherheit ist zum Dauerthema in HR-Debatten geworden. Viele verbinden damit die Hoffnung auf mehr Empowerment im Team. Doch eine aktuelle Studie zeigt: So einfach ist es nicht. Der Zusammenhang zwischen beiden existiert zwar, aber er ist anfälliger für Störungen, als viele denken.

Sich trauen, Kritik zu äußern. Fehler offen ansprechen. Neue Ideen einbringen, ohne Angst vor Abwertung – das ist psychologische Sicherheit (Edmondson, 1999). Das Konzept hat in den letzten Jahren enorm an Aufmerksamkeit gewonnen, besonders in Diskussionen über moderne Führung und agile Zusammenarbeit. Dahinter steht die intuitive Annahme: Wer sich im Team sicher fühlt, kann freier handeln, übernimmt eher Verantwortung und fühlt sich insgesamt wirksamer – kurz: empowerter. Doch wie robust ist dieser Zusammenhang? Gilt er für alle Aspekte von Empowerment gleichermaßen? Und was passiert, wenn Teams unter Druck geraten, etwa durch Krisen oder interne Konflikte?

Creon und Schermuly (2024) sind diesen Fragen nachgegangen. Ihre zentrale These: Der Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und Empowerment könnte komplexer und kontextabhängiger sein als bisher angenommen. Empowerment besteht aus vier Dimensionen – Sinn, Kompetenz, Selbstbestimmung und Wirkung (Spreitzer, 1995). Möglicherweise profitiert nicht jede Dimension gleich stark von psychologischer Sicherheit. Und möglicherweise wird der Zusammenhang schwächer, wenn Teams von außen (etwa durch eine Pandemie) oder von innen (durch wahrgenommene Spaltungen) unter Druck geraten.

Was wurde genau untersucht?

Um diese Vermutungen zu prüfen, legten die Autor*innen eine umfassende Studie an. Sie nutzten dabei etablierte wissenschaftliche Messverfahren: Psychologische Sicherheit erfassten sie als Überzeugung, im Team offen sprechen zu können, ohne negative Folgen befürchten zu müssen.

Creon und Schermuly führten drei Studien mit insgesamt über 500 Beschäftigten in Deutschland durch: einmal in einem Industrieunternehmen (134 Personen) und zweimal mit Teilnehmenden aus unterschiedlichen Organisationen (jeweils knapp 200 Personen). Mit zeitlichem Abstand zwischen den Messungen erfassten sie, wie sicher sich die Befragten im Team fühlten und wie stark sie sich als empowert erlebten.

Besonders interessierte die Autor*innen, ob Krisen und Spannungen im Team diesen Zusammenhang beeinflussen. Dafür berücksichtigten sie, als wie belastend die Teilnehmenden die Corona-Pandemie empfanden, sowohl zu Beginn der Pandemie als auch ein Jahr später, und ob sie das Team als in Subgruppen gespalten wahrnahmen.

Was sind die Ergebnisse?

Erstens: Die Autor*innen fanden in zwei von drei Studien einen positiven Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und Empowerment. In Studie 2, die während der ersten Corona-Welle stattfand, zeigte sich dieser Zusammenhang jedoch nur unter bestimmten Bedingungen.

Das auffälligste Ergebnis: Selbstbestimmung profitiert am konsistentesten. Diese Dimension wies in allen drei Studien eine der stärksten Beziehungen zu psychologischer Sicherheit auf. Anders ausgedrückt: Wo Sicherheit spürbar ist, erleben Mitarbeitende häufiger, dass sie selbst entscheiden können, wie sie ihre Arbeit gestalten. Die Ausprägungen auf den anderen drei Dimensionen – Sinn, Wirksamkeit und Kompetenz – schwanken stärker je nach Kontext.

Zweitens: Die Autor*innen fanden heraus, dass der Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und Empowerment in Krisenzeiten schwächer wird. In der Studie, die während der ersten Corona-Welle durchgeführt wurde, zeigte sich der positive Zusammenhang nur dann, wenn Beschäftigte die Veränderungen als wenig belastend empfanden. Ein Jahr später, als sich viele bereits an die neue Situation gewöhnt hatten, war dieser Effekt nicht mehr nachweisbar.

Eine mögliche Erklärung: Bedrohung und Unsicherheit übertönen die Wahrnehmung von Sicherheitssignalen im Team. Die Autor*innen schlussfolgern vorsichtig, dass psychologische Sicherheit gerade in Krisenzeiten wichtig sein könnte, empfehlen aber aufgrund der vorläufigen Befundlage keine spezifischen Interventionen.

Drittens: Die Autor*innen zeigten außerdem, dass wahrgenommene Teamspaltungen den positiven Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und Empowerment beeinflussen können. Wenn Teams als gespalten wahrgenommen werden – etwa in „wir hier“ und „die dort“ –, war dieser Zusammenhang in einer der drei Studien schwächer ausgeprägt.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass psychologische Sicherheit und Empowerment eng zusammenhängen, besonders bezüglich des Gefühls, selbstbestimmt handeln zu können. Sie wirkt jedoch nicht automatisch: Krisen und Teamspaltungen können die Wirkung deutlich verringern.

Wie lässt sich psychologische Sicherheit im Alltag fördern?

Aus den Studienbefunden lassen sich – mit der gebotenen Vorsicht – einige Ansatzpunkte ableiten, wie psychologische Sicherheit im Arbeitsalltag gestärkt werden könnte:

  • Bewusstsein schaffen: Die Autor*innen empfehlen, Teammitglieder und Führungskräfte über den Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und individuellem Empowerment aufzuklären. Wenn Menschen verstehen, wie sich Sicherheit auf ihre Selbstbestimmung auswirkt, können sie aktiv zur psychologischen Sicherheit beitragen.
  • Sicherheitssignale bewusst senden: Die Studie zeigt, dass psychologische Sicherheit über vier Wege wahrgenommen wird: durch direkte Aussagen („Hier kann jede*r seine Meinung sagen“), durch Aufmerksamkeitslenkung (Wertschätzung von Speaking-up betonen), durch positive Deutung (Speaking-up als Lernchance darstellen) und durch sichtbare Reaktionen (konstruktiver Umgang mit Kritik am Status quo).
  • In Krisenzeiten besonders aufmerksam sein: Die Befunde deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und Empowerment in unsicheren Zeiten schwächer werden kann. Führungskräfte sollten daher in Krisen besonders darauf achten, ein sicheres Klima aufrechtzuerhalten – etwa durch Resilienz-Trainings oder Unterstützungsangebote.
  • Bei Teamspaltungen sensibel reagieren: Wenn Teams als gespalten wahrgenommen werden, kann dies den positiven Effekt psychologischer Sicherheit verringern. Die Autor*innen empfehlen, dieses Thema anzusprechen und gemeinsam zu reflektieren, schlagen jedoch keine konkreten Interventionsstrategien vor, da die Befundlage hier noch nicht ausreichend ist.

Ein Beispiel aus der Praxis kann helfen, diese Aspekte greifbarer zu machen:

Stellen Sie sich ein Team vor, das eine neue Arbeitsweise einführen soll. Wenn psychologische Sicherheit gegeben ist, äußern Teammitglieder eher Bedenken, schlagen Alternativen vor und diskutieren offen über mögliche Stolpersteine. Die Studienbefunde legen nahe, dass dies häufig mit einem stärkeren Gefühl von Selbstbestimmung einhergeht. Fehlt diese Sicherheit, bleiben viele still – und das Empowerment-Gefühl bleibt schwächer ausgeprägt. Ob die Sicherheit tatsächlich das Empowerment verstärkt oder umgekehrt, lässt sich aus den vorliegenden Daten allerdings nicht abschließend klären.

Was sollte man bei den Ergebnissen beachten?

Die Autor*innen weisen darauf hin, dass ihre Ergebnisse aus Befragungen und korrelativen Daten stammen. Das bedeutet: Die Befunde zeigen stabile Zusammenhänge, aber keine eindeutigen kausalen Effekte. Es bleibt also offen, ob Menschen, die sich empowert fühlen, zugleich auch psychologische Sicherheit erleben, oder ob psychologische Sicherheit tatsächlich zu mehr Empowerment führt.

Zudem betonen die Autor*innen, dass ihre Daten aus Deutschland und aus der Pandemiezeit stammen. Die Stärke der Effekte könnte in anderen Ländern, Branchen oder Arbeitsformen – etwa im Homeoffice – variieren.

Für zukünftige Studien empfehlen die Autor*innen, gezielte Experimente durchzuführen, um Kausalzusammenhänge zu prüfen. Außerdem sollten verschiedene Arbeitskontexte miteinander verglichen werden – etwa unterschiedliche Branchen (Pflege vs. IT), Arbeitsformen (Büro vs. Homeoffice) oder Hierarchieebenen. So ließe sich besser verstehen, wann psychologische Sicherheit besonders wichtig ist und wann andere Faktoren wie Ressourcenausstattung, Rollenklarheit oder Führungsverhalten einen größeren Einfluss auf Empowerment haben.

Ein Hinweis an Forschung und Praxis

Die Studie von Creon und Schermuly zeigt: Psychologische Sicherheit und Empowerment hängen zusammen – besonders wenn es um Selbstbestimmung geht. Dieser Zusammenhang ist jedoch komplex und kontextabhängig. In unsicheren Zeiten oder bei wahrgenommenen Teamspaltungen kann er schwächer ausfallen. Ob psychologische Sicherheit tatsächlich zu mehr Empowerment führt oder beide Phänomene gemeinsame Ursachen haben, bleibt offen. Klar ist aber: Wer Empowerment fördern will, sollte psychologische Sicherheit nicht vernachlässigen, denn Menschen, die sich sicher fühlen, erleben sich bei der Arbeit häufiger als selbstbestimmt und wirksam.

Literatur

Creon, L. E., & Schermuly, C. C. (2024). Feeling safe to be empowered: Psychological safety and psychological empowerment in threatening work environments. German Journal of Human Resource Management, 1–29. https://doi.org/10.1177/23970022241284536.

Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative science quarterly, 44(2), 350-383.

Spreitzer, G. M. (1995). Psychological empowerment in the workplace: Dimensions, measurement, and validation. Academy of Management Journal, 38(5), 1442–1465. https://doi.org/10.2307/256865.