Präventionskultur in Deutschland: Spielraum für mehr Arbeitsschutz
Keine Frage - Prävention zahlt sich in der Regel aus. Doch der gesetzlichen Pflicht, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, kommen in Deutschland laut den GDA-Betriebsbefragungen 2011 und 2015 nur etwa die Hälfte der Betriebe nach. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat untersucht, wie es um die betriebliche Gesundheits- und Sicherheitskultur in Deutschland bestellt ist und welche Empfehlungen daraus abzuleiten sind.
Auch im digitalen Zeitalter bilden menschliche Arbeitskräfte das Rückgrat von Unternehmen. Gleichzeitig können Unfälle und menschliche Fehler zu Schäden und Kosten führen, weshalb Ihr Unternehmen um Prävention bemüht sein sollte. Diese Aufgabe geht in deutschen Unternehmen jedoch offenbar häufig unter.
Fünf Arten von Präventionskultur
Der 2019 veröffentlichte Forschungsbericht „Formen von Präventionskultur in deutschen Betrieben“ identifiziert fünf verschiedene Arten von Präventionskultur. Für die quantitative Auswertung wurden insgesamt 375 Betriebe per Telefoninterview befragt.
Prävention kostet Geld. Daher überrascht der Befund der Studie nicht, dass die oftmals prekäre wirtschaftliche Lage von Klein- und Kleinstbetrieben offenbar einen Typ von Präventionskultur ausbildet, der nicht oder zu wenig auf Verhältnisprävention setzt. Andere Hindernisse, auch bei größeren Unternehmenstypen, können starre Regelwerke oder eine ausbleibende regelmäßige Analyse der Arbeitsverhältnisse sein.
Um zu erkennen, welche Maßnahmen für Ihr Unternehmen bei der Prävention hilfreich sind, ist zunächst zu klären, zu welchem Präventionstyp Ihre Firma gehört:
- „Fehlervermeider“
Die Studie zeigt, dass der Präventionskultur-Typ „Fehlervermeider“ am häufigsten in deutschen Betrieben vorkommt und zwar in allen Branchen und Betriebsgrößen. Für ein knappes Drittel der Betriebe in Deutschland gelten demnach die Beschäftigten als die wichtigste Ressource des Unternehmens, zugleich aber auch als die Hauptursache von Unfällen und anderen Schadensereignissen. Dies hat zur Folge, dass der Verhaltensprävention (Minimierung bestimmter gesundheitsriskanter Verhaltensweisen und psychischer Belastungen bei Mitarbeitenden) der Vorzug vor der Verhältnisprävention (vorbeugende gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsumwelt) gegeben wird. - „Systematiker”
Für Unternehmen dieses Typs stehen Regeln und Prozessvorgaben im Vordergrund und Unternehmensabläufe werden an diesen ausgerichtet. Dabei kann es zu Diskrepanzen zwischen den angestrebten und den tatsächlichen Arbeitsverhältnissen kommen. - „Standardsetzer”
Diese Betriebe legen Wert auf das Leben ihrer eigenen Kultur und streben nach ständiger Optimierung und Innovation. Wird Prävention als Fortschrittsbremse verkannt, kann die Innovationsfreude jedoch dem Arbeitsschutz abträglich sein. - „Techniker”
Wie der Name bereits verrät, schauen solche Unternehmen bei der Prävention auf praktische Aspekte wie die Gestaltung von Arbeitsabläufen und die Wartung der Ausstattung. Die soziale Komponente von Arbeitsbeziehungen können dabei unter den Tisch fallen. - „Do-it-yourselfer"
Diese Betriebe vertreten ein Professionalitätsideal im Sinne einer „Handwerker-Ehre” und verlassen sich auf die optimale Unternehmensführung durch das Einstellen kompetenter Arbeitskräfte. Wird deren Expertise jedoch nicht regelmäßig auf ihre Aktualität hin überprüft, kann dies auch Mängel in der Prävention bedeuten.
Blinde Flecken und viel Potential
Bezüglich des Engagements im Arbeitsschutz besteht bei vielen Unternehmen also noch Luft nach oben. Die Autorinnen des Berichts betonen jedoch, dass Betriebe Qualitäten ausgebildet haben, die auf anderen Feldern bereits gute Erfolge gezeigt haben und Wertschätzung verdienen. Daher sollten Präventionsexperten Wertschätzung ausdrücken und Präventionsvorkehrungen maßgeschneidert an das Unternehmen anpassen.
- Für die „Fehlervermeider“ ist der Fokus auf eine Verbesserung der verhältnispräventiven Rahmenbedingungen zu legen, um der Eigenverantwortung der Beschäftigten einen sicheren Rahmen zu geben.
- Für die innovationsfreudigen „Standardsetzer“ können die Themen Sicherheit und Gesundheitsschutz Attraktivität gewinnen, indem Prävention als Anreiz ausgelegt wird, innovative Strategien für eine sicherere und gesündere Arbeitsumgebung zu schaffen.
- Bei den sogenannten „Systematikern“ sollten Präventionsexperten den Wert einer stärkeren Beteiligung der Beschäftigten verdeutlichen. Mitarbeitende sollten angstfrei die tatsächlichen Abläufe beschreiben und Verbesserungspotenziale benennen können.
- Die „Techniker“ sollten aufgefordert werden, sich selbst klare Regeln zum Umgang miteinander, d. h. für Führung und Zusammenarbeit, zu geben. Ziel ist die Etablierung der Pflege guter sozialer Beziehungen sowie einer guten Organisation der Zusammenarbeit über die sichere Wartung der Technik hinaus.
- Die „Do-it-yourselfer“ sollten regelmäßig prüfen, inwieweit die vorhandene Professionalität durch Weiterbildung aufgefrischt werden muss und durch verhältnispräventive Maßnahmen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz zu unterstützen ist. Sie sollten souveräne Profis mit Expertise in Sicherheit und Gesundheitsschutz werden, da sie so auch selbstbewusster gegenüber Kund*innen und Kooperationspartner*innen dastehen.
Schlussendlich ist es für den Aufbau eines funktionierenden Präventionskonzepts essenziell, dass der Ist-Zustand mit Blick auf die angestrebten Ziele gründlich analysiert wird, da jedes Unternehmen andere Bedürfnisse und Ressourcen aufweist. Am Ende wird sich Prävention definitiv auszahlen. Darum sollten auch Sie dieses Thema auf Ihre Agenda setzen.
Literatur
Schmitt-Howe, B. & Hammer, A. (2019). Formen von Präventionskultur in deutschen Betrieben. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. https://doi.org/10.21934/baua:bericht20180703