Warum die 4-Tage-Woche "Bullshit"-Jobs nicht besser macht

Seit Monaten reißen die Diskussionen um die 4-Tage-Woche nicht ab. Doch ist sie wirklich die Lösung, insbesondere bei unbefriedigenden Jobs? Ingo Hamm beleuchtet die aktuelle Studienlage und zeigt auf, nach welchen Kriterien sich „Bullshit“-Jobs tatsächlich attraktiver gestalten lassen.

Die einzige Studie, die meist im Zusammenhang mit der 4-Tage-Woche herangezogen wird, ist streng genommen keine. Hinter dem Schlagwort 4 Day Week Global verbirgt sich nämlich keine Studie, sondern eine schwammig titulierte „Not-for-Profit Community“. Der eigentliche Sinn und Zweck ihrer Studie wird deutlich, wenn man die Community digital besucht und noch vor den erhofften und mit Registrierungszwang versehenen Studienergebnissen zunächst mit Trademarks gelockt wird: Man bekommt das Buch „The 4 Day Week“ für 35 Neuseeland-Dollar angeboten und stößt auf die „Participation Fees“ der Community (2000 EUR für ein Kleinstunternehmen, 20.000 EUR für einen Konzern).

Die Gründer dieser Community wollen offenbar die 4-Tage-Woche vermarkten, und ihre „Studie“ dient als Sales Support. Trotzdem imponieren die Kernergebnisse der Studie seit Wochen den Medien, der Politik und den Gewerkschaften:

  • „78% of employees with 4 day weeks are happier and less stressed“

  • „63% of businesses found it easier to attract and retain talent with a 4 day week“

Na bitte: Wer nur vier Tage arbeiten muss, ist glücklicher und weniger gestresst; Unternehmen finden und binden leichter Fachkräfte. Quod erat demonstrandum! Doch kann das stimmen?

Fakten-Check

Laut Angaben von 4 Day Week Global nahmen 61 Unternehmen an der Befragung teil. Allerdings haben nur 58 Prozent (also etwas mehr als 30 Unternehmen) bis zum Ende teilgenommen. Das ist weder besonders schlecht, noch besonders gut, aber es ist einer von weiteren Biases.

Der zweite ist ein „People Bias“: Es nahmen 62 Prozent Frauen teil, 37 Prozent Männer. Frauen favorisieren bekanntlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit die 4-Tage-Woche deutlich stärker als Männer.

Drittens der „Company Bias“: Ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen hat weniger als 10 Mitarbeitende; nur 10 Prozent mehr als 100. Empirische Sozial- oder Marktforscher:innen würden das euphemistisch eine „selektive Stichprobe“ nennen, Führungskräfte wohl eher „voll dran vorbei!“. Damit nicht genug.

Circa die Hälfte der Teilnehmenden ist in den Bereichen Marketing, Dienstleistung und Non-Profit tätig. Das ist der „Work Bias“. Wo bleiben Industrie, Handel, produzierendes Gewerbe?

Alle zitieren im Moment diese eine Studie, die gar nicht das messen kann (oder will), was sie vorgibt. Sie triggert alle New Work- und Sozial-Propheten, ist aber wenig valide. Gibt es bessere Studien?

Der wahre Grund: Mehr Leben!

Es gibt tatsächlich mehrere seriöse Studien zum Thema, beispielsweise vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung (Lott & Windscheid, 2023). Die Stiftung gehört zwar dem Deutschen Gewerkschaftsbund, sodass sich wenig überraschend eine Mehrheit von 73 Prozent der Befragten für die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ausspricht. Im Gegensatz zur oben zitierten Studie werden jedoch stichhaltige Gründe für dieses Votum geliefert:

  • 97 Prozent der Befürworterinnen und Befürworter wollen nur noch vier Tage arbeiten, um mehr Zeit für sich selbst zu haben

  • 89 Prozent wünschen sich mehr Zeit für die Familie

  • 88 Prozent wünschen sich mehr Zeit für Aktivitäten wie Hobbys, Sport oder Ehrenamt

Sie wollen also nicht weniger arbeiten, sondern mehr und erfüllter leben – und zwar in ihrer Freizeit, nicht bei der Arbeit. Und das ist nicht alles.

Wer gern arbeitet, spinnt doch

17 Prozent der Befragten der Hans-Böckler-Studie lehnen die 4-Tage-Woche ab. Sakrileg! 86 Prozent von ihnen geben an, dass sie Spaß bei der Arbeit haben. Diese Menschen finden ein erfüllendes Leben nicht nur im Privaten, sondern auch und gerade bei der Arbeit. Was stimmt mit denen nicht? Genau das führt uns zum eigentlichen Problem.

Die moderne Arbeitswelt hat den Menschen sich selbst entfremdet, sodass er in Notwehr dazu gezwungen ist, dieser anstrengenden, sinnleeren Welt zu entfliehen. Indem er einen Tag weniger arbeitet. Das hört sich zwar fast logisch an, entspricht aber nicht der Sicht von Kassierer oder Sekretärin. Wenn Arbeit wirklich Mist ist, dann ist Mist von 5 auf 4 Tage reduziert immer noch Mist.

Wir brauchen nicht weniger, sondern bessere Arbeit

All diese Pseudo-Lösungen mit weniger Büro, mehr Homeoffice und weniger Arbeitstagen pro Woche drücken sich vor dem eigentlichen Problem: dem fortschreitenden Verlust von Zufriedenheit, Motivation und Erfüllung bei der Arbeit. Dabei geht es geht nicht um die Menge an Arbeit, sondern um deren Qualität. Ein Rezept für Traumjobs liefert z. B. das Job Characteristics Model von Hackman und Oldham. Nach diesem Modell macht jede Arbeit Sinn, glücklich und motiviert, sofern sie in wesentlichen Teilen die folgenden Voraussetzungen erfüllt: Sie ist vielfältig und bedeutsam, kann von vorne bis hinten und relativ autonom ausgeführt werden und sie bietet Feedback.

Erinnern Sie sich an „das Gespenst“ Johann, den Maschinisten aus dem Film „Das Boot“? Wer möchte schon so einen Bullshit-Job? Stundenlang die lärmenden Maschinen ertragen, körperlich hart ranklotzen, kaum Schlaf, über einem die vernichtenden Wasserbomben. Doch Johann geht darin auf und verhindert praktisch im Alleingang das Absaufen des Bootes. Sein Chef, fasziniert und stolz auf diese Leistung, ringt sich fast ungläubig zu einem Lob durch: „Gut, Johann. Sehr gut. Nun mal raus aus den nassen Klamotten."

Und das während des ganzen Films gespensterhaft erstarrte Gesicht Johanns verzieht sich zu einem Lächeln, was zeigt: Für Johann erfüllen sich in dem Moment die Hackman/Oldham-Kriterien: vielfältig – bedeutsam – ganzheitlich – eigenständig – mit Feedback.

Das Beispiel zeigt aber auch: Zufriedenheit beantwortet noch nicht eine moralische Sinnfrage, die sich viele Menschen heutzutage zu Recht stellen: „Mache ich das Richtige, trage ich zu etwas Gutem bei?“

Was wir wirklich wollen

Was wir im Grunde unseres Herzens wollen und was seriöse Studien wie die der Hans-Böckler-Stiftung nachweisen, ist simpel: Nicht weniger Arbeit, sondern mehr Sinn, mehr Leben, mehr Freiheit und Variabilität im Job. Das belegt nicht nur das anekdotische Beispiel von Johann, sondern auch ordentlich angestellte Studien; so auch die der IKK unter Handwerkern (IKK classic, 2023).

„Ich empfinde meinen Beruf als sinnhaft“ unterschreiben knap 92 Prozent der befragten Handwerkerinnen und Handwerker, jedoch nur 69 Prozent der Durchschnittsarbeitnehmenden. Warum? Weil handwerkliche Berufe die Hackman/Oldham-Kriterien viel besser erfüllen als Durchschnittsberufe.

Gerade Fachkräfte mit irrem Überstunden-Konto möchten meistens partout nicht weniger arbeiten, weil das weniger Sinn und Erfüllung bedeuten würde. Sinn aber liegt im Machen.

Nur Machen macht Sinn

Wenn ein Job Sinn bringt, dann muss ich ihn nicht reduzieren und sehe ihn nicht als Strafe an. Wie Sisyphus steigen ja auch Bergsteiger Schritt für Schritt scheinbar sinnlos Berge auf und ab, weil sie sich in dieser (Grenz-)Erfahrung als absolut selbstwirksam erleben.

Genau das wollen die 4-Tage-Apostel aus ideologischen Gründen nicht wissen. Sie und ihre Fans versuchen nicht, den aktuellen Bullshit-Job anhand der fünf Hackman/Oldham-Kriterien umzugestalten – denn auch das geht und wird täglich praktiziert. So lautet ein bekanntes Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht – und nicht auf 4 Tage verkürzt. Sonst taucht spätestens nächsten Monat eine neue „Studie“ auf, diesmal mit der Forderung nach der 3-Tage-Woche. Dazu wurde mir übrigens ein Witz erzählt: Der Betriebsrat verkündet seiner Belegschaft stolz, dass sie ab 01.01. nächsten Jahres nur noch dienstags arbeiten muss. Totenstille. Kein Applaus. Aus der hintersten Reihe ruft einer: „Was denn? Etwa jeden Dienstag?“

Literatur

4 DAY WEEK GLOBAL (2022/2023). Online abrufbar unter: https://www.4dayweek.com/research

Lott, Y., Windscheid, E. (2023). 4-Tage-Woche. Vorteile für Beschäftigte und betriebliche Voraussetzungen für verkürzte Arbeitszeiten, in: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Policy Brief WSI 79, Düsseldorf. Online abrufbar unter: https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-008610

IKK classic (Pressemitteilung 09.03.2023). Sinnhaftigkeit, Wertschätzung, Glück – „Machen“ macht gesund. Zuletzt abgerufen am 02.10.2023: https://www.ikk-classic.de/information/presse/pressemitteilungen/bundesweit/2023-03-10-Sinnhaftigkeit-Wertsch%C3%A4tzung-Gl%C3%BCck

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