Wie Diversität in Unternehmen zur treibenden Kraft wird

Vielfalt in Unternehmen ist ein verborgener Schatz. Wie Unternehmen diesen Schatz heben und Diversität zur treibenden Kraft werden lassen können, erläutert Diplom-Psychologe und Intercultural Trainer Matthieu Kollig.

Vieles spricht dafür, dass eine vielfältige Belegschaft zum Erfolg einer Organisation beitragen kann - wenn dafür die richtigen Bedingungen geschaffen werden. Das Potential für Kreativität, Innovation und Problemlösung ist ein verborgener Schatz, den es zu bergen gilt. Wenn Unternehmen dies erkennen, stellt sich also eine Frage, auf die es zahlreiche Antworten gibt: Wie können wir Diversität zu einer treibenden Kraft machen?

Wenn Sie Ihre Gestaltungsmöglichkeiten erkennen möchten, ist es nützlich, zwei Ebenen der Vielfalt Ihrer Belegschaft zu unterscheiden, die ich in diesem Artikel bereits ausführlicher erläutert habe. Denn beide Ebenen sind mit bestimmten Risiken verbunden.

Risiken von Diversität

Das Risiko der Oberflächen-Vielfalt: Bestimmte Gruppen werden eher diskriminiert oder ausgegrenzt als andere. Das kann auch durch unbewusste, menschliche Denkfehler und Stereotypisierungen begünstigt sein, die im Fachjargon als unconscious- oder implicit biases bekannt sind. Die Folge: Gute Ideen werden übersehen, Talente kündigen und nur Privilegierte können ihr Bestes geben.

Das Risiko der Tiefen-Vielfalt:  Unterschiedliche Denkstile, Erfahrungen und Überzeugungen führen zu unterschiedlichen Vorstellungen z. B. darüber, was „professionell“ ist und wie man „richtig“ arbeitet. Die Folge: Irritationen, Konflikte und Desorientierung. Diese Störungen reduzieren gemäß der einfachen Formel Teamleistung ist Teampotenzial minus Transaktionskosten die Leistung (Wegge und Schmidt, 2015).

Diese Risiken ungesteuerter Diversität lassen sich mit einem Wort auf den Punkt bringt: Misstrauen.

Diversität und Vertrauenskultur

Die Kultur einer Organisation ist von Misstrauen geprägt, wenn sie von bestimmten Annahmen dominiert ist: „Ich kann nicht damit rechnen, dass man mir gegenüber wohlwollend ist.“ „Was hier gesagt und getan wird, passt nicht zu den Werten und Idealen, die mir wichtig sind.“ „Wir sind unfähig, Aufgaben zu bewältigen, Probleme zu lösen und Innovation voranzubringen.“ (Schoorman, 2007). Diese Annahmen werden durch Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen sowie Reibungsverluste begünstigt.

Institutionelles Misstrauen führt zur Vernachlässigung gemeinsamer Ziele und zur Konzentration auf individuelle Interessen. Eine von Misstrauen geprägte Organisation ist orientierungslos und dysfunktional in dem Sinne, dass hohe Transaktionskosten zu schlechten Leistungen führen.

Dagegen dominiert in einer Organisationskultur, die von Vertrauen geprägt ist, ein Gefühl der Sicherheit. Beiträge zur gemeinsamen Zielerreichung erfolgen auch dann, wenn Abhängigkeiten von anderen mit einem Risiko verbunden sind. Dieses Vertrauen resultiert aus der Annahme, dass Wohlwollen, Integrität und Kompetenz im Unternehmen zu erwarten sind.

Einer Studie zufolge berichten Mitarbeitende in Unternehmen mit hohem Vertrauen 106 % mehr Energie bei der Arbeit, 50 % höhere Produktivität, 76 % mehr Engagement und 40 % weniger Burnout als Mitarbeitende in Unternehmen mit geringem Vertrauen. Auch die Loyalität zum Unternehmen ist demzufolge in Unternehmen mit hohem Vertrauen um 50 % höher (Zak, P.J. 2017). Möchte ein Unternehmen den verborgenen Schatz einer vielfältigen Belegschaft heben, sollten also Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer Kultur des Vertrauens beitragen.

Maßnahmen, die zu einer Vertrauenskultur beitragen

Die Maßnahmen sollten sich auf beide Ebenen der Vielfalt richten, alle Diversitäts-Dimensionen berücksichtigen und in unterschiedlichen Domänen (Individuum, Gruppe, Organisation, Zielgruppe) greifen. Die folgende Matrix unterstützt beim Entdecken möglicher Maßnahmen. Darunter finden Sie einige Beispiele aus der Literatur und aus meiner Erfahrung als Coach, Trainer und Berater, die den jeweiligen Feldern (1.1 – 2.4) zugeordnet sind.

Diversity-Matrix

Diversity-Matrix (Abb.: Matthieu Kollig)

  1.  

1.1 Anerkennung eigener (Denk-)Fehler, blinder Flecken und Privilegien, Demut und Bescheidenheit. Beispiel: Eine männliche Führungskraft gibt öffentlich zu, dass sie bisher Rat von Männern eher angenommen hat als Rat von Frauen.

1.2 Professionelle Beziehungen bewusst gestalten. Beispiel: Ein neues Teammitglied mit Behinderung bekommt im Onboarding-Prozess die Gelegenheit, sich dem Team ausführlich vorzustellen, so dass dessen Individualität im Vordergrund steht und nicht dessen Gruppenzugehörigkeit.

1.3 Mängel im System anerkennen, Status Quo in Frage stellen, Hürden abbauen. Beispiel: Eine Personalabteilung lässt sich beraten, um „blind hiring“ einzuführen. Ein Unternehmen fördert und finanziert die Vernetzung der LGBTQI-Community in der Belegschaft.

1.4 Produkte und Dienstleistungen an die besonderen Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen anpassen. Beispiel: Um besser retten zu können, beschließt die Leitung einer Feuerwehr, für Einsätze in sozialen Brennpunkten die Fahrzeugkombinationen anzupassen und Sonderkräfte zu den Einsätzen hinzuzuziehen.

2.1 Unbewusste Persönlichkeitseigenschaften systematisch identifizieren. Beispiel: Eine Führungskraft nutzt „Lumina Spark“, um sich anhand eines wertschätzenden Persönlichkeitsprofils besser selbst einschätzen zu können und die Bedürfnisse ihres Teams besser zu verstehen.

2.2 Die Herausforderung von Tiefen-Vielfalt anerkennen und Chancen benennen. Beispiel: Eine Abteilung nutzt den sogenannten „Diversity Icebreaker“, um ein Teamprofil zu erstellen, dass die Unterschiede der Erwartungen an „richtiges“ Arbeiten aufzeigt, wertschätzend benennt und mögliche Konfliktlinien bewusst macht. Die Unterschiede werden bewusst genutzt, um die Probleme aufgrund eines aktuellen Lieferengpasses kreativ zu lösen. (Ekelund, 2019).

2.3 Organische Veränderungen partizipativ gestalten. Beispiel: Eine transnationale Organisation mit über 400 Mitarbeitenden fördert und finanziert eine interne Matrixorganisation, die freiwillig Beteiligte unterschiedlicher Disziplinen über Organisationseinheiten hinweg vernetzt und Veränderungsprozesse anstößt.

2.4 Dienstleistungen maßgeschneidert und personell anpassen. Beispiel: Humanitäre Helfer:innen sollen in einem Erdbebengebiet eingesetzt werden. Das Team wird so zusammengesetzt, dass es die Kultur der Betroffenen versteht.

Es gibt Bedingungen, unter denen keine der oben genannten Maßnahmen nachhaltige Wirkung zeigen wird, auch wenn eine Organisation für sich beansprucht, Vielfalt fördern und nutzen zu wollen. Beispielsweise wenn Mitarbeitende in der beruflichen Praxis nur dann Karriere machen können, wenn sie sich an eine unverhandelbare Organisationskultur anpassen – wenn also Diversität gepredigt, jedoch Assimilation verlangt wird. Oder wenn Vielfalt mit Standardisierung von Verfahren, Prozessen und Abläufen begegnet wird und in der Berufspraxis Agilität und Veränderung als Risiko empfunden und bekämpft werden. Im schlimmsten Fall sind die Maßnahmen wirkungslos, weil Diskriminierungs- und Ausgrenzungspraktiken toleriert werden.

Fazit

Die Vorteile der Vielfalt in Unternehmen sind ein verborgener Schatz. Um ihn zu heben, bedarf es einer Organisationskultur, die von Vertrauen geprägt ist. Es kann Einiges getan werden, um Vertrauen zu fördern. Dabei ist es nützlich, Tiefen- und Oberflächen-Vielfalt zu unterscheiden und Maßnahmen in den Domänen Individuum, Gruppe, Organisation und Zielgruppe zu ergreifen. Nachhaltig wirksam sind die Maßnahmen nur dann, wenn die Rahmenbedingungen in Unternehmen stimmen oder verändert werden.

Literaturliste zum Download

Zum Weiterlesen

[Werbung] Bohnet, I. (2016). What Works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann. C.H. Beck: München.

Charta der Vielfalt (2023). Für Diversity in der Arbeitswelt. Online abrufbar unter: https://www.charta-der-vielfalt.de

Luthra, P. (2021). Diversifying Diversity. Your Guide to Being an Active Ally of Inclusion.

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