Worte formen Welten: Über psychische Gesundheit sprechen

Der Job ist deprimierend, die CEOs sind narzisstisch und überhaupt macht der ganze Arbeitsstress krank? Warum wir nicht vorschnell klinisch relevante Ausdrücke in den Mund nehmen und uns stattdessen der Macht der Sprache bewusst werden sollten, erläutern Lotte Bock und Prof. Dr. Madiha Rana.

Der Arbeitsalltag wäre viel entspannter, wenn wir nicht ständig mit dem narzisstischen Vorgesetzten, der neurotischen Kollegin und den gestörten Kunden in depressiv machenden Büros zu tun hätten. Dann wären wir nicht so gestresst und bekämen nicht so schnell einen Burnout. Wir stellen gerne Diagnosen, um andere Menschen oder unsere eigenen unangenehmen Gefühle zu beschreiben. Aber wie beeinflusst das unsere psychische Gesundheit? Und sollten wir vielleicht ab und zu unser Vokabular der Gefühle überprüfen?

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz

Der Fehlzeiten-Report 2023 zeigt, dass psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz zwar zurückgehen, aber immer noch die dritthäufigste Ursache für Krankschreibungen sind. Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen sind seit 2012 um 48 Prozent gestiegen und verursachen jährliche Kosten in Höhe von 44,4 Milliarden Euro. Depressionen, Angststörungen und Burnout sind schwerwiegende Probleme, die zu verminderter Produktivität und Konflikten führen können (Brombana et al., 2022).

Die Ursachen sind vielfältig und reichen von hohem Arbeitsdruck und chronischem Stress bis hin zu mangelnder sozialer Unterstützung und unklaren Erwartungen. Menschen, die unter diesen Bedingungen leiden, können Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, Entscheidungen zu treffen und ihre Arbeit effektiv zu erledigen. Dies kann zu verminderter Produktivität, Fehlzeiten, Konflikten mit Kolleg:innen und Vorgesetzten und einer allgemeinen Verschlechterung des Arbeitsklimas führen.

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz sind zweifellos ein großes Problem mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Aus diesem Grund werden Führungskräfte zunehmend in der Beurteilung und Prävention solcher Erkrankungen geschult, um frühzeitig Warnzeichen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen psychischen Erkrankungen und normalen Stressreaktionen zu unterscheiden.

Die Art und Weise, wie wir über psychische Gesundheit sprechen, aber auch wie wir sie wahrnehmen und behandeln, kann einen erheblichen Einfluss auf unser emotionales Wohlbefinden und das gesamte Arbeitsumfeld haben.

Die Macht der Sprache

Sprache hat einen großen Einfluss auf unser Denken und Fühlen. Sie prägt nicht nur unsere Art zu kommunizieren, sondern kann auch unsere Wahrnehmung der Realität beeinflussen. Eine positive und ermutigende Sprache kann dazu beitragen, ein Gefühl des Vertrauens, der Sicherheit und des Wohlbefindens zu schaffen, während eine negative oder abwertende Sprache das Selbstwertgefühl mindert und Unsicherheit erzeugt. Die Wortwahl kann unsere Denkmuster beeinflussen, indem sie bestimmte Assoziationen und Interpretationen fördert und die Wahrnehmung lenkt. Wenn wir zum Beispiel jede Herausforderung als „Stress“ bezeichnen, ist es nicht verwunderlich, dass der Alltag als „stressig“ empfunden wird. Energie folgt Aufmerksamkeit, wie uns die alte Weisheit lehrt. Wenn wir den Alltag oft genug als „stressig“ beschreiben, konditionieren wir unsere Aufmerksamkeit auf Situationen, die dazu passen könnten, und nehmen diese Ereignisse auch deutlicher wahr. Es entsteht ein sogenannter Bestätigungsfehler (confirmation bias): Wir sehen das, wovon wir überzeugt sind, und nehmen diese Wahrnehmung als „Bestätigung“ unserer Überzeugung. Ein Teufelskreis.

Durch den bewussten Einsatz einer positiven und einfühlsamen Sprache können wir nicht nur unsere eigenen Gedanken, Gefühle positiv beeinflussen, sondern auch zu einem unterstützenden Umfeld beitragen und damit psychischen Erkrankungen vorbeugen. Wenn wir offen und achtsam miteinander sprechen, erhöhen wir nicht nur die Chance, psychische Überlastung frühzeitig zu erkennen, sondern legen auch den Grundstein für ein vertrauensvolles Umfeld, das psychische Sicherheit fördert.

Die Wortwahl formt die Selbstwahrnehmung

Auch die Worte, mit denen wir im Alltag negative Gefühle beschreiben, verdienen mehr Aufmerksamkeit. Unsere Wortwahl hat einen Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung und beeinflusst, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Wenn wir uns selbst mit positiven und unterstützenden Worten beschreiben, stärken wir unser Selbstwertgefühl und unsere Selbstwahrnehmung. Umgekehrt können negative oder abwertende Worte das Selbstbild schwächen und zu einem negativen Selbstkonzept führen.

Denken Sie zum Beispiel daran, wie Sie das Wort Angst verwenden: „Ich habe Angst, dass ich zu spät komme“ oder „Ich habe Angst, dass mein Chef das Projekt nicht genehmigt“. Geht es hier wirklich um Angst? Oder würde in diesem Zusammenhang vielleicht das Wort „nervös“ besser passen?

Ist das Wetter wirklich „deprimierend“ oder wäre „grau und bewölkt“ vielleicht die passendere Beschreibung? Und ist die Führungskraft wirklich „narzisstisch“ oder gar „psychopathisch“? Oder ist sie vielleicht nur - aus Ihrer Sicht - schwierig? Merken Sie, was diese Begriffe mit Ihnen machen?

Statt zu sagen „Ich bin depressiv“, könnten wir formulieren „Ich fühle mich heute niedergeschlagen“. Dieser Ausdruck betont den vorübergehenden Charakter des Gefühls und impliziert nicht unbedingt eine klinische Depression, geschweige eine Identifikation mit dem Gefühl durch das „ich bin“. Und wenn wir über schwierige Zeiten sprechen, könnten wir sagen „Ich hatte eine Phase, in der ich mich sehr niedergeschlagen fühlte, und ich habe Wege gefunden, damit umzugehen“, anstatt zu sagen „Ich war depressiv“. Dies zeigt, dass es sich um eine vorübergehende Phase handelte und dass es Möglichkeiten gibt, damit umzugehen und sich zu erholen. Gefühle wahrzunehmen und differenziert auszudrücken ist wichtig, um präventiv mit Überforderung am Arbeitsplatz umzugehen.

Die Königsdisziplin der Kommunikation

Die Königsdisziplin besteht darin, den Zusammenhang zwischen Gefühlen und Bedürfnissen zu erkennen und zu kommunizieren. Wenn jemand gestresst ist, kann das Bedürfnis nach Entspannung und Unterstützung durch die Kommunikation von Gefühlen wie dem Bedürfnis nach Ruhe oder Hilfe bei der Bewältigung von Aufgaben zum Ausdruck gebracht werden. Und wenn jemand frustriert ist, kann das Bedürfnis nach Anerkennung und Respekt durch die Kommunikation von Gefühlen wie dem Wunsch nach Wertschätzung für geleistete Arbeit oder dem Bedürfnis nach Erfüllung durch herausfordernde Aufgaben deutlich gemacht werden.

Vereinfacht gesagt sind unangenehme Gefühle ein Indikator dafür, dass bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Die Ursache für diese Gefühle liegt letztlich nicht in der Umwelt, sondern in unserer Bewertung der Umwelt und in unseren eigenen (erfüllten oder unerfüllten) Bedürfnissen. Traurigkeit kann also ein Zeichen dafür sein, dass wir Anerkennung oder Nähe suchen. Auch hier kann und sollte das Bedürfnis nach Trost und Verständnis durch die Kommunikation von Gefühlen wie dem Wunsch nach einem offenen Ohr oder nach emotionaler Unterstützung zum Ausdruck gebracht werden, anstatt sich in einer Negativspirale wiederzufinden.

Durch die Förderung einer Arbeitskultur, in der differenzierte, ehrliche und reflektierte Gespräche möglich sind, gelebt und akzeptiert werden, können wir dazu beitragen, das Stressempfinden am Arbeitsplatz zu reduzieren.

Tipps:

  • Achten Sie darauf, wie Sie Ihren Alltag beschreiben, da die Wortwahl die Wahrnehmung lenkt.
  • Üben Sie Gefühle ohne „sein“ auszudrücken. Statt „Ich bin …“ können Sie sagen, „ich habe gerade ein Gefühl von…“ oder „ich nehme gerade … wahr“.
  • Tragen Sie zu einer Arbeitskultur bei, in der offen und differenziert über negative Gefühle gesprochen wird.
  • Helfen Sie sich selbst und anderen dabei, das unerfüllte Bedürfnis hinter den unangenehmen Gefühlen zu erkennen und auszudrücken.

 

Literatur

AOK-Bundesverband. (18.10.2023). Fehlzeiten-Report: Anhaltend hohe arbeitsbezogene Beschwerden und stetig steigende Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen. AOK. https://www.aok.de/pp/bv/pm/fehlzeiten-report-2023/

Bombana, M., Heinzel-Gutenbrunner, M., & Müller, G. (2022). Psychische Belastung und ihre Folgen für die Krankheitskosten–eine Längsschnittstudie in Deutschland. Das Gesundheitswesen, 84(10), 911-918.

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