Co-Construction: So wird Führung zur Aufwärtsspirale

Führung ist kein Soloauftritt, sondern hängt auch vom Einfluss der Mitarbeitenden ab. Über die Zeit entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen Führungskraft und Beschäftigten. Indem Sie Führung als eine solche Co-Construction begreifen, können Sie besser nachvollziehen, wie Sie erwünschtes und unerwünschtes Verhalten in Organisationen fördern.

Führung – insbesondere direkte Führung – ist maßgeblich von Kommunikation geprägt. Führungskräfte stehen tagtäglich vor der Aufgabe, durch gezielte und oft situativ angepasste Kommunikationsarbeit Einfluss auf ihre Teams auszuüben. Doch Führung ist kein Monolog und weitaus mehr als einseitiges Delegieren von Aufgaben oder die bloße Weitergabe von Informationen von oben nach unten. Tatsächlich gestaltet sich Führung als ein wechselseitiger Prozess, in dem nicht nur die Führungskraft, sondern auch die Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle spielen (wie Ausführungen zum Followership zeigen). Folglich sollten Sie Führung nicht als Soloauftritt verstehen, bei dem die Führungskraft den Ton angibt. Vielmehr handelt es sich um eine Co-Construction, bei der sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende an der Gestaltung von Führungsprozessen beteiligt sind (Güntner & Kauffeld, 2021).

Interaktionsanalysen veranschaulichen Wechselwirkungen

Aktuelle Betrachtungsweisen zur Kommunikation in Veränderungsprozessen legen nahe, dass diejenigen, die Veränderungen vorantreiben wollen, durch ihr Verhalten die Widerstände, die sie überwinden möchten, paradoxerweise auslösen und sogar verstärken können (Endrejat & Meinecke, 2021). In einer aufwendigen Untersuchung, bei der anhand einer Analyse und statistischen Auswertung von 28 Gesprächen bestimmt wurde, welche Äußerung auf die der Gesprächspartner:innen folgt, zeigte sich ein Muster: Versuche, andere von einer Veränderung zu überzeugen, führten häufig nicht zum gewünschten Erfolg, sondern zu mehr Widerstand (Klonek et al., 2014). Es entstehen also unerwünschte Nebenwirkungen, wie wachsende Bedenken und Befürchtungen. Diese Erkenntnis ist besonders bedeutsam für den Führungsalltag. Denn genau jene gut gemeinten Bemühungen, mit denen Führungskräfte Widerstände abbauen wollen, können oft das Gegenteil bewirken und Widerstände sogar verstärken.

Doch auch das Verhalten der Mitarbeitenden hat einen Einfluss. Zeigen Mitarbeitende Widerstand, reagieren Führungskräfte darauf häufig mit einem restriktiven Führungsverhalten (Güntner et al., 2020). Damit sind die Voraussetzungen für die Entstehung eines Teufelskreislaufes gegeben, in dem beide Seiten einander die Schuld für die entstandenen Spannungen zuschreiben. Tatsächlich ist dies jedoch eine Co-Produktion von Führungskräften und Mitarbeitende. Wenn sich die Beteiligten dieser Dynamik bewusstwerden, besteht die Chance, aus dem Muster auszubrechen und damit den Teufelskreis zu durchbrechen.

Aber es gibt nicht nur negative, sondern auch positive Wechselwirkungen in der Kommunikation. Eine Analyse von Audioaufnahmen jährlicher Mitarbeitendengespräche durch Meinecke et al. (2017) verdeutlicht dies: Auf beziehungsorientierte Aussagen (z. B. Ermutigen und Unterstützung anbieten) der Führungskräfte folgte überzufällig eine aktive Beteiligung der Mitarbeitenden – und umgekehrt.

Im Einklang mit kommunikationspsychologischen Klassikern

Die oben aufgeführten Beispiele empirischer Forschung stützen und konkretisieren Annahmen kommunikationspsychologischer Klassiker. Den Axiomen von Paul Watzlawick (1967) folgend, ist das eigene Verhalten zugleich Ursache und Wirkung des Verhaltens der anderen Seite. Friedemann Schulz von Thun beschreibt in seinem Klassiker „Miteinander Reden“ (1989) Teufelskreise, die erklären, wie Kommunikationsprobleme entstehen und aufrechterhalten werden. Beispielsweise kann Mikromanagement als solch ein dysfunktionales Muster verstanden werden: Führungskräfte kontrollieren immer stärker, was bei den Mitarbeitenden Verunsicherung und Demotivation hervorruft – was wiederum zu mehr Fehlern und letztlich einer noch strengeren Kontrolle führt. Während die kommunikationspsychologischen Klassiker theoretische Perspektiven zur Reflexion bieten, verweisen die oben genannten empirischen Befunde auf konkrete Kontexte, in denen diese Theorien ein evidenzbasiertes Erklärungsmodell abgeben.

Die Studien zeigen allgemeine Trends auf, die Sie als Führungskraft z. B. bei Mitarbeitendengesprächen berücksichtigen sollten, und sie verdeutlichen die Risiken, die insbesondere bei der Kommunikation bei Veränderungsvorhaben auftreten können.

Mit der Co-Construction-Brille Führung gestalten

Die Betrachtung von Führung als Co-Construction oder als Interaktionsprozess kann ferner nützlich sein, um die komplexen Wechselwirkungen über einen längeren Zeitraum differenzierter zu analysieren und besser zu verstehen. Im hektischen Arbeitsalltag besteht schnell die Gefahr, dass pauschal schlechte Führung unterstellt wird oder Mitarbeitende als unkooperative Bedenkenträger abgestempelt werden. Diese Vereinfachungen greifen meist zu kurz: Aufkommende Probleme sollten Sie nicht vorschnell als Versagen oder Fehlverhalten einer Seite interpretieren. Stattdessen sollten Sie auch das Zusammenspiel beider Seiten betrachten. Häufig haben sich mit der Zeit dysfunktionale Teufelskreisläufe eingeschlichen, die das Arbeitsklima belasten und immer wieder zu neuen Konflikten führen. Führung als Co-Construktion zu betrachten, ermöglicht es Führungskräften, diese Dynamiken frühzeitig zu erkennen und gezielt zu durchbrechen.

Nicht nur bei Problemen lohnt sich dieser Ansatz: Die „Co-Construction-Brille“ erlaubt es auch, das eigene Verhalten hinsichtlich erwünschter Folgen und unerwünschter Nebenwirkungen zu überprüfen. Gerade in dem Wechselspiel von Führenden und Geführten kann durch bewusst gestaltete Interaktionen eine Aufwärtsspirale entstehen, in der Vertrauen, Engagement und Leistungsfähigkeit wachsen. Ein solches Führungsverständnis schafft einen Mehrwert, der weit über die Möglichkeiten herkömmlicher Führungsstile hinausgeht. Letztlich gilt es, den Blick nicht nur auf Teufelskreisläufe zu richten, sondern eben auch auf positive „Loops“ und Aufwärtsspiralen – ein Prozess, der ebenso viel Aufmerksamkeit wie Pflege verdient.

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