Frau oder Führungskraft? – Die Widersprüche sozialer Erwartungen

Dass Frauen immer noch seltener in Führungspositionen gelangen als Männer, ist das eine Problem. Das andere ist, dass weibliche Führungskräfte stets mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Stereotype Vorstellungen von der typischen Frau und der typischen Führungskraft überlappen nämlich häufig nicht. Wie kann eine Gratwanderung gelingen?

Im Jahr 2023 wurden 28,7% der Führungspositionen in Deutschland mit Frauen besetzt (Destatis, 2023). Dies ist ein Fortschritt, jedoch noch deutlich von Parität entfernt. Überdies ist die geringe Repräsentanz weiblicher Führungskräfte nicht das einzige Problem: Studien und Umfragen zeigen, dass Frauen in Leitungsrollen aufgrund ihres Geschlechts andere Erfahrungen sammeln als ihre männlichen Kollegen und somit, selbst wenn sie es in eine Führungsposition geschafft haben, mit spezifischen Nachteilen zu kämpfen haben. Welche Erfahrungen sind dies konkret und wie können Frauen mit ihnen umgehen?

Erfahrungen weiblicher Führungskräfte

Laut einer Datenerhebung von 1,7 Millionen Mitarbeitenden aus Unternehmen auf der ganzen Welt (Culture Amp, 2024; vgl. Abb. 1) empfinden weibliche Führungskräfte Chancengleichheit seltener als gegeben als männliche Führungskräfte, sie fühlen sich ihrem Unternehmen weniger zugehörig und sehen sich weniger für ihre Arbeit respektiert. Außerdem haben Top-Managerinnen weniger als ihre männlichen Kollegen den Eindruck, dass ihre Meinung von anderen geschätzt wird.

Zwei Balkendiagramme von Culture Amp zu Erfahrungen weiblicher Führungskräfte

Abb. 1: Erfahrungen weiblicher Führungskräfte (Grafik: https://www.cultureamp.com/)

Interessanterweise ähneln die Einschätzungen weiblicher Führungskräfte mehr jenen weiblicher Angestellter als jenen männlicher Führungskräfte. Daraus lässt sich zwar schlussfolgern, dass weibliche CEOs mehr Empathie für Employee Experience aufbringen können; andererseits führt der geringere Respekt gegenüber ihrer Führungsautorität tendenziell zu Nachteilen für ihre Arbeit. Diesbezüglich sollen im Folgenden weitere Hürden für weibliche Führungskräfte Erwähnung finden.

Hürden für Frauen auf der Karriereleiter

Die populäre Metapher der gläsernen Decke wurde im Nachhinein erweitert, u. a. durch das Leadership-Labyrinth von Eagly et al. (2007). Das Bild eines Labyrinths soll illustrieren, dass eine Führungskarriere durch zahllose Herausforderungen auf teils verworrenen Wegen geprägt ist und somit nicht nur eine gläserne Decke von Frauen zu umschiffen ist, sondern viele unterschiedliche Hürden. Dazu gehören insbesondere:

1. Traditionelle Aufgabenteilung

Trotz ihres wachsenden Anteils an der Erwerbsarbeit erledigen Frauen nach wie vor meist die Mehrheit der im Haushalt anfallenden Aufgaben (Hoyt & Simon, 2024). Auf ihre Lohnarbeitsschicht folgt demnach daheim oft noch eine Schicht unbezahlter Haus- und Care-Arbeit (Milkie et al., 2009), was die Karriere erschwert.

2. Gesellschaftliche Erwartungen

Menschen haben gewisse Vorstellungen davon, welche Eigenschaften eine typische Führungskraft ausmachen, und bewerten Führungspersonen oder solche, die es werden wollen, entsprechend (Hoyt & Simon, 2024). Viele implizite Stereotype zu Leadership-Qualitäten spiegeln dabei typisch männliche Merkmale wider (Koenig et al., 2011). Im Umkehrschluss werden aufstrebende Frauen früher oder später mit dem Vorurteil konfrontiert, weniger leisten zu können als ein Mann in ihrer Position (Steele et al., 2002). Für Frauen kann diese Unterlegenheitserwartung belastbar sein, da ihnen bewusst ist, dass ihr Umfeld Fehler gewissermaßen erwartet (ebd.).

Vor einer schier unlösbaren Aufgabe stehen Frauen angesichts dieser inkongruenten Erwartungen: Als Frau sollen sie warm, einfühlsam, zurückhaltend und emotional sein, wohingegen von ihnen als Führungskraft stereotyp männliche Eigenschaften (rational, objektiv, durchsetzungsstark) erwartet werden. Diese Gratwanderung zwischen geschlechts- und führungsrollenbezogenen Erwartungen beschreibt Eaglys und Karaus (2002) Rollen-Kongruenz-Theorie zu Vorurteilen gegenüber weiblichen Führungskräften.

Vorurteile – Gift für Performanz und Wohlbefinden

Tatsächlich erbringen Frauen in Führungsaufgaben eine geringere Performanz, wenn sie wahrnehmen, dass von ihnen aufgrund ihres Geschlechts eine schlechtere Leistung erwartet wird (Bergeron et al., 2006; Hoyt & Blascovich, 2010). Darüber hinaus können ihr Zugehörigkeitsgefühl, Selbstbewusstsein und ihre Motivation sinken (Davies et al., 2002).

Die Statistik von Culture Amp, nach der weibliche Top-Führungskräfte sich weniger zugehörig, respektiert und in ihrem Können wertgeschätzt fühlen, stützt die vorgenannten Studien. Eine Studie von ResumeLab (Turczynski, 2021) ergänzt das Bild durch Einstellungen von Frauen und Männern zu männlichen und weiblichen Führungskräften: Demnach präferieren Frauen (48%) eine weibliche Führungskraft mehr als Männer (28%), empfinden es als positiver, wenn ihr Unternehmen von einer Frau geführt wird (72% vs. 53 %), und bringen mit 42% (bei den Männern nur 17%) weiblichen Managern mehr Vertrauen entgegen als männlichen. Das Gefühl weiblicher Führungskräfte, abgelehnt und negativer bewertet zu werden, scheint folglich insbesondere auf viele männliche Beschäftigte zuzutreffen.

Auf der anderen Seite offenbart Turczynsk (2021) eine hohe Zufriedenheit des Personals mit weiblichen Führungskräften. Explizit gefragt, ob sie lieber einen Mann oder eine Frau als Vorgesetzte:n hätten, sprechen sich 38% für eine Chefin und 35% für einen Chef aus. Diese Zahlen könnte man so interpretieren, dass die negative Wahrnehmung weiblicher Führungskräfte eher auf impliziten Vorurteilen beruht, wohingegen für die explizite Akzeptanz von Vorgesetzten das Geschlecht zunehmend weniger Gewicht hat.

Dem Gender Bias entgegenwirken

Trotz der augenscheinlich zunehmenden Akzeptanz für Frauen in Leitungspositionen wird an den Befunden deutlich, dass Frauen einen Umgang mit den widersprüchlichen Erwartungshaltungen an sie finden müssen, um als Führungskraft erfolgreich zu sein. Chikwe et al. (2024) sind nach einer Meta-Analyse zu dem Schluss gekommen, dass Frauen gemäß einem „androgynen Führungsstil“ ihre Stärken mit der Selbstsicherheit und Durchsetzungsfähigkeit, die eher Männern zugeschrieben wird, koppeln sollten. Dies betrifft insbesondere folgende oft als feminin eingestufte Aspekte:

  1. Authentizität ist essentiell, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit im Team aufzubauen. Indem Frauen Kompetenz ausstrahlen, selbstbewusst ihre Stärken einsetzen und ihren Werten und Überzeugungen treu bleiben, können sie sich auf eine authentische Weise über Führungs- und Geschlechterklischees hinwegsetzen.
  2. Netzwerke sind für Chancengleichheit und das erfolgreiche Meistern von Herausforderungen ein Schlüssel: Networking-Events und Mentoring-Programme sind sinnvolle Investitionen, denn Verbündete und Mentor:innen bieten Rat, Orientierung, Perspektiven und Austausch und tragen so dazu bei, dass Frauen ihre Karriereziele erreichen.
  3. Eine effektive Kommunikation ist das A und O, um Stereotypen wirkungsvoll zu begegnen. Wenn weibliche Führungskräfte klar und selbstbewusst kommunizieren, eine Kultur des offenen Dialogs pflegen, aktiv zuhören und inklusive Kommunikationstechniken anwenden, stärken sie ihre Position und zugleich die Offenheit im  Unternehmen, einander nicht nach dem Geschlecht zu beurteilen.
  4. Emotionale Intelligenz ist in zwischenmenschlichen Prozessen immer hilfreich, da man durch sie die eigene und die Wahrnehmung anderer besser versteht. Auch Vorurteilen können emotional intelligente Führungskräfte besser begegnen, weshalb das Einüben von Techniken der Selbstregulation, Selbstwahrnehmung und Empathie für weibliche Führungskräfte sinnvoll ist.
  5. Respekt und Diversität sollten Kern der Organisationskultur werden. Sind Frauen an der Spitze eines Unternehmens angelangt, können sie gezielt Einfluss nehmen auf deren Kultur: Indem sie einen respektvollen Umgang in der Belegschaft pflegen, Diversität als Qualitätsmerkmal fördern und per Coaching traditionelle Rollenbilder hinterfragen lassen, ebnen sie einer zunehmenden Chancengleichheit den Weg.

Obwohl Frauen sehr gute Führungskräfte sein können, stoßen sie im Leadership-Labyrinth auf zahlreiche Hürden. Damit sich implizite Vorurteile, die das Denken vieler Menschen immer noch prägen, nicht negativ auf die Erfahrungen von Frauen in der Leitungsebene auswirken, können Frauen selbst aktiv werden, sich Verbündete suchen und das Problem an der Wurzel bekämpfen durch die Etablierung einer anderen Unternehmenskultur und eine bewusste Selbstwahrnehmung.

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