Wer viel gibt, verliert? – Ausnutzung am Arbeitsplatz verhindern
Großzügig, hilfsbereit sowie einverstanden, auch mal eine Extraschicht zu übernehmen – das wünschen sich Unternehmen von Mitarbeitenden. Doch ist es für Angestellte sinnvoll, sich beim Job so zu präsentieren? Eher nicht, denn laut einer Studie werden großzügige Mitarbeitende häufig von Manager:innen ausgenutzt. Woran liegt das und wie können Sie gegensteuern?
Großzügigkeit gilt gemeinhin als positive, wertzuschätzende Eigenschaft, wohingegen Egoismus eher verurteilt wird (Stanley et al., 2023). Auch Unternehmen wünschen sich Mitarbeitende, die engagiert und selbstlos zupacken. Allerdings lässt jüngere Forschung Zweifel daran aufkommen, dass diese rein positive Sichtweise auf Großzügigkeit am Arbeitsplatz der Realität gerecht wird.
Was bedeutet Großzügigkeit?
Die Forschung tut sich schwer damit, Großzügigkeit (engl. generosity) eindeutig zu definieren, doch bei Collett und Morrissey (2007) findet sich eine griffige Definition: Sie beschreiben Großzügigkeit als „die Disposition, für andere freiwillig Zeit, Fähigkeiten oder Reichtümer aufzuwenden“, was „eine einzigartige Variante prosozialen Verhaltens“ sei.
Großzügigkeit macht glücklich
In der Tat lässt ein erster Blick in die Forschungsliteratur zunächst die Vorteile, die großzügige Menschen durch ihr Verhalten haben, in den Vordergrund treten: So lässt sich kulturübergreifend meistens ein positiver Zusammenhang von Großzügigkeit mit Lebenszufriedenheit finden (Aknin & Whillans, 2021; Curry et al., 2018). Wer also für andere Menschen Zeit oder Geld aufwendet, ist im Durchschnitt glücklicher. Des Weiteren stiegen in einer Studie die Effizienz, Produktivität und Kundenzufriedenheit in Unternehmen, wenn dort freigiebige Menschen eingestellt wurden (Podsakoff et al., 2009). Nicht zuletzt können auch die intrinsische Motivation und Arbeitszufriedenheit in der Belegschaft zunehmen, wenn Organisationen eine Kultur der Großzügigkeit am Arbeitsplatz pflegen (Grant & Shandell, 2022). So weit, so gut, doch zahlt sich großzügiges Verhalten für die Arbeitnehmer:innen wirklich aus?
Studie zeigt: Großzügige Mitarbeitende werden ausgenutzt
In insgesamt fünf Experimenten haben Stanley et al. (2023) herausgefunden, dass Führungskräfte dazu neigen, Beschäftigte, die für ihre Großzügigkeit bekannt sind, auszunutzen: Sie forderten die entsprechenden Mitarbeitenden eher dazu auf,
- an einem Urlaubstag ohne Belohnung zu arbeiten,
- schwierige Aufgaben jenseits des eigentlichen Verantwortungsfeldes zu übernehmen
- sowie am Abend oder vor Arbeitsbeginn unbezahlte Extrastunden zu erbringen.
Dies ergaben mehrere Befragungen von je nach Experiment 100 bis 848 Manager:innen. Die Antworten der befragten Führungskräfte offenbarten zudem, dass diese sich mehrheitlich (bis zu 92,6 %) dessen bewusst waren, dass ihre Forderungen ausbeutend waren. Trotzdem stellten sie diese Forderungen häufiger an Mitarbeitende, die sie als großzügiger einschätzten. Dieses Muster zeigte sich auch, wenn Führungskräfte nicht hinsichtlich ihrer eigenen Angestellten, sondern in hypothetischen Rollenspielen entscheiden mussten, wem sie die Mehrarbeit aufhalsten.
Moral schafft Abhilfe
Interessanterweise glaubten die befragten Manager:innen, dass großzügige Mitarbeitende die Extraaufgaben freiwillig übernähmen, und forderten sie daher wahrscheinlicher dazu auf. Allerdings waren sie auch der Meinung, dass es ausnutzend sei, speziell großzügige Mitarbeitende zu der genannten Mehrarbeit aufzufordern. Passend dazu nahm die gezielte Ausnutzung von großzügigen Mitarbeitenden ab, wenn Manager:innen ihre moralische Verantwortung bewusst gemacht wurde.
Warum Unternehmen Ausbeutung von Großzügigen verhindern sollten
Da Großzügigkeit für Unternehmen sehr vorteilhaft ist, sollte ihnen daran gelegen sein, diese Eigenschaft in der Belegschaft zu stärken. Dies gelingt jedoch nicht, wenn Mitarbeitende feststellen müssen, dass sie zum Dank für ihre Großzügigkeit ausgebeutet werden. Stanley et al. (2023) vermuten, dass die betreffenden Arbeitnehmer:innen irgendwann die Konsequenzen daraus ziehen und sich weniger großzügig verhalten, denn Großzügigkeit und Eigennutz seien keine festen Dispositionen, sondern je nach Kontext und Konstellation veränderbar. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die ausgenutzten Angestellten weniger Engagement und Commitment bei der Arbeit zeigen, schneller an Burnout erkranken, kündigen oder das Bedürfnis verspüren, sich für die Ausbeutung zu revanchieren (Livne-Ofer et al., 2019)
Wie stärken Sie Großzügigkeit im Unternehmen?
Es spricht somit viel dafür, die Ausnutzung von Großzügigkeit zu unterbinden und großzügige Mitarbeitende gezielt zu ermutigen und zu schützen, um auch langfristig von deren positivem Verhalten zu profitieren. Wie Sie Großzügigkeit als integralen Bestandteil Ihrer Unternehmenskultur etablieren können, ist noch nicht abschließend untersucht. Aus Studien, die sich generell mit Arbeitsengagement befassen, lassen sich jedoch einige grundlegende Handlungsempfehlungen ableiten:
- Arbeitszufriedenheit: Es ist erwiesen, dass Arbeitnehmende, die mit ihrer Arbeit, ihren Vorgesetzten und ihrer Organisation zufrieden sind, in der Regel eher dazu bereit sind, über ihre Jobbeschreibung hinausgehendes Engagement zu zeigen (Chen & Chiu, 2008; Djoemadi et al., 2019). Wenn Sie also die Zufriedenheit Ihrer Angestellten sicherstellen, begünstigen Sie zugleich, dass diese sich tatkräftig und hilfsbereit am Arbeitsplatz einbringen. Arbeitszufriedenheit meint, dass die Arbeit den materiellen und psychologischen Bedürfnissen der Beschäftigten entspricht (Aziri, 2011) und somit hinsichtlich des Workloads, Stresspegels, der Arbeitszeiten, der Beziehungen im Team und der Aufstiegschancen als angemessen erlebt wird (Djoemadi et al., 2019).
- Vertrauen und wahrgenommene Gerechtigkeit: Empfinden Mitarbeitende ihrem Unternehmen gegenüber Misstrauen oder meinen ungerecht behandelt zu werden, könnten sie dazu neigen, sich durch geringeres Arbeitsengagement zu revanchieren. Andersherum engagieren sich Menschen mehr für ihr Unternehmen, wenn sie die Abläufe in der Organisation als gerecht erleben (Cropanzano et al., 2007). Zu einer gerechten Arbeitsumgebung gehört mitunter, dass Bewertungskriterien klar und transparent kommuniziert werden, die Entlohnung fair und angemessen erfolgt sowie Personalentscheidungen unvoreingenommen getroffen werden (ebd.).
- Kollektivistische Wertvorstellungen: Menschen mit kollektivistischen Werten sind hilfsbereiter und zeigen auch am Arbeitsplatz mehr Bereitschaft, Aufgaben jenseits ihres Verantwortungsbereichs zu erledigen (De León & Finkelstein, 2011). Daraus lässt sich die Vermutung formulieren, dass Unternehmen, die Zusammenhalt und Solidarität als Werte stärker als individualistische Werte wie Konkurrenz oder Eigennutz hervorheben, Mitarbeitende eher dazu animieren, sich am Arbeitsplatz großzügig zu verhalten (Gur, 2022).
Fazit
Wer gibt, sollte nicht ausgenutzt werden. Dies geschieht, wie die Studie von Stanley et al. (2023) verdeutlicht, aber offenbar nicht so selten und das, obwohl Manager:innen in der Theorie klar ist, dass dies kein fairer Umgang ist. Hinterfragen Sie daher, welche Mitarbeitende Sie um welchen Gefallen bitten, und prüfen Sie, an welchen Stellen Sie über Unternehmenswerte, Gerechtigkeit und angenehme Arbeitsbedingungen das Engagement Ihrer Mitarbeitenden fördern können.