Das ganze Bild sehen: Nicht-berufliche Burnout-Ursachen
„Burnout“ als scheinbar rein berufsbedingte Erschöpfungsdepression ist in aller Munde. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit dieser Erkrankung. In der Regel steckt mehr dahinter und nur, wenn man dies erkennt, ist eine langfristige Genesung möglich.
Das Burnout-Syndrom verkauft sich gut und auf den ersten Blick gibt es nur Gewinner: Beruflich erfolgreiche Menschen trauen sich mit diesem Label in eine sinnvolle Behandlung. Ärzt:innen und Therapeut:innen haben Bezeichnungen für psychische Probleme, bei deren Nennung die Patient:innen nicht gleich das Weite suchen.
Doch hinter dem Begriff Burnout-Syndrom steckt ein Modell, eine Veranschaulichung eines Sachverhaltes auf Kosten der Details. Im Idealfall ist es eine Brücke, die einen Einstieg in eine fundierte Behandlung ermöglicht, denn in jeder guten Behandlung sollten auch die übrigen Seiten des Problems aufgedeckt und bearbeitet werden: Welche Persönlichkeitseigenschaften haben dazu beigetragen? Wieso wurden die belastenden Arbeitsumstände toleriert? Wieso fehlten Ausgleichsmöglichkeiten in anderen Bereichen, oder trug die Freizeit vielleicht sogar zur Überforderung bei? So manche:r erschuf selbst die Tretmühle, die ihn bzw. sie schließlich knechtete.
Was ist das Burnout-Syndrom?
Der Begriff des Burnouts wurde 1974 durch den Psychologen Herbert Freudenberger geprägt und beschrieb eine Erschöpfungssymptomatik im Zusammenhang mit beruflicher Belastung bei Personen in helfenden Berufen. Es folgten über die Jahrzehnte verschiedene Ausweitungen auf weitere Berufsgruppen und schließlich auch auf den privaten Bereich (z. B. Eltern). Aktuell gibt es sehr unterschiedliche Auslegungen des Begriffes (Kaschka, 2011). Manche verwenden „Burnout“ als Synonym für Erschöpfungsdepressionen, andere betrachten es als einen noch nicht krankhaften Stresszustand, der psychische oder körperliche Erkrankungen auslösen kann. Andere sprechen von „Burnout“ nur im Kontext von beruflich bedingten Erschöpfungszuständen. Insbesondere die letzte Auslegung macht das Burnout-Syndrom zu einem Thema des beruflichen Gesundheitsmanagements.
Persönliche Eigenschaften, die das Burnout-Risiko erhöhten
Die Stressbelastung einer Situation hängt maßgeblich von der Interpretation des Individuums ab. So verwundert es wenig, dass verschiedene Charaktereigenschaften bei entsprechender Ausprägung zu einer erhöhten Anfälligkeit führen (Curren, 2019; Oakley, 2013; Stinsen, 2008):
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Perfektionismus: Personen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben, setzen sich damit immer wieder unter Druck. Sie haben oft Schwierigkeiten Aufgaben zu delegieren oder kleine Fehler zu tolerieren, was zu erhöhter Arbeits- und Stressbelastung führt.
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Ehrgeiz: Sehr ehrgeizige Menschen setzen sich überhöhte Ziele und arbeiten unermüdlich daran, diese zu erreichen. Dies führt zu einer ständigen Belastung, insbesondere beim Ausbleiben des erwünschten Erfolgs.
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Hilfsbereitschaft: Personen, die ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, um anderen zu helfen, können leicht überfordert werden. Sie sagen selten "Nein" und nehmen oft mehr Arbeit an, als sie bewältigen können.
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Mangelndes Selbstwertgefühl: Personen mit geringem Selbstwertgefühl neigen dazu, sich selbst ständig zu hinterfragen und sich übermäßig zu beweisen. Auch neutrale Aussagen werden von Kolleg:innen als mögliche Kritik aufgefasst.
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Pflichtbewusstsein: Übermäßig gewissenhafte Menschen arbeiten trotz Erschöpfung und Überlastung weiter. Sie fühlen sich verpflichtet ihre Aufgaben zu erfüllen, selbst wenn sie bereits an ihren Grenzen sind.
Studien zeigen zudem deutliche Zusammenhänge zwischen der Ausprägung der sogenannten Big-5-Persönlichkeitseigenschaften, einem führenden Modell zur Darstellung und Messung von Persönlichkeitsmustern, und dem Burnout-Risiko (Angelini, 2023). So sind höhere Werte in den Bereichen Extraversion (gesellig, durchsetzungsfähig), Gewissenhaftigkeit (verlässlich, zielstrebig), Verträglichkeit (freundlich, kooperativ) und Offenheit (veränderungsbereit, kreativ) eher schützend. Höhere Werte in Neurotizismus (emotionsgeleitet, ängstlich) hingegen erhöhen das Burnout-Risiko. Werden risikobehaftete Persönlichkeitsmuster erkannt, können gezielt Präventionsmaßnahmen ergriffen werden, z. B. in Form von Coaching oder Seminaren. Ein Einstieg in das Thema kann das Modell der „inneren Antreiber“ aus der Transaktionsanalyse sein (Kälin, 2000). Zudem können Persönlichkeitstests (z. B. B5T®; Satow, 2021) bei der Einstellung in Schlüsselpositionen dabei helfen, widerstandsfähige (resiliente) Bewerber:innen auszuwählen.
„Work-Life-Unbalance“
Ein fehlendes Gleichgewicht von Arbeit und Freizeit wird häufig als Risiko für eine Stressüberlastung benannt. Dabei reduzierten sich die gewöhnlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten in den letzten 30 Jahren um ca. 7% bei Männern und 11% bei Frauen (Pfahl, 2023), trotzdem stiegen Arbeitsausfälle wegen Überlastung immer weiter an (IFGB, 2023). Hierfür gibt es in der öffentlichen Diskussion verschiedene Erklärungen:
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Die Arbeit ist belastender als früher
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Die ständige Erreichbarkeit verwischt die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit
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Die Freizeit ist weniger erholsam oder belastender als früher
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Die jüngeren Generationen sind weniger belastbar.
Jede der Thesen mag ihren Teil zur Wahrheit beitragen, häufig stehen jedoch die nichtberuflichen Faktoren im Hintergrund.
Unterschätzte Freizeitbelastung
Obwohl in vielen Studien zur Stressbelastung Beruf und Schule an der Spitze stehen, überwiegen in Summe die verschiedenen privaten Stressoren: Schwere Erkrankungen im Umfeld; Konflikte (Partner:innen, Familie, Freund:innen); zu viele Termine und Verpflichtungen in der Freizeit; ständige private Erreichbarkeit über Handy und Social Media; Kinderbetreuung; Haushalt; Teilnahme am Straßenverkehr; etc.
Besonders die Medienbelastung ist zunehmend in den Fokus getreten: Wir sind einer nie dagewesenen Informations-/Reizflut ausgesetzt. Viele berichten von Schwierigkeiten, ohne mediale Ablenkung zu entspannen, und setzten sich dabei zusätzlichem Stress aus. Viele konsumieren negative Informationen regelrecht, im Englischen wurde hierfür der Begriff des „Doomscrolling“ geprägt, für das Surfen im Internet durch negative Nachrichten.
Aber auch soziale Medien generieren ständigen sozialen Stress. Wir vergleichen uns und hoffen auf Anerkennung von anderen und das rund um die Uhr. Teile der früheren Privatsphäre werden hierdurch öffentlich. Auch Mobbing hat mit den sozialen Medien undenkbare Ausmaße angenommen.
Die Reduktion der Arbeitszeiten führt nicht zwingend zur Entlastung, denn auch unser moderner Lebensstil bringt viele Belastungen mit sich. Gesundheitskurse zu Themen wie „Digital-Detox“ oder auch Achtsamkeit können hierfür sensibilisieren. Wer das Gefühl hat, selbst betroffen zu sein, sollte einmal die eigenen Medienzeiten erfassen und sich dann fragen, ob diese angemessen sind. Ggf. helfen Vereinbarungen mit sich selbst, z. B. maximal 30 Minuten am Abend mit Instagram zu verbringen.
Homeoffice – die perfekte Symbiose aus Arbeits- und Privatleben?
Homeoffice ist mittlerweile ein Wettbewerbsfaktor beim Kampf um die Talente. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen (u. a. vom DGB 2022) zu dem Thema viele Risiken auf. Neben dem Wegfall von stabilisierenden beruflichen Sozialkontakten verlieren sich oft die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben: Arbeit am frühen Morgen oder bis in die Nacht und das Gefühl, ständig beruflich und privat ansprechbar sein zu müssen. Manchmal täte Abstand von der Familie gut, die nun auch während der Arbeitszeit Aufmerksamkeit fordert. Vielen fällt hier die Abgrenzung schwer und manche stoßen sogar auf Unverständnis, wenn sie freiwillig an den Arbeitsplatz wollen.
Homeoffice kann sowohl die berufliche als auch private Stressbelastung erhöhen. Klare Regeln zur Ausgestaltung (Arbeitszeiten, Pausen, Pflichtzeiten im Büro…) und Kurse zum richtigen Umgang mit Homeoffice können helfen.
Risiken des „Burn-Out-Modells“
Wie dargestellt können die Ursachen einer „Überstressung“ vielfältig sein, dennoch „verliebt“ sich so manche Patient:In in das Modell Burnout, z. B. mit der Deutung: „Ich bin nur krank, weil ich so hart gearbeitet habe!“ oder: „Ich bin ein Opfer meiner ausbeutenden Vorgesetzten“. Dies hindert einen daran, auch auf die eigenen Anteile zu blicken und an diesen zu arbeiten. Hier ist es die Aufgabe guter Therapeut:innen, den Blick der Betroffenen für andere Ursachen zu öffnen und diese zu bearbeiten. Nur so ist eine langfristige Genesung mit voller Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit möglich.