Wie sich KI und menschliche Intuition im Personalbereich ergänzen

Künstliche Intelligenz wird auch im Personalbereich mehr und mehr Thema. Weswegen sie menschliche Intuition dennoch nicht obsolet machen wird und beide sich sogar ergänzen können, erläutert Andreas Moring, Professor für KI und Nachhaltigkeit an der International School of Management ISM in Hamburg.  

Künstliche Intelligenz und menschliche Intuition sind keine Gegensätze. Vielmehr ergänzen sich beide. Denn wo wir Menschen eher schlecht „performen“, hat KI ihre Stärken. Und wo KI versagt oder falsche Ergebnisse bringt, sind Menschen mit ihrer Erfahrung und Intuition am besten. Und deswegen auch nicht ersetzbar. Das ist besonders wichtig für eine nachhaltige Personalstrategie und das HR-Management.  

KI und Intuition ergänzen sich gegenseitig 

Artificial Intelligence (KI) und Archaische Intelligenz – also Erfahrungswissen und Intuition – funktionieren nicht nur erstaunlich ähnlich; sie ergänzen sich auch bestens. Sofern die Aufgabenteilung zwischen der einen AI und der anderen AI stimmt. Um diese festzulegen, sollten wir uns die Domänen von beiden bewusst machen. Also die Aufgaben und Leistungsbereiche, in denen Künstliche Intelligenz und menschliche Intuition besonders gut funktionieren und deswegen die eine AI auch nicht durch die andere AI ersetzt werden kann. 

Künstliche Intelligenz ist spezialisiert auf das selbstständige Lernen und Erkennen von Mustern und Korrelationen in großen Datenmengen. Sie kann damit Erkenntnisse fördern, die Menschen so nicht oder nur mit extrem hohem Aufwand hätten erreichen können. KI ist immer dann besonders gut, wenn es klar definierte Fragen und Anwendungsfälle in stabilen Umfeldern gibt. KI-Systeme neigen aber auch zu Überoptimierungen und Overfitting. Das bedeutet, dass ihre Ergebnisse und Empfehlungen zwar rechnerisch und statistisch absolut richtig sind – doch leider im gegebenen Kontext keinen Sinn ergeben. 

Spätestens hier kommt es dann auf das vernetzte Denken und das Kontextverständnis von Menschen an. Das ist von besonderer Relevanz bei Personalentscheidungen. Datenbasiert, statistisch, rechnerisch kann ein Kandidat oder eine Kandidatin die „optimale“ Lösung sein – doch in der menschlichen Begegnung und mit der Kompetenz zu Empathie, systemischem Verstehen und Intuition kann dann völlig klar sein: „Das passt nicht.“ Oder andersherum. 

Optimal muss nicht gleich nachhaltig sein 

Neuronale Netze basieren auf dem Versuch, das menschliche Hirn oder bestimmte Funktionen davon nachzubilden. Das gelingt in vielen Bereichen auch gut, in manchen sogar besser, als beim natürlichen Original. Immer dort nämlich, wo neuronale Netze auf eine bestimmte Optimierungsaufgabe mit sehr vielen Daten trainiert worden sind. Genau so funktioniert im Prinzip auch die menschliche Intuition, also auch die Ihre. Erlebnisse, Situationen und Zustände werden mit angelegten Mustern verglichen und zugeordnet. Aus diesen Zuordnungen resultieren Voraussagen, was Sie am besten tun oder wie Sie sich verhalten sollten. 

Ebenso machen KI-Systeme Voraussagen basierend auf erkannten Mustern. Bei KI-Systemen orientieren sich diese Voraussagen stets an rechnerischen Optimalzuständen, die erreicht werden sollen. Bei den Voraussagen der menschlichen Intuition stehen jedoch nicht rechnerische Optimalzustände im Vordergrund, sondern eine einfache und resiliente Lösung für das aktuelle Problem, basierend auf den individuellen Erfahrungen der Person. Intuitive Lösungen sind nicht statistisch und mathematisch optimal oder vollkommen, sondern sie sind einfach, robust und resilient – und damit nachhaltig. Auch das sind Kriterien, die besonders bei langfristig wirkenden Personalentscheidungen – aber nicht nur da – enorm wichtig sind. Diese entscheidenden Fertigkeiten und Fähigkeiten fehlen KI-Systemen. Darum müssen solche Aufgaben und Entscheidungen von Menschen geleistet werden. Dafür muss der Mensch diese Kompetenzen aber bewusst einsetzen und trainieren. Hier gibt es wiederum eine prinzipielle Gemeinsamkeit mit Künstlicher Intelligenz. Denn ein neuronales Netz beispielsweise braucht auch Training. 

Doch es gibt auch einen Unterschied: Ein KI-Modell ist auf eine Aufgabe ausgelegt und wird mit der Menge der Informationen immer besser. Menschen dagegen sind mit einer zunehmenden Informationsflut überfordert. Dafür ist unsere Erkenntnisleistung aber nicht auf eine Aufgabe beschränkt, sondern wir lernen flexibel und agil. Unser Gehirn verändert sich mit dem, was wir denken und dem was wir erleben; ein neuronales Netz kann sich nicht strukturell anpassen und sich verändern. KI hat keine Plastizität wie das menschliche Hirn. 

Dasselbe Prinzip – unterschiedliche Stärken 

Weitere Unterschiede gibt es auch im Zusammenhang mit Kreativität. Künstliche Intelligenz funktioniert nach der Theorie der Rationalität: Abwägen von Alternativen, Wahrscheinlichkeiten und Nutzen. Menschen entscheiden unter Unsicherheit weitgehend anders als Künstliche Intelligenz. Wir entscheiden selektiv und wir entscheiden intuitiv. Doch im Grunde nutzen wir auch hier dasselbe Prinzip. Nur nicht durch numerische Berechnung, sondern durch gesammelte Erfahrung auf Basis von Emotionen. Kreativität und Innovation gehen deshalb nur über Intuition. 

Der größte Teil der menschlichen Intelligenz ist unbewusst und nicht in Sprache gefasst – also „archaisch“. Kreative Ideen entstehen, wenn wir nicht bewusst darüber nachdenken. Kreativität und innovatives Verstehen entstehen durch andere Perspektiven und ungewohnte Umfelder. Das kann KI nicht leisten. Denn ein KI-Modell kann nicht unterschiedliche Perspektiven zu einer Sache oder Situation einnehmen, schon gar nicht aus eigenem Antrieb oder gar eigenem „Willen“. Weil Künstliche Intelligenz keinen Willen hat. 

Künstliche Intelligenz kann sich auch nicht durch unterschiedliche oder ungewohnte Umfelder beeinflussen oder inspirieren lassen. Denn dafür fehlt KI-Systemen die menschliche oder biologische Körperlichkeit und damit die vielschichtige Wahrnehmung der Umwelt, die Menschen zum allergrößten Teil unbewusst wahrnehmen und verarbeiten und sich dadurch inspirieren lassen können. Auch an diesem Punkt wird die besondere Bedeutung für das HR-Management mehr als deutlich. Hier nicht so sehr für die Personalauswahl, sondern mehr für die Führung und Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 

Wann vertrauen wir KI, wann vertrauen wir Intuition? 

Bei all den beschriebenen Gemeinsamkeiten und Unterschieden von KI und Intuition im Management wird eine Erkenntnis deutlich: Mensch und Maschine sollten in ihren ganz eigenen „Domänen“ trainieren. Künstliche Intelligenz in der Domäne „Optimierung und Automatisierung“. Menschen in der Domäne „Flexibilität und ganzheitliches Denken“. 

Bei welchen Entscheidungen sollten wir auf Künstliche Intelligenz vertrauen und wann auf menschliche Intuition? Die folgenden Kriterien dienen zur Entscheidungsfindung, ob AI für Artificial Intelligence oder Archaic Intelligence steht: 

Tabelle

Kriterien zur Entscheidungsfindung, ob KI oder menschliche Intuition oder beides zur Bewältigung einer Aufgabe gewählt werden sollten (Tabelle: Andreas Moring)

Wie Sie Ihre Intuition stärken können 

Intuition ist gerade im Zeitalter der digitalen KI eine wichtige Kompetenz. Weil sie genau da gut ist, wo KI an ihre Grenzen kommt. Kompetenzen können und sollen wir trainieren. Wenn Sie bei Entscheidungen den Eindruck haben, dass etwas nicht zusammenpasst, nicht stimmig ist, dann gehen Sie dem nach. Haben Sie eine Grundüberzeugung zu einem Thema, die zwar leise ist, aber nicht verschwinden will, dann gehen Sie dem ebenfalls nach. 

Schaffen Sie sich Zeiten der Ruhe, so dass Sie Gedanken wahrnehmen können, die sich erst einstellen, wenn die hektischen Alltagsgedanken verflogen sind – denn so wie diese „tieferen“ Gedanken zeigt sich auch Ihre Intuition. Suchen Sie bewusst Situationen, in denen Sie Ihre körperliche Wahrnehmung einsetzen müssen, zum Beispiel in der Natur – denn unser intuitives Wissen macht sich körperlich bemerkbar (das sog. „Bauchgefühl“). Je besser Sie Ihre körperliche Wahrnehmung kennen, umso besser können Sie Intuition von Angst und Hoffnung oder Wunschträumen unterscheiden. So, wie Sie eine Fremdsprache durch regelmäßiges Trainieren langsam lernen und meistern, so können Sie mit diesen Methoden mit der Zeit auch die Sprache Ihrer Intuition verstehen. 

Zum Weiterlesen: 

[Werbung] Moring, A. (2023). Künstliche Intelligenz und Intuition. Robuste und nachhaltige Entscheidungen in digitalen Arbeitswelten. Wiesbaden: Springer.

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