Wie Sie Fachkräfte gewinnen und binden

Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Personalberaterin Miriam Katzenberger widmen wir uns der Gewinnung und Bindung von Fachkräften. Ein Thema, das Unternehmen bereits seit geraumer Zeit beschäftigt und in Zukunft noch drängender werden wird.

Miriam, im ersten Teil unseres Gesprächs klang das Thema schon an: Beim Fachkräftemangel kann es eine Maßnahme sein, bereits junge Menschen durch eine Ausbildung ins Unternehmen zu holen oder Berufseinsteiger:innen eine Chance zu geben.

Genau, die Bindung an ein Unternehmen kann sehr früh beginnen. Denn wenn ein Unternehmen zu einem Zeitpunkt in mich investiert hat, an dem ich noch relativ wenig mitbringe, wie z. B. die Bereitschaft, eine Ausbildung zu machen, oder mein erstes Wissen aus der Uni in der Praxis einzusetzen – und wer studiert hat, weiß, dass das ein Moment ist, in dem wir auf der einen Seite ganz viel Theorie im Kopf haben und auf der anderen Seite das Gefühl, wir wüssten noch gar nichts –, dann kann das Loyalität und auch eine Langfristigkeit erzeugen. Vor allem wenn man ihnen dann noch Entwicklungsperspektiven innerhalb des Teams oder Unternehmens aufzeigt.

Jungen Menschen sind oft aber noch andere Themen wichtig, wie z. B. flexible Arbeitszeiten.  Wie sind hier deine Erfahrungen in der Mitarbeitergewinnung und -bindung?

Es ist heutzutage essenziell, eine gewisse Flexibilität zu zeigen, beispielsweise beim Thema Remote-Arbeit. Die Corona-Pandemie hat uns da einen großen Schub gegeben. Wobei ich beobachte, dass die Möglichkeit zur Remote-Arbeit inzwischen oft wieder zurückgenommen oder dramatisch eingeschränkt wurde. Das finde ich schwierig. Noch schwieriger wird es, wenn Ausnahmeregelungen für neue Mitarbeitende geschaffen werden, um sie zu gewinnen. Warum die Regelung dann nicht grundsätzlich im Unternehmen verankert werden kann, ist nur schwer vermittelbar. Es stellt schließlich eine Wertschätzung gegenüber den langjährigen Mitarbeitenden dar, wenn man bei den Arbeitsmodellen auch ihnen gegenüber flexibler ist.

Wir sehen als Personalberater:innen außerdem ein Riesenpotential, wenn man bedenkt wie oft Teilzeitarbeitende als Option ausgeschlagen werden.

Hier muss ich direkt an das Interview mit Nadine Quosdorf denken, die vor wenigen Monaten mit uns über die Schwierigkeiten gesprochen hat, als Mutter eines Kleinkindes eine verantwortungsvolle Position in Teilzeit zu finden.

An diesem Punkt stellen sich Unternehmen tatsächlich oft selbst ein Bein. Denn wenn man das ganze addiert, sind zwei halbe Stellen im Zweifel sogar mehr als eine Volle, weil man zwei Köpfe dafür bekommen hat. Hier fehlt es noch deutlich an Flexibilität seitens der Unternehmen. Genau wie bei den Arbeitszeiten, denn es gibt viele Jobs, bei denen es fast keine Rolle spielt, zu welcher Uhrzeit die Arbeit erledigt wird. Oder man legt fest, dass nur ein gewisser Teil der Arbeitszeit zu einer bestimmten Kernarbeitszeit durchgeführt werden muss, um z. B. die Abstimmung mit anderen sowie Meetings zu ermöglichen. Und den anderen Teil der Arbeitszeit können sich die Mitarbeitenden flexiblen einteilen.

Wenn man eine solche Flexibilität bereits anbietet, sollte man sie außerdem sehr bewusst und proaktiv propagieren. Denn sie ist ein großer Wettbewerbsvorteil und kann auch solche Themen wie den Vicious Cycle mit einfangen. Einmal in Richtung neuer Mitarbeitender, aber genauso natürlich gegenüber meiner bestehenden Belegschaft, um diese Menschen zu motivieren, auch weiterhin für das Unternehmen tätig sein zu wollen. Langjährige, loyale Mitarbeitende sollte man auf keinen Fall vergessen.

Wichtig ist natürlich, dass flexiblere Strukturen eine Umstrukturierung im ganzen Unternehmen brauchen. Dass lässt sich zum einen nicht kurzfristig umsetzen und zum anderen ist eine einzelne Führungskraft auch nicht in der Lage, das umzusetzen, weil es eben unternehmensübergreifend ist.

Was können Unternehmen und Führungskräfte bei der Gewinnung von Fachkräften noch beachten?

Neue Mitarbeitende sind immer ein Invest, den eine Firma trifft. Die Suche und Einarbeitung kosten Zeit und Geld. Damit dieser Invest nicht verpufft, weil die neue Person das Unternehmen vielleicht schon in der Probezeit oder nach 1-2 Jahren verlässt, sollte jede Firma unbedingt Zeit investieren, um festzustellen, ob man wirklich gut zusammenpasst.

Nicht nur bei jungen Menschen und Berufseinsteiger:innen, sondern natürlich auch bei erfahrenen Fachkräften sollte man sich genau ansehen, was man zu bieten hat. Auch sie möchten ein Umfeld, das transparent und ehrlich ist, und in der es eine Vision gibt, wo es hingehen soll. Das betrifft sowohl die Zukunftsvision des gesamten Unternehmens als auch wieder die Entwicklungsperspektive der einzelnen Person. Auch eine erfahrene Fachkraft möchte sich schließlich noch weiterentwickeln.

Wenn die Kapazitäten in einem Team oder Unternehmen fehlen, um ein gut begleitetes Onboarding durchzuführen, könnte man auch hier wieder überlegen – wie ich schon im ersten Teil unseres Gesprächs erläutert habe – externe Dienstleister hinzuzuziehen. Personalberater:innen können an dieser Stelle gute Partner sein. Viele sind auch als Coach:in ausgebildet, was hilfreich sein kann, wenn eine neue Mitarbeiterin z. B. auch in einer für sie neuen Rolle als Führungskraft entwickelt werden soll.

Gerade wenn man sich weiterentwickelt, indem man das Unternehmen wechselt, weiß man ja gar nicht, wie gut man dabei eigentlich begleitet wird. Da gibt es viel Sicherheit, wenn man auch einen externen Partner an der Hand hat, mit dessen Begleitung man sich weiterentwickeln kann. Und manchmal ist es auch hilfreich, mit jemandem sprechen zu können, der gar nicht im eigenen Unternehmen ist.

Wie siehst du die aktuelle Debatte um Frauen und Mütter als Ressource beim Fachkräftemangel?

Ich denke, dass wir da in Deutschland noch eine große Ressource haben. Doch auch hier müssen Unternehmen sich dafür öffnen, eine entsprechende Flexibilität bei den Arbeitsmodellen zu schaffen und dann sehr bewusst ins Personalmarketing zu gehen. Das betrifft auch wieder die Optionen zur Teilzeitarbeit, über die wir vorhin schon gesprochen haben.

Was die Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf angeht, kenne ich tatsächlich beides: Dass geeignete Maßnahmen bereits im Unternehmen stattfinden, aber man nicht gut darin ist, das nach außen zu tragen. Aber auch, dass entsprechende Strukturen noch nicht da sind und Unternehmen nicht gut darauf vorbereitet sind, dass Mütter und auch Väter – auch wenn sie nicht Inhalt deiner Frage waren – in der heutigen Zeit mehr Flexibilität wünschen und im Zweifel in Unternehmen wechseln, die diese Flexibilität bieten.

Poträtaufnahme von Miriam Katzenberger

Im Gespräch mit Miriam Katzenberger (Foto: Helen Nicolai BusinessPortraits)

Auch Fachkräfte aus dem Ausland werden diskutiert.

Unternehmen werden nicht darum herumkommen, auch in ausländische Fachkräfte zu investieren. Da muss man aber wirklich investieren. Und zwar einmal in ein sehr gezieltes und bewusstes Recruiting, gerade wenn man Menschen tatsächlich in ihren ursprünglichen Heimatländern abholen möchte und sie nicht schon in Deutschland arbeiten. Unternehmen müssen sich hier fragen, wie eine Abwerbung stattfinden kann und was sie wirklich bieten können. Und da reicht es in der heutigen Zeit nicht mehr zu sagen „Standort Deutschland“, sondern es braucht ein bisschen mehr. Denn ohne jetzt in die Tiefe gehen zu wollen, ist es doch so, dass wir da mittlerweile nicht mehr den besten Ruf haben.

Es ist immer hart, den Job zu wechseln, das ist eine unsichere Zeit. Für jemanden, der auch noch ein Land wechselt, ist es eine noch größere Herausforderung. Hier müssen die Menschen eng begleitet und unterstützt werden. In Berlin mag das nicht so ein Thema sein, weil es hier viele Communitys aus anderen Ländern gibt, in denen Landsleute Anschluss finden können. Aber wenn wir uns anschauen, wo der deutsche Mittelstand angesiedelt ist, quer über Deutschland, dann sieht es in vielen Regionen schon anders aus.

Damit Menschen sich langfristig irgendwo verortet, verankert fühlen, ist es außerdem wichtig, dass sie die Sprache lernen. Und auch da muss ein Unternehmen bereit sein, in die neuen Mitarbeitenden zu investieren. Wir gehen oft leichtfertig davon aus, dass das mit Englisch schon irgendwie klappen wird. Doch so ist es in der Realität meist nicht. Darum muss ich auch meine Teams entsprechend schulen, um mit neuen Mitarbeitenden aus dem Ausland kommunizieren und sie mitnehmen zu können, während sie noch dabei sind, Deutsch zu lernen.

Beim ganzen Thema Onboarding, das wir eben hatten, braucht es neben einer gewissen Sprachkompetenz auf beiden Seiten aber auch eine grundsätzliche Bereitschaft, jemanden außerhalb der eigenen Muttersprache und letztendlich auch mit anderen kulturellen Eigenheiten überhaupt zu integrieren. Dazu braucht es eine hohe Bereitschaft und auch Kapazität innerhalb des Teams. Und da muss man auch ein Team sehr gezielt mitnehmen. Ein Unternehmen muss die Fragen beantworten: Wie kann ich Menschen darauf vorbereiten? Wie kann ich das zu einer positiven, bereichernden Erfahrung machen?

Es funktioniert nicht, Menschen irgendwo abzuwerben und in ein Team zu pflanzen, selbst im Falle, dass alle Englisch sprechen. Das reicht noch nicht. Es braucht ein hohes Investment seitens des Unternehmens, um die bestehenden und die neuen Mitarbeitenden wirklich zusammenzubringen. Das ist sicherlich ein höherer Invest als beim klassischen Recruitment. Wenn man das gut angeht, kann man jedoch eine hohe Langfristigkeit entwickeln, weil dadurch auch wieder Loyalität entsteht. Oft braucht ein solcher Recruiting- und Onboarding-Prozess aber auch eine Begleitung von außen. Denn wenn es schiefgeht, kann es eine herbe Enttäuschung werden und diese Person kann man möglicherweise nie wieder für den deutschen Arbeitsmarkt gewinnen.

Fällt dir noch ein Aspekt ein, den wir zum Thema Fachkräfte noch nicht besprochen haben?

Wir haben in Deutschland gerade wieder das Thema Kurzarbeit. Das ist ein Moment, in dem alle auf die Bremse treten. Das ist auch erstmal nachvollziehbar. Es bedeutet aber auch, dass man in diesem Moment eine Chance verpasst, zu wachsen. Denn wenn das operative Tagesgeschäft ein Stück zurück geht, könnte man diese Kapazitäten nutzen, um Menschen einzustellen, die zu diesem Zeitpunkt am Arbeitsmarkt vielleicht auch besser verfügbar sind.

Ich weiß, das ist nicht immer so ganz leicht, v. a. weil oft unterschiedliche Bereiche eines Unternehmens betroffen sind. Das heißt, dass Kurzarbeit oft in ganz anderen Bereichen gefahren wird als in den Bereichen, in denen es den akuten Fachkräftemangel gibt. Firmen, die in diesen Phasen wach agieren und erkennen, dass die Kurzarbeit in Team A nicht bedeuten darf, dass der Fachkräftemangel in Team B beiseite geschoben und vertagt wird, können anderen Firmen beim Thema Gewinnung von neuen Mitarbeitenden voraus sein bzw. wieder aufholen.

Das muss man natürlich intern gut abstimmen und die Belegschaft mitnehmen, sonst läuft man Gefahr, Mitarbeitende zu verprellen. Aber die Phase der Kurzarbeit nicht zu nutzen, fällt einem auf die Füße, wenn es wieder losgeht. Dann geht es nämlich auch bei den anderen Unternehmen wieder los und dann suchen alle wieder.

Erneut vielen Dank für das Gespräch, Miriam!

 

Wir sprachen mit:

Miriam Katzenberger setzt als geschäftsführende Gesellschafterin der Personalberatung Artume Recruiting ihre eigene Vision von einem engen gemeinschaftlichen Austausch im Findungsprozess der Kandidat:innen um. Ein besonderes Augenmerk liegt für sie dabei neben der fachlichen Fähigkeit auf dem menschlichen Match. Als ausgebildete Mediatorin mit Fokus auf Organisationskultur in Familienunternehmen begleitet sie Kund:innen sowie Kandidat:innen eng während des Recruiting-Prozesses und darüber hinaus. So ermöglicht sie echte Begegnungen, um Menschen langfristig zu verbinden. [LinkedIn-Profil // Website]

(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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