„Feelgood-Management bedeutet nicht, dass alle sich gut fühlen müssen“
Feelgood-Management, vor einigen Jahren noch eine Randerscheinung insbesondere im Start-up-Bereich, wird immer mehr zum Thema. Wir sprachen mit Wirtschaftspsychologin Sophia Gesing über den Nutzen von Feelgood-Management für Beschäftigte und Unternehmen, aber auch über die Grenzen des Konzepts und gehen der Frage nach, ob Mitarbeitende sich ständig gut fühlen müssen.
Frau Gesing, eine etwas provokante Frage zum Einstieg: Müssen Mitarbeitende dauernd „gut drauf sein“ und sich gut fühlen?
Definitiv nicht! Ganz im Gegenteil – Niemand kann dauernd „gut drauf sein“ und sich gut fühlen und darum geht es auch gar nicht. Weder im Job, noch im privaten Bereich. Vielmehr ist Authentizität das Schlüsselwort. Es geht darum, in allen Lebenslagen als Mensch „echt“ sein zu können und zu dürfen. Das bedeutet, auch in der Arbeit seine Emotionen, Gedanken und aktuellen Herausforderungen teilen zu können. So sollte es in jedem Team-Meeting Raum für beispielhaft gewählte Sätze geben: „Heute fühle ich mich nicht so fit, da ich schlecht geschlafen habe.“, „Ich habe heute echt viel im Kopf, da mein Kind krank ist.“ oder auch „Ich bin heute etwas früher los, weil die Familie zu Besuch ist.“
Was bedeutet Feelgood-Management tatsächlich?
Wie eben schon kurz angesprochen bedeutet Feelgood-Management nicht, dass alle Mitarbeitenden sich gut fühlen müssen. Es geht vielmehr darum, eine Umgebung und Unternehmenskultur zu schaffen, die es ermöglicht, dass Mitarbeitende sich wohl fühlen können. Deswegen auch die – wie ich finde – sehr passende Wortschöpfung aus Feelgood [ein Wohlgefühl erzeugend] und Management [Rahmenbedingungen schaffen].
Feelgood-Management ist ein ganzheitlicher, systematischer Ansatz der Unternehmensführung. Es ist keine isolierte Maßnahme, sondern strebt in der Gesamtheit einen Kulturwandel an. Im Fokus des Konzepts stehen die Mitarbeiter, ihre Bedürfnisse und ihre Zusammenarbeit.
Als ein Konzept der Arbeitswelt 4.0 wurde Feelgood-Management erstmals im Jahr 2012 von deutschen Start-ups angewandt. Der ursprüngliche Anstoß war die Frage, wie ein Unternehmen es schafft, die individuelle Mitarbeiterorientierung und innovative Gemeinschaftskultur der Gründungsphase bei starkem Wachstum beizubehalten.
Wie zum Beispiel das Qualitäts- oder Umweltmanagement hat auch das Feelgood-Management eine zentrale organisatorische Einbindung im Unternehmen. Integraler Bestandteil ist das neue Berufsbild des Feelgood-Managers bzw. der Feelgood-Managerin. Zum Aufgabenspektrum gehören Teambuilding, Onboarding, interne Kommunikation, Arbeitsplatzgestaltung und Gesundheitsförderung. Je nach Unternehmen können weitere Aufgaben dazukommen oder wegfallen. Zu den konkreten Tätigkeiten zählt beispielhaft die Organisation von Events, um das Miteinander zu fördern, sowie das Stärken einer Willkommens-, aber auch Feedback- und Fehlerkultur. Es gilt, ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen, das von kooperativer Zusammenarbeit und Wertschätzung lebt. Das Bereitstellen von vielfältigen Angeboten, die Stress und Gesundheitsproblemen vorbeugen sollen, kann ebenfalls in den Aufgabenbereich eines Feelgood-Managers fallen.
Wie unterscheidet sich Feelgood-Management von der Positiven Psychologie?
Die Positive Psychologie ist eine seit den 1990er-Jahren in den USA begründete Richtung der Psychologie, die auf den US-Amerikaner Martin Seligmann als Pionier auf diesem Wissenschaftsgebiet zurückgeht. Das Forschungsgebiet beschäftigt sich mit den Phänomenen Glück, Optimismus und Solidarität. Im Fokus steht die zentrale Frage: Was macht Menschen glücklich, zufrieden und leistungsstark?
Die aus Studien und Forschung gewonnen Erkenntnisse werden seitdem in der Unternehmenspraxis genutzt und geben Aufschluss über zentrale Konzepte wie Mitarbeiterführung und -motivation. Wie muss ein Arbeitsplatz gestaltet sein, sodass man gerne zur Arbeit kommt? Was braucht es, damit die Arbeit erfüllend ist und glücklich macht? Eine grundlegende Aussage und erforschte Erkenntnis der Positiven Psychologie ist, dass eine Person umso erfolgreicher ist, je glücklicher sie ist – nicht andersherum.
Ein Managementansatz, der auf der Positiven Psychologie beruht, ist der angelsächsische Positive Leadership- oder auch Corporate Happiness Leadership-Ansatz. Es ist ein ganzheitliches Führungssystem, das darauf abzielt, durch Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mitarbeitenden, Produktivität und finanziellen Unternehmenserfolg zu steigern.
Auch das Feelgood-Management geht im Grundverständnis auf die Forschung der Positiven Psychologie zurück. Im Gegensatz zum angelsächsischen Konzept des Corporate Happiness als Führungssystem unterscheidet es sich jedoch stark im Verständnis und der Zielsetzung. Corporate Happiness basiert auf der Annahme, dass Mitarbeitende freiwillig länger im Büro bleiben und entsprechend mehr arbeiten, je vollständiger das Unternehmen das Privatleben des Mitarbeitenden im Büro abbildet und Wohlfühlen schafft. Feelgood-Management hingegen versucht, die reguläre Arbeitszeit im Büro angenehm zu gestalten. Der Unternehmenserfolg wird nicht dadurch erreicht, dass die Mitarbeitenden mehr arbeiten, sondern weil die Beschäftigten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen produktiver Arbeitszeit und notwendiger Erholung und Freizeit haben
Welchen Nutzen hat Feelgood-Management für Unternehmen?
Der Nutzen ist vielseitig. Richtig eingeführt und gelebt, hat Feelgood-Management einen hohen wirtschaftlichen Wertbeitrag für das Unternehmen. Eine wertschätzende Unternehmenskultur äußert sich primär in Mitarbeiterzufriedenheit. Denn nur Beschäftigte, die sich im Unternehmensumfeld wohlfühlen, können ihr gesamtes Potential entfalten und stressfrei arbeiten. Sie sind motivierter, engagierter und identifizieren sich stärker mit dem Unternehmen und seinen Zielen. Diese Grundvoraussetzung ist essenziell, um auch zukünftig in einem dynamischen, sich permanent verändernden Umfeld Mitarbeiter zu haben, die produktiv, kreativ und eigenverantwortlich arbeiten. Dadurch kann langfristig auch der Unternehmenswert gesteigert werden.
Zudem fördert eine wertschätzende, offene Atmosphäre den Kommunikationsfluss der Angestellten untereinander sowie die Vernetzung über Abteilungsgrenzen hinweg. Dadurch werden täglich neue Inspirationen und Impulse für die eigene Arbeit erzielt.
Ebenso werden motivierte Mitarbeitende im Rahmen von Employer Branding die besten Botschafter für das Unternehmen als Arbeitgeber. So kann durch gelebtes Feelgood-Management die Arbeitgeberattraktivität gesteigert werden, was sich u. a. an einer erhöhten Anzahl von Bewerbungen zeigen kann.
Wie hat sich der Bereich des Feelgood-Managements seit Erscheinen Ihres ersten Buchs, das Sie 2017 gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrike Weber zu diesem Thema veröffentlicht haben, weiterentwickelt?
Seit der Veröffentlichung hat sich meines Erachtens viel verändert. Unternehmen haben erkannt, dass es für den Unternehmenserfolg unerlässlich ist, die Persönlichkeiten, Bedürfnisse und individuellen Stärken aller Mitarbeiter zu berücksichtigen, individuelle Potentiale zu fördern und ein kooperatives Zusammenarbeiten zu ermöglichen. Die Förderung einer wertschätzenden Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor ist mehr in den Fokus gerückt. Es hat ein Umdenken – auch bei großen, etablierten Unternehmen – begonnen. Alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, geeignete Arbeitskräfte für sich zu gewinnen und zu binden, interne Kreativität und Innovation voranzutreiben und in einem gesättigten Markt weiter gewinnbringend zu operieren.
War Feelgood-Management vor 5-10 Jahren noch eine Randerscheinung vor allem im Start-up-Bereich, realisieren Arbeitgeber nun, dass das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, Wertschätzung, eine positive Arbeitsatmosphäre und Unternehmenskultur immer entscheidender für wirtschaftliches Wachstum und nachhaltigen Erfolg werden. Auch ich persönlich bemerke das, da ich in den letzten Jahren häufiger auf das Thema und meine Publikation angesprochen wurde.
Hat Feelgood-Management auch Grenzen und falls ja, wie sehen diese aus?
Es gibt drei zentrale Erfolgsfaktoren für die Umsetzung des Feelgood-Managements, die gleichzeitig die Herausforderungen und Grenzen des Konzepts sichtbar machen:
- Feelgood-Management muss gewollt und gelebt werden. Dafür ist vor allem die positive Haltung der Führungsebene gegenüber Feelgood-Management unerlässlich. Ansonsten können das Konzept und abgeleitete Maßnahmen schnell als Etikett abgetan werden.
- Feelgood-Management ist keine Blaupause. Viele Unternehmen, die bereits die Position des Feelgood-Managers integriert haben, lassen sich als junge digitale Wachstumsunternehmen zusammenfassen. Etablierte Unternehmen hingegen haben viele der inhaltlichen Schnittstellen des Ansatzes bereits seit Jahren institutionell verankert (z. B. Personalmanagement, Unternehmenskommunikation, Office-Management, Betriebliches Gesundheitswesen). Das Konzept bedarf daher einer individuellen Anpassung und Weiterentwicklung in jedem Unternehmen, um es auf die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen und keine Strukturen zu doppeln. Hier liegt es an den Unternehmen, Feelgood-Management als sinnvolle Ergänzung zu definieren und abzugrenzen.
- Feelgood-Management schafft keine direkt messbaren Kennzahlen und das ist okay. Das Konzept wirkt auf Faktoren im Unternehmen ein, die nur langfristig messbar sind und nicht immer singulär dem Feelgood-Management zugeordnet werden können. Konkrete betriebswirtschaftliche Kennzahlen lassen sich oft nur indirekt auf die Arbeit eines Feelgood-Managers zurückführen. Bei Unternehmen bedarf es Geduld, Messbarkeit der Erfahrungswerte und Vertrauensvorschuss, um Feelgood-Management im Unternehmen aktiv zu verfolgen.
Woher stammt Ihr eigenes Interesse am Thema?
Auf den Begriff Feelgood-Management bin ich erstmals im Jahr 2015 durch einen Bericht in einer Tageszeitung aufmerksam geworden. Die Beschreibung des Konzepts und dessen Einfluss auf die Unternehmenskultur hat mich direkt begeistert. Als Wirtschaftspsychologin interessiere ich mich seit jeher für innovative und mitarbeiterorientierte Personalkonzepte. Das Konzept von Feelgood-Management überzeugt mich, da es den Mitarbeitenden als Mensch mit all seinen Bedürfnissen und individuellen Anliegen in den Fokus setzt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wir sprachen mit:
Sophia Gesing ist studierte Wirtschaftspsychologin. Ihr Interesse an werte- und stärkenorientierter Mitarbeiterführung setzt sie als Führungskraft im Bereich der konzernweiten Personalentwicklung einer Medienholding um.
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/sophia-gesing-91173510a/
Zum Weiterlesen:
[Werbung] Weber, U., Gesing, S. (2019). Feelgood-Management. Chancen für etablierte Unternehmen. Wiesbaden: Springer.
[Werbung] Weber, U., Gesing, S. (2017). Konzept und Berufsbild des Feelgood-Managements. Wiesbaden: Springer.
(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)